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Wie Sportler:innen die doppelte Belastung managen

Nina Christen
Die Schweizer Schützin Nina Christen gab ihr Biologiestudium auf, um sich voll auf den Spitzensport konzentrieren zu können. Mit Erfolg: An den Olympischen Spielen in Tokio gewann sie Gold und Bronze. Keystone / Georgios Kefalas

Von den Schweizer Sportler:innen, die an den Olympischen Sommerspielen Tokyo 2020 teilgenommen haben, sind ein Drittel entweder Studierende oder Hochschulabsolventen. Trotz ihrer glanzvollen Momente auf dem Sportfeld sind sie im Hörsaal der Universität "normale" Studierende. Wenn man davon absieht, dass sie aufgrund des intensiven Trainings und der Wettkämpfe oft nicht am Unterricht teilnehmen können.  

Nicht Wenige entschieden sich deswegen, das Studium zu unterbrechen, um sich ganz auf den Sport zu konzentrieren. Gemäss der neuen Studie Leistungssport Schweiz 2019Externer Link verfügen 47% der Sportlerinnen und Sportler (25-34 Jahre) über einen tertiären Abschluss. Das sind 5% weniger als der Rest der Bevölkerung in derselben Altersgruppe. Problematisch?  

“Nein, ich finde es ist vielmehr ein guter Beweis, dass die doppelte Karriere von Spitzensport und Studium möglich ist,” kommentiert Simon Niepmann.  Der olympische Goldmedaillengewinner im Leichtgewichts-Vierer im Rudern an den Sommerspielen 2016 in Rio hat selbst dank verlängerter Studiendauer von seinem Lehrgang in Sportwissenschaft und Geografie an der Universität Basel erfolgreich abgeschlossen.  

Heute arbeitet er bei Swiss Olympic, dem Dachverband des Schweizer Sports, im Karrieresupport und leitet das Programm “Spitzensport und Studium”. 

Wie der Name schon sagt, zielt das im Jahr 2014 gestartet Förderprogramm darauf ab, die Chancen für eine erfolgreiche Doppelkarriere zu verbessern. Im Rahmen dieses Programms wurde unter anderem ein Netzwerk von 42 Koordinationspersonen für Spitzensport und Studium aufgebaut.

Diese Bezugsperson sind fast über alle Schweizer Hochschulen verteilt und begleiten die Athletinnen und Athleten bei der Aufgabe, frühzeitig ihre Ausbildung parallel zur sportlichen Karriere zu planen und die Vereinbarkeit von Sport und Studium zu optimieren.  

Swiss Olympic hat 2014 in Zusammenarbeit mit Swiss University Sports – dem Dachverband der Hochschul-Sport-Organisationen – das Projekt “Spitzsport und Studium” gestartet.  

Das Projekt wurde 2017 zum Programm umgewandelt und ist seit 2018 bei  Swiss Olympic angegliedert. Es besteht weiterhin eine enge Zusammenarbeit mit Swiss University Sports. 

Swiss Olympic und swissuniversities – die Rektorenkonferenz der Schweizerischen Hochschulen – haben 2017 eine Erklärung unterzeichnet.  Deren Hauptziele bestehen darin, die Möglichkeit des Teilzeitstudiums, einer Verlängerung der Studiendauer und der Reduktion der Präsenz für studierende Elitesportlerinnen und Sportler zu fördern.  

2020 haben die beiden Organisationen eine zweite ErklärungExterner Link unterzeichnet. Sie ergänzt die erste mit der zusätzlichen Option eines von Ort und Zeit unabhängigen Distance learning, was gerade gut zum Trend der Corona-Zeit passt. 

SWI swissinfo.ch: Warum gibt es in der Schweiz bis vor ein paar Jahren noch quasi keine organisierte Unterstützung für studierende Sportler:innen bei ihrer dualen Karriere? Spielt darin die Besonderheit des Milizsystems eine Rolle? 

