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Gesundheit/Sicherheit: Schweiz exponiert

Gefährliche Arbeiten brauchen strikte Sicherheits-Vorschriften. Keystone

Als einziges Land hat die Schweiz gegen eine neue internationale Konvention gestimmt, die für mehr Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz sorgen soll.

Das Nein am Ende des Jahrestreffens der Internationalen Organisation für Arbeit (ILO) stiess bei den Gewerkschaften auf heftige Kritik.

Laut Jean-Claude Prince verhält sich die Schweiz in Bezug auf Sozialpartner-Beziehungen “völlig ungenügend”.

Prince, beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) für die Beziehungen zur Internationalen Arbeits-Organisation ILO zuständig, meint, die ablehnende Haltung sei ein schwerer Schlag gegen das Image des Landes in Sachen Arbeitsbedingungen.

Die Konvention, die von den übrigen 177 IAO-Mitgliedstaaten angenommen wurde, verpflichtet die Unterzeichner-Staaten zu Massnahmen, welche die Risiken von Unfällen und Krankheiten am Arbeitsplatz reduzieren sollen.

“Überflüssige Anforderungen”

“Die Schweizer Regierung nimmt ihre Verantwortung nicht ernst, was die internationalen Normen am Arbeitsplatz betrifft”, kritisiert Prince gegenüber swissinfo. Andere Länder würden dies als Ohrfeige von einem der dienstältesten IAO-Mitgliederstaaten auffassen.

Das Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) weist die gewerkschaftliche Kritik zurück. Die Schweiz habe einfach von ihrem demokratischen Recht Gebrauch gemacht, eine ILO-Konvention nicht zu unterstützen, sagt Jean-Jacques Elmiger, im seco verantwortlich für internationale Arbeits-Beziehungen.

Die Konvention sei für die Schweiz überflüssig. Die meisten vorgeschlagenen Massnahmen seien ohnehin in den bestehenden Schweizer Gesundheits- und Sicherheits-Gesetzen enthalten, so Elmiger.

“Es gibt bereits 23 Konventionen und 27 Empfehlungen für diesen Bereich. Das Übereinkommen bringt nichts Neues, das die Schweiz nicht bereits hätte.”

Die Schweiz steht unter Beschuss

Ebenfalls unter Beschuss seitens der Gewerkschaften kamen die Schweizer Vertreter an der ILO-Jahrestagung bezüglich dessen, was die Gewerkschaften als “Erosion der kollektiven Lohnverhandlungen” erachten. Eine Kommission von ILO-Experten hat dazu einen Befund der Regierung gefordert.

Laut SGB sind in der Schweiz erst rund 37% aller Arbeitsverträge kollektivvertraglicher Art, gegenüber 78% in den 15 Ländern der alten EU.

“Wir sind der Auffassung, der Bundesrat sollte effizientere Mechanismen einführen, um kollektive Lohnverhandlungen zwischen Arbeitnehmern und –gebern zu erleichtern”, sagt Prince. Deshalb werde man den Druck aufrecht erhalten, damit die Schweiz nicht zur Insel werde, wo sich Arbeitgeber unkorrekt verhalten dürften.

Nicht Sache der Regierung

Laut Jean-Jacques Elmiger vom seco hat sich ein bereits im Jahr 2000 gegründeter dreiteiliger Bundes-Ausschuss mit dem Thema der kollektiven Lohnverhandlungen auseinander gesetzt. Dabei sei festgestellt worden, dass der Regierung die Hände gebunden seien.

“Laut Schweizer Gesetzgebung gibt es für den Staat keine Möglichkeit, in kollektive Lohndiskussionen zwischen den Sozialpartnern einzugreifen”, sagt er. “Die beiden Partner sollten alleine Lösungen finden. Es gibt genügend Mechanismen, ihre Interessen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen.”

Kinderarbeit

Elmiger begrüsst dagegen die Bemühungen an der ILO-Jahreskonferenz zur Beseitigung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit innerhalb der nächsten zehn Jahre. Er erinnert daran, dass das Phänomen der Kinderarbeit weltweit erstmals zurückgegangen sei. Zwischen 2000 und 2004 sei die Zahl der betroffene Kinder von 246 auf 218 Millionen gesunken, was einen Rückgang von elf Prozent bedeute.

“Vor zehn Jahren wollte noch niemand über Kinderarbeit sprechen. Das Phänomen wurde ignoriert”, so Elmiger. “Aber dank des Drucks und der Aktivitäten der ILO gab es einen Mentalitätenwechsel. Jetzt gibt es politischen Willen, etwas dagegen zu tun.”

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit des Bundes (DEZA) arbeite im Übrigen mit der ILO zusammen, um das Problem der Kinderarbeit anzugehen, erklärt der seco-Veretreter.

swissinfo, Adam Beaumont, Genf
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

Nach Schätzungen der in Genf ansässigen Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gibt es jährlich über zwei Millionen Todesfälle am Arbeitsplatz, wovon rund 400’000 infolge gefährlicher Substanzen.

In der Schweiz gab es 2004 am Arbeitsplatz 189 Todesfälle zu beklagen, wovon 89 infolge gefährlicher Substanzen. Im ersten Quartal 2006 wurden in der Schweiz mehr als 64’000 Unfälle am Arbeitsplatz registriert.

Laut Statistik erhöhte sich 2005 die Zahl der Unfälle am Arbeitsplatz in der Schweiz zwar leicht. Insgesamt sank sie aber seit 2001 um über sechs Prozent.

In der Schweiz gibt es rund 700 Gesamtarbeitsverträge.
Gesamtarbeitsverträge sind Abkommen zwischen einer oder mehreren Arbeitgeber-Organisationen und einer oder mehreren Arbeitnehmer-Organisationen (Sozialpartner).
Gemäss Schweizer Gesetzgebung liegt es an den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmer-Vertretern, Regelungen, Rechte und Pflichten in den bilateralen Beziehungen auszuhandeln.
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) vertritt 16 verschiedene Gewerkschaften mit rund 380’000 Mitgliedern.

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