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Greenpeace Schweiz feiert 20 Jahre

Eine der ersten Aktionen in der Schweiz: 1985 auf dem Zürichsee. Greenpeace

Seit 20 Jahren sind die Regenbogen-Kämpfer auch in der Schweiz aktiv. Dabei hat sich die Organisation von der Rebellin zur politischen Akteurin entwickelt.

Heute setzt sich Greenpeace auch mit unspektakulären Aktionen für die Umwelt ein. swissinfo sprach mit Kaspar Schuler, Chef von Greenpeace Schweiz.

Greenpeace ist eine weltweite Organisation. Warum braucht es da eine Schweizer Sektion?

Es gibt drei Gründe: Die Länder im Süden der Welt brauchen uns, weil wir Sitz diverser multinationaler Unternehmen sind, die ihnen das Leben schwer machen.

Zweitens haben wir hier ein ideales Tummelfeld, um neue Kampagnen zu testen. Die Schweiz ist ein direktdemokratisch organisiertes Land. Und wir sind sehr stolz darauf, dass es nur dank der Schweiz und der Genschutz-Initiative, die 1998 zur Abstimmung kam, überhaupt eine weltweite Greenpeace Gentech-Kampagne gibt.

Greenpeace Schweiz hat dank der Genschutz-Initiative bewiesen, dass man dieses hochkomplexe naturwissenschaftliche Thema kommunizieren kann.

Drittens kommt das Geld. Greenpeace Schweiz ist innerhalb der 27 Greenpeace-Organisationen in 38 Ländern das fünftwichtigste Geberland. Hinter Deutschland, Niederlande, Grossbritannien und den USA kommt die Schweiz mit einem Beitrag von jährlich rund 4 Mio. Franken.

swissinfo: Ist Greenpeace Schweiz nicht einfach eine Milchkuh für die internationale Organisation?

Ich bin ein alter Älpler. Ich liebe Milchkühe! Wieso nicht? Wir spenden das wichtige Manna ganz zentral mit. Aber es würde uns auch unbedingt brauchen, wenn wir in einem mausarmen Land wären. Aus den bereits genannten Gründen.

swissinfo: Wo besteht der dringendste Handlungsbedarf in der Schweiz?

Die Schweiz ist ein ausserordentlich zivilisiertes, hoch technologisiertes Land und bringt es nicht mehr hin, in der Umwelt-Gesetzgebung voranzugehen. Das finde ich bitter.

Wir haben zum Beispiel zur Zeit auf EU-Ebene eine Diskussion um eine neue Chemie-Gesetzgebung unter dem Namen “REACH”, die viel weiter geht als heute in der Schweiz.

swissinfo: Was sind die wichtigsten Erfolge, die Greenpeace in der Schweiz erzielen konnte?

Der wichtigste Erfolg neben der gentech-freien Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung ist aus Sicht der Bevölkerung eine Niederlage: Wir haben die Atom-Abstimmungen 2003 verloren. Aber wir haben durchgesetzt, dass es im neuen Kernenergie-Gesetz Abschaltkriterien für die alten AKW geben muss.

Das ist weltweit einmalig. Und wir haben ein zehnjähriges Moratorium für die atomare Wiederaufbereitung durchgesetzt.

Des weiteren sind wir drauf und dran, in der Schweiz einen Sanierungs-Standard für Chemie-Altlasten durchzusetzen. Dank der Greenpeace-Kampagne, die in der Chemiemüll-Deponie Bonfol begonnen hat und inzwischen auf ein rundes Dutzend Deponien in der Region Basel und im Elsass ausgedehnt wurde, sind wir mit der Basler Chemie, vorab mit Novartis, in einer harten Auseinandersetzung.

swissinfo: Kurz zurück zur Atomenergie: Heute wird wieder vermehrt von neuen Kernkraftwerken in der Schweiz gesprochen, von Ausstieg keine Rede mehr. Hat Greenpeace dieses Thema verschlafen?

Definitiv nicht! Wir haben unsere Klima-Kampagne nach der Atom-Niederlage neu gestaltet. Der Start ist im nächsten Winter-Frühjahr 2005.

Und wir sind neben der kleinen schweizerischen Energiestiftung die einzige Organisation, die nach wie vor Atom-Spezialisten angestellt hat. Wir haben unser Fachwissen nie aufgegeben und werden es auch im Kampf gegen die unsägliche Renaissance der Atomenergie einsetzen.

swissinfo: Greenpeace kommt ursprünglich vom Meeresschutz her. War das im Binnenland Schweiz nicht schwierig umzusetzen?

