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Haiti: Schweizer Schule Jacmel vor Neubeginn

Schüler der Schweizer Schule in Jacmel. (Erwin Dettling) Erwin Dettling

Das Erdbeben vom 12. Januar hat nicht nur grosse Teile der haitianischen Hauptstadt verwüstet, sondern auch weitere Städte entlang der karibischen Platte. Dazu gehört auch Jacmel an der Südküste von Haiti, wo das "Centre d’Apprentissage, Collège Suisse" unbenutzbar wurde.

Der Gründer der Schule, der Schweizer Gottfried Kräuchi, sucht Mittel und Wege, um das Institut für mehr als 1000 Schüler an einem neuen Ort wieder aufzubauen und zu erweitern.

Die dreistündige Autofahrt von Port-au-Prince nach Jacmel führt an der stark zerstörten Stadt Léogâne vorbei in die Berge.

Wenig deutet auf der Passhöhe mit Blick auf das mächtige Flussdelta von Jacmel darauf hin, dass auch in diesem Zentrum für Kunsthandwerk 500 Menschen ums Leben gekommen sind und 10’000 Familien ihre Häuser und Existenzen verloren haben. Sechs Schulen wurden beim Erdbeben zum Massengrab.

Glück im Unglück hatte das “Centre d’Apprentissage, Collège Suisse”, das Gottfried Kräuchi im Jahr 1976 gegründet hatte. Die teilweise in Holz gebaute Schule kam mit ein paar Rissen davon. Trotzdem fürchten sich Schüler, Eltern und die Lehrer noch immer, das Schulgebäude zu benützen.

Traumatisierte Schulgemeinde

Ernst Jean, der dem Führungsrat der Schweizer Schule in Jacmel angehört, führt swissinfo.ch zum neuen Schulgrundstück fünf Kilometer ausserhalb der Stadt. Das flache Stück Land mit Schatten spendenden Palmen ist 1,3 Quadratkilometer gross und hat einen Wert von 110’000 US-Dollar.

Der neue Schulgrund konnte gegen eine Anzahlung von 2500 Schweizer Franken von Angehörigen eines Schülers des Collège Suisse erworben werden. “Schüler, Eltern und Lehrer sind traumatisiert. Sie fürchten sich alle vor Betonbauten”, sagt Ernst Jean gegenüber swissinfo.ch.

Vier Monate nach dem Erdbeben besteht das Collège Suisse aus einer Reihe von Holzverschlägen mit Wellblechdächern, von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) gelieferten Zelten und einem halben Dutzend Latrinen. “Das Mobiliar haben wir mit Unterstützung verschiedener Hilfsorganisationen von der alten Schule hierher gebracht. Hier ist unsere Zukunft”, mein Ernst Jean.

Grössere und erdbebensichere Schule

Durch die provisorischen Schulbaracken pfeift der Wind. Ein paar Lehrer hängen gedankenverloren in den Bänken.

“Wir haben Mühe, die Lehrer zu halten, weil sie lukrativere Arbeit mit mehr Lohnsicherheit suchen”, erklärt Ernst Jean. Ein paar Schüler kritzeln mathematische Formeln an eine Wandtafel.

Während Ernst Jean mit seiner Equipe in Jacmel den prekären Betrieb des Collège Suisse organisiert, ist der Schulgründer Gottfried Kräuchi in der Schweiz auf Mittelsuche für das neue Schulprojekt unterwegs.

Er hofft, bald mit genügend gesammelten Mitteln nach Haiti zurückzukehren, um wenigstens mit einer namhaften Zahlung das neu erworbene Grundstück der Schule zu sichern.

“Wir wollen am neuen Ort das Collège aufbauen und vergrössern. Zielvorstellung sind 2000 Studierende, für welche wir 60 Klassenzimmer, eine Bibliothek, ein Auditorium, Labors und Nebenräume planen”, erklärt Kräuchi.

