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Grünes Licht für Kulturgüterabkommen mit Türkei

Pascal Couchepin will in der Türkei auch den Völkermord an den Armeniern ansprechen. (Bild: RDB)

Der Schweizer Kulturminister Pascal Couchepin und sein türkischer Amtskollege Atilla Koc haben am Montag in Ankara vereinbart, ein Übereinkommen über die Rückführung von Kulturgütern auszuarbeiten.

Das Treffen bildete den Auftakt eines fünftägigen Türkei-Besuchs, bei dem Couchepin auch die Armenienfrage ansprechen will.

Das auszuarbeitende Gesetz soll den Raub und illegalen Handel von Kulturgütern eindämmen und die Beziehungen der beiden Länder verbessern, sagte Jean-Marc Crevoisier, Sprecher des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI).

Die Beziehungen hätten in letzter Zeit durch Ereignisse wie dem “Skandalspiel” zwischen beiden Fussball-Nationalmannschaften um die WM-Qualifikation am 16. November 2005 in der Türkei etwas gelitten.

Laut Crevoisier ist die Zahl der Schweizer Touristen in der Türkei im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen.

Wichtige Drehscheibe

Das Übereinkommen, das nun ausgehandelt wird, soll das sehr reiche Kulturerbe der Türkei schützen, indem es die Einfuhr der betreffenden Güter in die Schweiz regelt.

Die Schweiz nimmt auf dem milliardenschweren internationalen Kunstmarkt hinter den USA, Grossbritannien und Frankreich den vierten Platz ein. Die Türkei verfügt über bedeutende Zeugnisse der klassischen Antike, Byzanz sowie modernerer Epochen.

Das Land am Bosporus wird nach Italien und Peru das dritte Land sein, mit dem ein solches Übereinkommen abgeschlossen werden könnte.

Politisches Programm

Am Dienstag trifft Couchepin drei Minister und stattet dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan einen Höflichkeitsbesuch ab. Weiter wird er Gespräche führen mit Bildungsminister Hüseyin Celik, Arbeits- und Sozialminister Murat Basesgioglu und dem für den interkulturellen Dialog zuständigen Staatsminister Mehmet Aydin.

Mittwoch und Donnerstag reist der Bundesrat in den Südosten der Türkei, wo eine kurdische Bevölkerungsmehrheit lebt. Er trifft dort mit lokalen Behördenvertretern zusammen.

Auch besucht er von der Schweiz unterstützte Kooperationsprojekte. Am Freitag findet in Istanbul ein Treffen mit türkischen Intellektuellen statt.

Heikle Armenien-Frage

Couchepin ist innert vier Monaten der zweite Bundesrat, der in das Land am Bosporus reist. Justizminister Christoph Blocher hatte bei seiner Reise mit Äusserungen über die Antirassismus-Strafnorm im Zusammenhang mit dem Genozid des osmanischen Reiches an den Armeniern viel Staub aufgewirbelt.

Blocher hatte bedauert, dass wegen der Strafnorm in der Schweiz eine Strafuntersuchung gegen den türkischen Historiker Yusuf Halacoglu läuft. Dieser leugnet den Armenier-Genozid. Couchepin bezeichnete die Aussagen Blochers als “inakzeptabel”.

Bereits vorher hatte die Armenienfrage die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Türkei mehrmals belastet. So war Aussenministerin Micheline Calmy-Rey 2003 von der Türkei ausgeladen worden, nachdem das Waadtländer Kantonsparlament den Genozid an den Armeniern verurteilt hatte. Zwei Jahre später war auch Wirtschaftsminister Joseph Deiss in der Türkei unerwünscht gewesen.

swissinfo und Agenturen

Beim Völkermord von 1915 bis 1919 waren zwischen 800’000 und 1’800’000 Armenier durch die Türkei ums Leben gekommen.

Aus historischer Sicht ist der Genozid an den Armeniern belegt und von 21 nationalen Parlamenten anerkannt (u.a. Frankreich, USA, Russland, Italien).

Die UNO hat den Völkermord 1985 durch eine Subkommission anerkannt, das Europäische Parlament zwei Jahre später.

2003 hat in der Schweiz der Nationalrat (grosse Kammer) den Genozid an den Armeniern anerkannt.

Die Schweizer Regierung spricht nicht explizit von “Völkermord” oder “Genozid”, jedoch von “tragischen Ereignissen”, “Massendeportationen” und “Massakern”.

Das Schweizer Gesetz zum internationalen Kulturgüter-Transfer wurde am 1. Juni 2005 in Kraft gesetzt. Es setzt die UNESCO-Konvention über Massnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut um. Die Schweiz hat diese Konvention aus dem Jahre 1970 im Oktober 2003 ratifiziert.

Das Kulturgütergesetz verlangt von Kunsthändlern und Auktionsfirmen, ihre Kunden zu identifizieren. Der Zeitrahmen, in dem gestohlene Kulturgüter zurückgefordert werden können, wurde von 5 auf 30 Jahre verlängert.

Zuvor war der Schweiz vorgeworfen worden, Umschlagplatz für den Handel mit illegalen Kulturgütern zu sein.

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