Kein Problem. Je weiter weg man vom Meer ist, um so grösser ist offensichtlich die Sehnsucht nach dem Meer. Die Schweizer Greenpeace-Mitglieder haben offensichtlich einen riesigen und sehr intensiven Meer-Bezug.

Als wir vor etwa zwei Jahren einen Spendenbrief für ein neues Greenpeace-Schiff versandten, war das eine der erfolgreichsten Sammlungen aller Zeiten.

swissinfo: Der Umweltschutz ist in der Öffentlichkeit zusehends in den Hintergrund gerückt. Ist er überhaupt noch ein Thema?

Ja natürlich, aber halt nicht mehr das Thema Nummer 1. Greenpeace Schweiz ist nach wie vor sehr gut in den Medien vertreten. Momentan nicht auf der Frontseite mit 50-Zeilern, dafür mit mehr 10-Zeilern. Das macht uns natürlich durchaus zu schaffen. Aber das ist die Herausforderung.

swissinfo: Sind extremere Aktionen gefragt, um wahrgenommen zu werden?

Auf keinen Fall. Ich bin nicht der Meinung, dass wir extremer werden müssen.

Was hinter der Greenpeace-Aktion steht sind hoch engagierte Personen, die bereit sind, als Aktivistin, als Einzelperson, hinzustehen und auf ein moralisches Unrecht, eine Gesetzesübertretung, hinzuweisen.

Aber diese Personen nehmen grosse juristische oder physische Risiken in Kauf, wobei wir die Sicherheit grossschreiben. Und das kann man nicht steigern. Eine neue Idee sind heute ästhetisierte Aktionen, die haben ein gutes Echo.

Beispielsweise ein Protest gegen Gentech-Weizen, wo wir ein verschneites Feld mit Fernsehern bestückten und darauf Leute per Video ihre Anti-Gentech-Statements veröffentlichten. Immer wieder solche neue Protestformen zu finden, die das Interesse der Öffentlichkeit wecken, das ist die Aufgabe.

swissinfo: Warum haben Sie diesen Job übernommen, was reizt Sie an Greenpeace?

Ich bin ein Gesinnungs-Täter. Ich habe aus verschiedenen Gründen in meinen jüngeren Jahren mit meiner jungen Familie den ganzen Horror einer drohenden Alp-Zerstörung durch einen Stausee durchgemacht.

Ich habe dort bitter lernen müssen, dass sich einzelne Leute vor Ort meistens nicht zu wehren wagen. Und wenn ich hier einen kleinen Beitrag leisten kann, dann mache ich das weiterhin.

swissinfo: Für Sie ist Lobbyieren ebenso wichtig wie Kämpfen. Ist das immer noch so?

Ja. Ein Beispiel: Wir haben im Sommer 2004 mit der Schweizer Türen-Industrie, die rund 600’000 Türen pro Jahr produziert und darin Tropenholz verwendet, einen Vertrag abgeschlossen, dass sie in Zukunft auf zertifiziertes Tropenholz umsteigen müssen.

Das ist ein kleiner Durchbruch, der nur mit dieser Mischung aus öffentlicher Aktion und dreijährigen Verhandlungen zustande kam.

swissinfo-Interview: Christian Raaflaub

Anzahl Büros weltweit: 38
Hauptsitz: Amsterdam
Mitarbeitende weltweit: 1100; Schweiz: 44
Mitglieder weltweit: 2,8 Mio.; Schweiz: 143’111
Greenpeace-Flotte: 3 Hochseeschiffe, 2 lokale Schiffe (Deutschland)
Greenpeace Schweiz ist eine gemeinnützige, unabhängige Stiftung.

Greenpeace Schweiz wurde am 5. November 1984 gegründet.

Während der letzten 20 Jahre hat die Organisation mit spektakulären Aktionen auf Umwelt-Probleme aufmerksam gemacht.

Sie setzt sich in der Schweiz in den Bereichen Atomenergie, Klimawandel, Artenvielfalt, Gentechnologie und Chemie ein.

Greenpeace International ist 1971 aus einer Protestbewegung gegen die Atomwaffenversuche der USA und Frankreichs entstanden.

Der 46jährige Kaspar Schuler ist seit 2001 Geschäftsleiter von Greenpeace Schweiz. Zuvor war er Journalist und Umwelt-Experte und lebte einige Jahre auf einer Alp.

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