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Grenzgänger und Asylsuchende im Fokus kantonaler Debatten

Ausländerinnen und Ausländer standen in mehreren Kantonen im Zentrum der Abstimmungen. Keystone

Gleich in mehreren Kantonen äusserte sich das Stimmvolk zu Ausländerthemen. Im Tessin und Jura wurden Grenzgänger zum Politikum, im Kanton Zürich abgewiesene Asylsuchende. 

Der Kanton Jura will Grenzgänger auch künftig nicht selber besteuern. Eine Initiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP) hatte verlangt, die pendelnden Arbeitskräfte aus dem benachbarten Frankreich an der Quelle zu besteuern. Das haben die Stimmenden mit fast 68% abgelehnt. Mit 63% angenommen wurde aber ein Gegenvorschlag von Regierung und Parlament.

In den letzten 10 Jahren hat sich die Zahl der Autos mit französischen Kennzeichen im nördlichsten Kanton der Romandie mehr als verdoppelt. Weil ein Abkommen zwischen der Schweiz und Frankreich die Besteuerung der in Frankreich wohnhaften Arbeitskräfte in acht Kantonen im Westen der Schweiz regelt, hatte die SVP eine Kündigung dieses bilateralen Vertrags mit dem westlichen Nachbarland verlangt. Gemäss diesem Abkommen werden die Arbeitnehmer in ihrem Wohnort besteuert. Als Entgelt für die Benützung der Schweizer Infrastruktur bezahlt Frankreichs Fiskus aber ein paar Prozent aus der Lohnsumme den Kantonen.

Ob sich der Systemwechsel ausbezahlt hätte, ist umstritten. Gemäss einer Studie der Universität Genf würde eine Quellenbesteuerung im Sinn der SVP zu Mindereinnahmen von mehreren Millionen führen. Die Initianten hatten die Qualität dieser Studie in Frage gestellt und mit Mehreinnahmen von mehreren Millionen gerechnet.

Die Regierung hatte die Initiative zur Ablehnung empfohlen. In ihrem Gegenvorschlag sieht sie vor, das bisherige Modell beizubehalten, aber periodisch zu prüfen, ob die Höhe der Rückvergütungen durch Frankreich anzupassen sei.

Für Härtefallkommission

Nein sagte das Zürcher Stimmvolk zu einer Initiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP, welche die sogenannte Härtefallkommission abschaffen wollte. Diese war 2009 ins Leben gerufen worden, um zu beraten, ob abgewiesene Asylsuchende ausreisen oder aus humanitären Gründen in der Schweiz bleiben dürfen. In dieser Kommission sind Personen aus Hilfswerken und Kirchen vertreten. Entscheidungsbefugnisse haben sie nicht. Wenn ihre Empfehlung nicht mit jener des Migrationsamts übereinstimmt, entscheidet der zuständige Regierungsrat.

Härtefallgesuche einreichen durften nur unbescholtene Personen, die mindestens fünf Jahre in der Schweiz leben und gut integriert sind. Im letzten Jahr waren 26 Gesuche eingereicht worden, in 22 Fällen waren sich Migrationsamt und Härtefallkommission einig. In drei Fällen entschied der Regierungsrat für eine Aufenthaltsbewilligung, ein Gesuch lehnte er ab. Der Kanton bezahlt für die Kommission jährlich 30’000 Franken.

Gegen mehr Steuern

Keine Chance haben Steuern und Steuererhöhungen derzeit im Kanton Tessin. Die Stimmenden im italienischsprachigen Kanton lehnten nicht nur die nationale Erbschaftssteuer deutlich ab, sondern sagten mit 66% auch klar Nein zu einer geplanten Erhöhung der Motorfahrzeug-Steuer in ihrem Kanton. Das Tessin hat bereits eine der höchsten Motorfahrzeugsteuern aller Kantone, während sich die Gehälter im unteren Drittel bewegen.

Nirgends ist die motorisierte Mobilität so gross wie im Tessin. Der Kantonshauptort Lugano zum Beispiel weist pro 1000 Einwohner mehr als 600 Fahrzeuge auf und belegt damit den europäischen Spitzenplatz. Viel motorisierter Verkehr passiert den Kanton auf der Nord-Südachse, und die mehr als 60’000 Grenzgänger benützen fast ausnahmslos private Fahrzeuge. Dass die Luftqualität in der Sonnenstube die schlechteste der ganzen Schweiz ist, erstaunt deshalb nicht.

Das hatte einen Staatsrat der Lega (rechtskonservative Partei) veranlasst, 16 Millionen Franken zur Förderung umweltfreundlicher Fahrzeuge einzusetzen. Finanzieren wollte er sein Vorhaben mit einer temporären Erhöhung der Motorfahrzeugsteuer. Die grosse Parlamentskammer gab ihm dafür grünes Licht, nicht aber die Jungsektionen der bürgerlichen und rechtskonservativen Parteien. Diese ergriffen erfolgreich das Referendum. Im Tessin seien die Löhne gegenüber dem Landesdurchschnitt tief, argumentierten sie, und mit der Erhöhung der Motorfahrzeugsteuer würden die Steuerzahler zusätzlich belastet.

Für  Mindestlöhne

Im Zentrum der Debatte standen die Grenzgänger auch bei einer anderen kantonalen Vorlage im Tessin, weil sie mit dem im Kanton grassierenden Lohndumping in Zusammenhang gebracht wurden.

54% der Stimmenden sagten Ja zur Initiative “Retten wir die Arbeit im Tessin” der Grünen, welche verlangt, dass in einzelnen Berufssparten Mindestlöhne eingeführt werden. Diese haben auch für die Grenzgänger Gültigkeit, damit die Firmen anstatt auf billige Arbeitskräfte aus dem südlichen Nachbarland vermehrt auf einheimische setzen. Das Tessiner Plebiszit verleiht der Mindeslohndebatte in der Schweiz neuen Auftrieb. Auf nationaler Ebene war die Mindestlohn-Initiative des Gewerkschaftsbunds im Mai 2014 an der Urne wuchtig abgelehnt worden. Im Tessin lag der Nein-Stimmenanteil damals bei 68 Prozent. Ähnliche Mindestlohn-Modelle wie künftig im Tessin gibt es bereits im Kanton Neuenburg und Jura.

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Für Ausländermotion

In der Stadt Bern können sich Ausländerinnen und Ausländer künftig auch ohne Stimm- und Wahlrecht politisch einbringen. Das Stadtberner Stimmvolk hat der Einführung der sogenannten Ausländermotion zugestimmt.

Die Ausländermotion funktioniert so, dass ein Anliegen von mindestens 200 volljährigen Ausländerinnen und Ausländern, die seit mindestens drei Monaten in Bern leben, unterzeichnet werden muss. Die Personen müssen über einen Ausweis C, B oder F verfügen.

Der Gemeinderat beantwortet die Motion und das Stadtparlament berät sie anschliessend. Wird das Anliegen angenommen, muss es von der Stadtregierung umgesetzt werden.

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