Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Groundings – Eine Hoffnungsvariante

Szene aus "Groundings", Regie: Christoph Marthaler. Keystone

Christoph Marthalers "Groundings": Der Witz sprüht, der Spott trifft, das Spiel macht Spass.

Es darf ausgiebig gelacht werden, aber in den scharf beobachteten Zürcher Verhältnissen rund um die Intendanz des Schauspielhauses sind Ansprüche und Erwartungen hoch.

Der Auftakt ist eher zäh, es stolpert und fällt der lustige Pianist, der Feuervorhang öffnet sich lange nicht. Noch einmal dran geklopft! Die Technik macht das Spielchen mit. Schon wird im Publikum auf Vorrat gelacht. Das kann ja heiter werden – in Christoph Marthalers Stück “Groundings” am Zürcher Schauspielhaus.

Aber dann endlich sieht man sie sitzen, weit hinten auf der Pfauenbühne: Ein knappes Dutzend Geschäftsmänner, eine Geschäftsfrau, Verwaltungsräte, Berater, Businessleute. Einige meint man zu kennen, noch bevor sie sich auch nur bewegen. Sogar still und stumm füllen sie problemlos die Bühne.

Rein theatermässig kann da gar nicht mehr viel missraten. Es dauert auch nicht lange bis zum ersten Szenenapplaus.

Geschäft ist Geschäft

Arg kriegen sie es ab, die Herren vom Geschäft. Wohlgeordnet tragen sie ihre Koffer von hier nach dort. Ihre Bewegungen sind koordiniert, ihre Handys geladen und griffbereit. Es sind nicht Aktenkoffer, die sie tragen, sondern grosse, sperrige Dinger. Denn die Aufführung wird zeigen, was auch die Herren vom Geschäft alles so mit sich rumschleppen an meschlichem Ballast.

Immer wieder neu formiert sich diese Herrengruppe mit Dame zu Sitzungen, Terminen, Seminaren, Projektpräsentationen und persönlichkeitserweiternden Kursen. Dazu wird beschworen, gelogen, berichtet, zitiert aus der Swissair und anderen “gegroundeten” Welten. Alles auf hohem Niveau, mit recherchierter Sachkenntnis, mit Geist, mit einer Fülle an Einfällen, alten und neuen.

Abgrund der Seele

Die künstlich unansehnliche Bühne von Anna Viebrock bringt die innere und äussere Trostlosigkeit dieser ins Schleudern geratenen Welten wiederum verblüffend treffend auf den Punkt. Schlimmer gehts nimmer.

Weder in diesem Bühnenraum noch in den Seelen der Figuren gibt es auch nur den kleinsten Punkt, auf dem das Auge gerne verweilen würde, nirgends auch nur die Hoffnung auf Ruhe, auf Gleichgewicht, auf etwas menschliches Licht. Raum und Mensch, alles ist zwar zweckvoll aufgebaut, die Einrichtung durchdacht, aber ohne wirkliche Form. Welten bar jeglicher Poesie.

In eigener Sache

“Eine Hoffnungvariante” lautet der Untertitel dieses Theaterabends. Es war mit einer Hoffnungsvariante, dass der Schauspielhausverwaltungsrat die Kündigung Marthalers zurückzog. Auch sonst fliesst etliches ein, was die Zürcher Leitungscrew zu konfrotieren hatte, während ihres eigenen, geplanten und dann aufgeschobenen Groundings.

Auf der Bühne geht es allerdings doch brutaler als damals zu. Mit einem makaberen Puppenspiel steigert sich der Abend zum Schluss in eine grenzenlose menschliche Ödnis. Beklemmend, fast nicht auszuhalten, wären da zwischendurch nicht auch respektvoll intonierte Liedchen und Lieder.

Zum Beispiel: “Es isch ja numä äsch chlyses Träumli gsy” oder “Unser Leben gleicht der Reise…”.

swissinfo und Agenturen

Das Schauspielhaus Zürich erhielt drei Einladungen zum “Theatertreffen deutschsprachiger Bühnen” in Berlin vom 2. bis zum 18. Mai 2003. Laut der Jury gehört neben “Richard III”, “Trauer muss Elektra tragen” auch “Groundings” zu den bemerkenswertesten Schweizer Inszenierungen der Spielzeit 2002/2003.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft