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Gezielte Attacke gegen die Schweiz

Micheline Calmy-Rey beim iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad. Keystone

Nach der Reise von Aussenministerin Micheline Calmy-Rey in den Iran wirft eine amerikanische NGO der Schweiz Terrorismus-Finanzierung vor. Gespräch mit dem ehemaligen Schweizer Botschafter François Nordmann.

Nach dem Jüdischen Weltkongress (WJC) greift auch die US-Organisation Anti-Defamation League (ADL) die Schweiz an.

Es geht dabei um die Aussenministerin Micheline Calmy-Rey in deren Beisein kürzlich ein Gasliefervertrag mit Iran unterzeichnet wurde.

In einer in den USA und der Schweiz lancierten Pressekampagne beschuldigt die ADL die Schweiz der Finanzierung des globalen Terrorismus: “Wenn sie einen terroristischen Staat finanzieren, finanzieren sie Terrorismus”, prangt auf einem am Dienstag in der Schweiz und international erschienenen Inserat.

Der ehemalige Schweizer Botschafter François Nordmann analysiert die Auswirkungen dieser Kampagne.

swissinfo: Weshalb fokussiert man sich auf die Schweiz, andere Länder haben doch viel umfangreichere Handelsbeziehungen mit Iran?

François Nordmann: Zweifellos spielen das starke Medienecho und die Polemik in der Schweiz um die Iran-Reise von Micheline Calmy-Rey eine wichtige Rolle. Die anderen Länder senden bei der Regelung von Geschäftsbeziehungen keine Minister.

Ich kenne die US-Rechtsvorschriften zu den Sanktionen gegen Iran nicht genau. Sie erklären aber sicher auch, weshalb die Schweiz in dieser Affäre schlecht da steht. Man muss auch daran erinnern, dass die USA Unternehmen von finanziellen Transaktionen mit Iran abhalten wollen. Ein Finanzsektor, der auch von drei UNO-Resolutionen betroffen ist.

swissinfo: Sind wir am Anfang einer umfangreichen Kampagne?

F.N.: Nein, es handelt sich vielmehr um einen Entrüstungsschrei, eine Reaktion. Im Gegensatz zum Fall der Nachrichtenlosen Vermögen ist diese Kampagne nicht zu einer Regierungsaffäre gemacht worden.

Es ist eine Aktion einer Nichtregierungs-Organisation, die auf die öffentliche Meinung zielt, welche die Schweiz und ihre Aussenministerin diskreditieren will. Aber die Regierungen haben bereits in angemessener Weise reagiert.

Auf jeden Fall ist die Schweiz dafür verantwortlich, wie sie die Resolutionen der Vereinten Nationen anwendet. Sie muss dem Ausschuss für die UNO-Sanktionen Bericht erstatten. Früher oder später wird dieser Ausschuss die Schweiz dazu befragen.

Das heisst, dieses Abkommen ist kein Diskussionsthema zwischen der Schweiz und den USA. Beide wenden ihre nationalen Sanktionen an. Diese sind der Motor der Sanktionen im Rahmen der Vereinten Nationen. Die USA sind deshalb besonders wachsam. Aber die Schweiz muss gegenüber den Vereinigten Staaten zu diesem Abkommen keine Rechenschaft ablegen.

swissinfo: Aber die Schweiz vertritt trotzdem die amerikanischen Interessen in Iran?

F.N.: Für diese Rolle braucht es Unparteilichkeit und Glaubwürdigkeit. Dieses Mandat kann nicht gegen die Interessen der Schweiz ausgelegt werden.

swissinfo: Welche Folgen könnten die Kritik der USA und die Kampagne der Anti-Defamation League haben?

F.N. Sie sollten keine Konsequenzen haben. Kritik und Kampagne erfolgen aber in einem besonderen internationalen Kontext, jenem des iranischen Atom-Dossiers.

Es gibt einen Konsens zwischen der Europäischen Union (EU), dem UNO-Sicherheitsrat und der Internationalen Atomagentur (IAEA), wonach Iran die Urananreicherung solange sistieren muss, bis Teheran das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft zurückgewonnen hat. Dieses Vertrauen ist seit der Entdeckung des geheimen iranischen Atomprogramms gebrochen.

In diesem Konflikt hat sich die Schweiz mit ihren Stellungnahmen und Vermittlungs-Initiativen ein wenig ins Abseits manövriert. Die Kritik am Erdgas-Deal trifft jetzt also eine bereits geschwächte Schweiz.

swissinfo-Interview: Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Etienne Strebel)

Micheline Calmy-Rey weilte vom 16. bis 17 März in Iran.

Im Zentrum ihres offiziellen Besuches standen das Kernenergie-Dossier, die Menschenrechte und die Unterzeichnung eines Gasliefervertrags zwischen der staatlichen iranischen Gasliefergesellschaft und der Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg.

Noch am Tag des Abschlusses hat die US-Botschaft in Bern dieses Abkommen verurteilt. Es verstosse gegen den Geist der UNO-Sanktionen gegen die Islamische Republik. Das Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ist dagegen der Ansicht, das Abkommen sei zu den Sanktionen kompatibel.

Das israelische Aussenministerium sprach von einem “unfreundlichen Akt gegen Israel” und bestellte den neuen Botschafter der Schweiz ein.

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