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Grenzen der direkten Demokratie

Einbürgerungen an der Urne sind laut Bundesgericht verfassungswidrig. Keystone Archive

Das Bundesgericht hat die schriftliche Begründung seiner Urteile zu Einbürgerungen an der Urne vorgelegt.

Die Entscheidung der höchsten Gerichtsinstanz der Schweiz wirft Fragen nach den Grenzen der direkten Demokratie auf.

Am 9. Juli hatte das Bundesgericht Einbürgerungs-Abstimmungen für verfassungswidrig erklärt, weil den Betroffenen dabei eine Begründung vorenthalten wird.

Nun hat das Gericht die Begründung in schriftlicher Form vorgelegt – in rekordverdächtigem Tempo.

Die Frage der Zulässigkeit von Einbürgerungen an Gemeinde-Versammlungen beantwortet das Bundesgericht auch in der schriftlichen Begründung der Urteile vom 9. Juli nicht.

Urteil spaltet Schweiz

Das Verdikt spaltet die politische Schweiz. Linke und Grüne sowie die Ausländer- und die Rassismuskommission begrüssen den Entscheid aus Lausanne. Bürgerliche Kreise, vor allem rechts der Mitte, sehen die direkte Demokratie in Frage gestellt.

Geteilter Meinung sind auch die juristischen Experten. Der St. Galler Rechtsprofessor Rainer Schweizer sieht in den Urteilen des Bundesgerichts “eine Missachtung der direkten Demokratie”.

Gleichzeitig gibt es auch Befürworter des Entscheids. So zum Beispiel Ulrich Zimmerli, Staatsrechtsprofessor an der Universität Bern: “Das Bundesgericht hat vollkommen recht”, so sein Kommentar.

Offene Fragen

Wie bereits nach der öffentlichen Verhandlung heisst es, Einbürgerungen an der Urne seien unzulässig, weil sie – systembedingt – nicht begründet werden und zu Diskriminierungen führen könnten.

Zur Frage, ob Einbürgerungen an einer Gemeindeversammlung zulässig sind, obschon auch dabei kaum eine Begründung geliefert werden kann, äussert sich das Gericht ausdrücklich nicht.

“Ob und inwiefern Einbürgerungs-Entscheide der Stimmbürger an einer Gemeinde- oder Bürgerversammlung der verfassungsrechtlichen Begründungspflicht genügen können, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden”, heisst es wörtlich im Entscheid zur SVP-Initiative “Einbürgerungen vors Volk”.

Emmen stellt sich taub

Deutlich erklärt das Bundesgericht hingegen, dass Einbürgerungs-Entscheide, die an der Urne erfolgten, nicht nachträglich durch eine Dienststelle oder sonst ein Organ begründet werden können.

Die Luzerner Vorortsgemeinde Emmen hat nach der Niederlage vor Bundesgericht am 23. Juli ein Einbürgerungs-Moratorium verhängt, um die offenen Fragen zu klären.

Für die Beschwerdeführerinnen und -führer aus Emmen verstösst dies gegen die Anordnungen des Bundesgerichtes. Die Gemeinde Emmen sei vom obersten Gericht eindeutig aufgefordert worden, für die Betroffenen ein verfassungskonformes Verfahren einzurichten.

“Meines Erachtens kann dies nur heissen, unverzüglich eine Kommission einzurichten”, teilte der Anwalt der Beschwerdeführer am Donnerstag mit. Es obliege nun dem Luzerner Regierungsrat, die Gemeinde nötigenfalls zur sofortigen Einhaltung der Verfassung zu verpflichten.

swissinfo und Agenturen

In den Urteilen zur Zürcher SVP-Initiative “Einbürgerungen vors Volk” und zu den Beschwerden gegen abgelehnte Einbürgerungs-Gesuche im luzernischen Emmen hat sich das Bundesgericht am 9. Juli gegen Einbürgerungen an der Urne ausgesprochen.

Am 24. Juli legte die höchste Gerichtsinstanz der Schweiz nun ihre schriftliche Begründung für ihre Urteile vor. Bei Urnenabstimmungen sei eine Begründung zum Entscheid system nicht möglich. Deshalb seien diese verfassungswidrig.

Weiterhin offen lässt das Gericht die Frage nach der Zulässigkeit von Einbürgerungen an Gemeindeversammlungen.

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