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Gewässerschutz – Musterknabe Schweiz, ja aber

Gute Noten für das Aueninventar - aber grosses Manko beim Vollzug des Auenschutzes. WWF

Die Schweiz gehört beim Feuchtgebiets-Schutz und der Gewässer-Bewirtschaftung zur europäischen Spitze: Aber nur auf dem Papier, denn bei der Umsetzung der Gesetze hapert es, wie eine europäische Studie zeigt.

Der Wasser- und Gewässer-Index (WWI) der Umweltorganisation WWF basiert auf einer Untersuchung in 23 europäischen Ländern.

Übernutzung, Verschmutzung und mangelhafter Einbezug von Gewässerschutz-Vorgaben in andere Bereiche wie Landwirtschaft oder Raumplanung: Im europäischen Gewässerschutz bestünden beträchtliche Handlungs-Defizite, warnte der WWF am Donnerstag bei der Präsentation der Studie.

Immer mehr Regionen Europas litten unter Wassermangel, während die Verschmutzung der Gewässer sich nach wie vor negativ auf Mensch und Umwelt auswirkten. Viele Staaten hätten nur ungenügende Ansätze, um den Verbrauch von Wasser einzudämmen. Auch die Mitsprachemöglichkeiten der Bevölkerung sind nach Ansicht des WWF in vielen Ländern ungenügend.

Auf dem Weg zum integrierten Wasser-Schutz

Fazit der Studie für die Schweiz: Sie verfügt im europäischen Vergleich zwar über fortschrittliche Gesetze und gute Instrumente – bei der Umsetzung gibt es aber beträchtliche Mängel.

Die Bewirtschaftung der Gewässer in der Schweiz ist traditionell geprägt durch die Aufteilung in Gewässer-Nutzer und Gewässer-Schützer. In den letzten Jahren hat sich langsam ein neuer, integrativer Ansatz durchgesetzt. Allerdings werden laut WWF ökonomische Interessen meist stärker gewichtet als ökologische.

Grosses Problem: Restwasser-Strecken

Obschon die Schweiz zum Beispiel für ihr Aueninventar einen europäischen Titel erhält, sind die Kantone beim Auenschutz arg in Verzug. Und schlecht sieht es auch bei der Sanierung von Restwasser-Strecken aus.

Zwar ist die Wasserqualität in Schweizer Flüssen und Seen im europäischen Vergleich recht gut. Beim Messen von Wasserqualität und –Mengen nimmt sie gar einen Spitzenplatz ein.

Wegen der fast vollständigen Gewässer-Verbauungen und der Wasserkraft-Nutzung ist der ökologische Bestand der Gewässer hingegen schlecht; hier liegt die Schweiz im europäischen Vergleich nur im letzten Drittel.

“Kein Wunder also, dass die Schweizer Gewässer kaum mehr als Lebensraum für natürliche Artenvielfalt taugen”, umriss Walter Wagner, Bereichsleiter Wasser beim WWF bei der Präsentation der Studie das Problem.

“Kantönli-Geist” überwinden



“Wir erwarten von den zuständigen Behörden, dass der Gewässerschutz auf der politischen Agenda wieder grösseres Gewicht erhält”, sagte Andreas Knuttli, Projektleiter WWI beim WWF. Er sieht vor allem bei der integrierten Gewässerbewirtschaftung Handlungsbedarf.

Die Bewirtschaftung der Gewässer müsse stärker auf Ebene ihres Einzugsgebietes durchgeführt werden. “In der Schweiz muss vermehrt über Gemeinde- und Kantonsgrenzen hinweg zusammengearbeitet werden”, so Knuttli weiter.

Weitere Defizite machte die Studie für die Schweiz bei den Restwasser-Vorschriften aus. Die im Gesetz festgelegten Vorschriften würden aufgrund parlamentarischer Vorschriften zur Zeit sogar in Frage gestellt, kritisierte der WWF.

Vergleiche ermöglichen



Mit dem Wasser- und Gewässer-Index hat der WWF nach eigenen Angaben ein Instrument entwickelt, das es erlaubt, den Zustand der Gewässer und des Gewässerschutzes in verschiedenen europäischen Ländern zu ermitteln und dann vergleichend zu bewerten.

In der ersten Phase, die im April 2002 abgeschlossen worden war, wurde der Ausgangszustand ermittelt. Schon damals habe sich gezeigt, so der WWF, dass das Musterschüler-Image der Schweiz nur sehr beschränkt richtig sei.

In der nun vorgelegten Phase II des Index werden die geltenden gesetzlichen Grundlagen zum Schutz und zur Wiederherstellung der Gewässer verglichen sowie die Leistungen der Behörden bei deren Umsetzung.

Messlatte für die Beurteilung ist die Rahmenrichtlinie Wasser der Europäischen Union (EU), die vorschreibt, dass alle Gewässer bis ins Jahr 2015 in einen “guten ökologischen Zustand” gebracht werden müssen. Die Grundsätze dieser Richtlinie für ein nachhaltiges Gewässer-Management sind auch von der Schweiz als wegweisend akzeptiert.

swissinfo, Rita Emch

Die Schweiz gehört fünf europäischen Fluss-Einzugsgebieten an. Die Wasserqualität in Sachen Nährstoffe wird im Wasser-Index meist als gut bewertet – Ausnahmen sind Fliessgewässern und Seen in intensiv genutzten Landwirtschafts-Gebieten.

Hingegen wurden neue Belastungen der Gewässer in Form von Medikamenten, Pflanzenschutz-Mitteln und anderen Stoffen festgestellt. Teilweise ist das Grundwasser mit Pestiziden und anderen Chemikalien verschmutzt .

90% der Flüsse und Bäche sind in ihrer Funktion als Lebensraum stark beeinträchtigt. Die meisten kleinen Bäche sind eingedolt. Wasserkraft-Dämme und Flussverbauungen zwingen die Fliessgewässer in ein enges Korsett und machen eine Vernetzung der Lebensräume unmöglich. Das Abfluss-Regime ist vielerorts künstlich geprägt.

In den letzten zwei Jahrhunderten sind in der Schweiz auch 90% aller Feuchtgebiete verschwunden.

Zwischen 1940 und 1990 hat sich der Wasserverbrauch weltweit vervierfacht
Verbrauch pro Person und Tag:
In Europa 150 Liter
In der Sahelzone: 30 Liter

69% des Süsswasser-Verbrauchs: Landwirtschaft
21% entfallen auf die Industrie
10% auf Haushalte

Ein Grossteil des globalen Süsswasser-Vorrats ist zu Eis erstarrt oder liegt tief im Boden verborgen.

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