Simon Niepmann: Ich bin sehr sicher, dass es genau damit zu tun hat. Früher waren die studierenden Sportler:innen extrem auf sich selbst gestellt. Ich habe während meiner Studienzeit gemerkt, dass es in der Schweiz keinen Unterschied zwischen Spitzensport, Hobby oder einem Job neben dem Studium gibt. Sie gelten alle gleichermassen als Nebenbeschäftigung.  Und es liegt ganz in der eigenen Verantwortung, den damit verbundenen Zeitaufwand mit dem Studium kombinieren zu können.   

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In der Schweiz steigt der Stellenwert des Sports zwar stetig, aber es ist noch nicht vergleichbar mit anderen Ländern, wo Sportlersein ein Beruf ist wie andere auch.  

Welches ist die häufigste Frage, die Ihnen gestellt wird bei Ihren Kontakten mit jungen Sportlerinnen und Sportlern im Rahmen des Karrieresupports?  

Die häufigste Frage ist “ich treibe Sport auf Höchstem nationalen oder internationalen Niveau, was für ein Studiengang kommt da überhaupt noch in Frage?” Ich kann darauf natürlich nicht pauschal antworten, dass alle Sportler zum Beispiel Wirtschaft oder Recht studieren können. Man muss jeden Fall einzeln anschauen.  

Es hängt vom Interesse der Sportlerinnen und Sportler für ein spezifisches Studiengebiet ab, aber auch vom Ort wo sie trainieren, von den Anforderungen der Sport oder von der Flexibilität, welche die betroffene Hochschule anbietet.   

Was ist die wichtigste Unterstützung für junge studierende Sportlerinnen und Sportler? 

Die frühzeitige Planung. Das bedeutet, wirklich frühzeitig die beide Wege Spitzsport und Studium sauber aufzudatieren: Wo gibt es Phasen, in denen das Studium viel fordert wegen Prüfungen oder Praktika zum Beispiel? Wo stehen intensive Trainingsphasen oder Wettkämpfe an? Und wie bringt man das gut nebeneinander vorbei? Im Idealfall sollte es bis zum Studienabschluss geplant werden, wobei die Planung halbjährlich wieder neu angepasst werden sollte.  

Unsere zentrale Aufgabe besteht darin, die Sportlerinnen und Sportler darauf aufmerksam zu machen, dass sie eine solche Planung vornehmen müssen und dass es verschiedene Leute gibt, die sie bei dieser Planung und auf ihrem dualen Weg unterstützen können.  

Eine Auswertung der Befragung von Swiss Olympic im Jahr 2018 zeigt aber, dass studierende Spitzensportler nur selten schon beim Eintritt in die Hochschule erfasst werden.  

Es gibt dabei zwei Herausforderungen, welchen wir begegnen. Zum einen wissen wir nicht von allen Sportlerinnen und Sportler, ob sie studieren und umgekehrt haben die Hochschulen nicht immer Kenntnis davon, welche ihrer Studierenden gleichzeitig im Leistungssport engagiert sind. Hier haben wir noch Verbesserungspotential. 

Von unserer Seite versuchen wir, die Spitzsportlerinnen und -Sportler so oft und so breit wie möglich zu informieren, sei es via E-Mails, über die Sport Verbände und über weitere Kanäle.  

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Wir haben ebenfalls gemerkt, dass vielfach ein Austausch unter studierenden Sportlern und Nachwuchssportlern, d.h. den Schülerinnen und -Schuler auf Sekundarstufe, gewünscht wird. Beim Gespräch von Sportler zu Sportler ist die Hemmschwelle tiefer grundlegende Fragen zu stellen als beim Gespräch mit einer Hochschule. Wir haben dafür eine AustauschplattformExterner Link geschaffen. 

In der Erklärung von Swiss Olympic und swissuniversities von 2020 heisst es, dass nicht jede Sportart mit jedem Studiengang kompatibel sein wird. Welche Kombinationen von Sportarten und Studienfächern sind besonders herausfordernd?   