Drohende Wirbelstürme

Das improvisierte College Suisse ausserhalb von Jacmel hat dringliche Probleme zu lösen. Vor der Hurrikan-Saison im Herbst müssen die bestehenden Provisorien verstärkt werden.

“Im Januar waren wir Opfer des Erdbebens. Wir wollen vermeiden, dass wir jetzt erneut Opfer werden; diesmal der Wirbelstürme”, warnt Ernst Jean. Dringend ist auch, das neue Schulterrain mit einer erdbebensicheren Aussenmauer mit einem Aufwand von rund 70’000 Franken zu schützen.

Bildung gegen Katastrophen

Gottfried Kräuchi ist optimistisch und hat Pläne für “seine” Schule in Jacmel.

Nach der Erfahrung mit dem Erdbeben versucht er, die Berufsschulabteilung am Collège so gut wie möglich nach den neuen Bedürfnissen Haitis auszurichten.

“Das Land braucht Berufsfachleute, die etwas vom erdbebensicheren Bauen verstehen. Vielleicht können uns in einer ersten Aufbauphase des Colleges auch Schweizer Ingenieure mit ihrem Expertenwissen vor Ort helfen”, hofft Kräuchi.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Dass das Collège nach dem Erdbeben den alten Standort verlassen musste, hat auch eine gute Seite: “Zum ersten Mal sehe ich an unserer Schule die Kinder in der Pause spielen. Das war auf dem alten, lärmigen, an einer befahrenen Strasse gelegenen Schulareal nicht möglich”, meint Ernst Jean in Jacmel.

Auch Gottfried Kräuchi wagt zu träumen, dass er nach 34 Jahren Einsatz für das Collège Suisse das neue Projekt nochmals anschieben kann: “Ich war im März in Haiti. Ich sah Hoffnung. Das Leben geht weiter. Alles ist in hektischer Bewegung. Die Kinder lachen schon wieder, sind fröhlich. Aber für viele Erwachsene wird es ein langer Kampf ums Überleben.”

Erwin Dettling, Jacmel, swissinfo.ch

Die karibische Platte grenzt an mehrere andere Platten.

Die nordamerikanische drückt von Norden und Osten; im Westen wirken die Coca- und Ausläufer der Nazca-Platte.

Vom Süden her droht die Energie der mächtigen Südamerikaplatte.

Die Verschiebungen pro Jahr bewegen sich im Millimeterbereich.

Die karibischen Staaten, zu denen auch die Insel Hispanola mit den Ländern Haiti und Dominikanische Republik gehören, sind erhöhter seismologischer Tätigkeit ausgesetzt.

Der Schulbetrieb begann 1976 mit 7 Lehrern und 105 Schülern.

Das Institut mit Schweizer Wurzeln hat politische Wirren, Aufstände und ökonomische Krisen überstanden.

Heute unterrichten 35 Lehrerinnen und Lehrer mehr als 1000 Studierende.

Die Schule ist nicht auf Gewinn ausgerichtet.

Weil die Platzverhältnisse mir nur 352 m2 Fläche begrenzt sind, fand der Unterricht bisher zeitverschoben und gestaffelt statt:

– Primarschule für bedürftige Kinder, die bei begüterten Familien Hausarbeit leisten (Domestizität). Es unterrichten begabte Sekundarschüler
– Primarschule für Kinder aus der Unterschicht
– Sekundarschule für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler
– Sekundarschule für Erwachsene (zweiter Bildungsweg)

– Aufbau einer erdbebensicheren Schule 5 km ausserhalb des Stadtzentrums mit rund 60 Schulräumen
– Ausbau der Schule für bis zu 2000 Studierende
– Stärkung der Berufsschul-Abteilung und Angebot neuer Studienrichtungen: Bautechnik, Elektriker, Zimmerleute, Schlosser, Sanitär
– Errichtung eines psychologischen Dienstes für die Betreuung von Schülerinnen, Schülern, Lehrern und Eltern, die durch das Erdbeben traumatisiert sind

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