Ich würde mich hüten zu sagen, dass eine bestimmte Sportart überhaupt nicht mit einer spezifischen Disziplin an der Universität funktionieren kann, denn man muss immer berücksichtigen, dass es sehr individuell ist.  

Aber man kann schon klar sagen, dass eine Tendenz von Wintersportlerinnen und-Sportler hin zu einem Fernstudium auszumachen ist. Fakt ist, dass viele Winter-Sportlerinnen und Sportler den ganzen Winter über unterwegs sind und somit kaum an Präsenzveranstaltungen eines Regelstudiums teilnehmen können.  

In Bezug auf die Studienfächer bestehen die grössten Schwierigkeiten sicher dort, wo es einen hohen Anteil an praktischen Tätigkeiten oder Laborkursen gibt, für welche die Studenten zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort sein müssen.   

Die USA und China führen seit lange die Ranglisten von Olympischen Spiele an. In China zum Beispiel, haben die Spitzsportlerinnen und Sportler die Möglichkeit, sich auf den Sport zu konzentrieren und anschliessend günstige Bedingungen für die Aufnahme an einer angesehenen Universität zu bekommen. Sind die Schweizer Sportlerinnen und Sportler im Vergleich zu Sportlerinnen und Sportler aus solchen Ländern hinsichtlich der doppelten Belastungen durch Ausbildung und Sport benachteiligt?  

Wir sind der Meinung, dass es in vielen Fällen hilft, wenn Sportlerinnen und Sportler nebenbei eine Ausbildung machen.  

Zum einen, weil neben dem Sport jeden Tag immer noch einige Stunden verbleiben, an denen man etwas anders machen kann, und zudem ist Studieren vor allem eine kognitive Ablenkung, welche die Sportlerinnen und Sportler in anderer Weise fordert als nur körperlich.  

Zweitens ist ein anderes Umfeld als jenes des Sports für viele Sportlerinnen und Sportler wichtig. Dank einer Ausbildung haben sie einen anderen Umgang und dieser Wechsel kann bereichernd und erholsam sein.  

Und schliesslich ist die Vorbereitung der Nachsport-Karriere auch ein ganz entscheidender Punkt. Wenn man einmal mit dem Sport aufhört, ist es sehr wichtig, dass man ein zweites Standbein zu haben, in welches man seine Energie zukünftig investieren kann. 

Wo steht die Schweiz im weltweiten Vergleich in Bezug auf die Unterstützung einer doppelten Karriere Spitzsport und Studium, fortgeschritten oder eher am Anfang einer Entwicklung? 

Wir würden uns eher vergleichen mit Ländern von ähnlicher Grösse. Es gibt immer verschiedene Vorgehensweisen. In Norwegen gibt es z.B. eine Art Kooperation zwischen einem Sportverband und einer Hochschule. Dort weiss man ziemlich genau “Wenn ich diesen Sport betreibe, dann kann ich an eine Hochschule gehen, welche eine Kooperation mit dem nationalen Sportverband oder dem Olympischen Komitee hat. So wird mein Weg optimal unterstützt.” 

Mit unserem Netzwerk von Koordinationspersonen in der Schweiz möchten wir auch aufzeigen, dass man sich bei der Studienwahl nicht einschränken muss. Wir gehen eher in die Richtung, dass wir alle Optionen offenhalten möchten. Es ist ein Prozess, den wir immer wieder prüfen werden.   

Ist die doppelte Karriere “Spitzensport und Studium” schliesslich eher eine Geschichte von Kompromissen oder eine Win-Win-Situation?  

Es ist auf jeden Fall ein Kompromiss, denn man kann nicht gleichzeitig 100% Sport machen und 100% studieren. Man muss gut planen und eine Balance finden. Dennoch würde ich es nicht so bewerten, dass es für beide Seiten eine Abwertung bedeutet. Ein Studium nebenbei zu absolvieren bedeutet nicht, dass man im Sport weniger erfolgreich ist. Häufig ist das Gegenteil der Fall. 

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