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Harter Asylkurs bringt Städte in Bedrängnis

Zürichs Stadtpräsident fordert mehr Mitsprache auf Bundesebene beim Asylwesen. Keystone

Neue Massnahmen des Bundes im Asylwesen führen zu mehr Kriminalität in den Städten. Davor warnt der Stadtpräsident von Zürich, Elmar Ledergerber.

Im Interview mit swissinfo erklärt der “Stapi” auch, dass sich Gemeinden und Städte bei der Asylpolitik auf Bundesebene ausgeschlossen fühlten.

Die Stadt Zürich will sich in der Asylfrage Gehör verschaffen. Die grösste Schweizer Stadt hat eine Vorreiterrolle inne und zeichnet sich durch pragmatische Lösungen aus.

Nach ihrem weit herum beachteten “Asylmanifest”, wo insbesondere die Arbeitsmöglichkeit für Asylbewerber gefordert wurde, und einer ersten Asylkonferenz im Jahre 2003 hat die Stadt Zürich letzte Woche zur zweiten Asylkonferenz geladen. Vertreter von über 100 Gemeinden, Städten und Nichtregierungs-Organisationen trafen sich in Olten.

Zu oft blieben die Probleme und die Kosten der von Bund und Kanton formulierten Asylpolitik an den Gemeinden hängen, heisst es in der Tagungs-Resolution. Die Städte verlangen, dass sie deshalb vom Bund in die Erarbeitung von Lösungen einbezogen werden.

Blochers Fürsorgestopp als Stadt-Problem

Die Konferenz kommt weniger als ein halbes Jahr nach der Einführung des Fürsorgestopps für abgewiesene Asylbewerber durch den neuen Justizminister Christoph Blocher.

Die Städte befürchten seither, abgewiesene Asylbewerber könnten in den urbanen Zentren abtauchen. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht des Justizministeriums geht denn auch von 1500 abgetauchten Asylbewerbern zwischen Anfang April und Ende Juli aus.

Der sozialdemokratische Stadtpräsident von Zürich, Elmar Ledergerber, will diese “Sans Papiers” nicht einfach durch die Maschen des Sozialsystems fallen lassen.

swissinfo: Die Städte fühlen sich von der Asyl-Diskussion des Bundes und der Kantone ausgeschlossen. Ist das der Fall?

Elmar Ledergerber: Ja, es ist wirklich so. Die Städte scheinen auf Bundesebene einfach nicht zu existieren. Wir müssen zwar Entscheide umsetzen, die von der Regierung und dem Parlament in Bern beschlossen werden. Aber beim Erarbeiten von Strategien und Lösungen werden wir nicht wirklich miteinbezogen.

swissinfo: In welcher Form sollten Städte und Gemeinden an der Debatte teilhaben?

E. L.: Wir müssten in einer Art konsultativer Gruppe oder in Workshops einbezogen werden. So könnten wir unsere Erfahrungen und unsere Sicht auf die Probleme und Lösungen einbringen.

Ich meine nicht, dass Hunderte von Vertretern von Städten und Gemeinden nach Bern pilgern müssten. Aber ich glaube, eine Delegation müsste in die Hauptstadt eingeladen werden, wenn die Asyl-Debatte wieder neu lanciert wird.

swissinfo: Auf Bundesebene bestehen Bestrebungen, das Asylgesetz zu verschärfen. Welche Auswirkungen wird das haben?

E. L.: Wir befürchten, dass bei einer Verschärfung der Gesetze viele Menschen, die in der Schweiz bleiben wollen, abtauchen werden. Es wird dann nicht mehr möglich sein, sie ausfindig zu machen. Sie werden in unseren Städten leben.

Einige werden sogar in die Kriminalität gezwungen werden, um zu überleben. Am Ende wird es an uns sein, diese Probleme zu lösen – und zu bezahlen.

swissinfo: Im letzten Jahr hat Zürich das Arbeitsverbot für Asylsuchende gelockert und ein Arbeitsprogramm eingeführt. Kritiker sehen darin lediglich billige Arbeitskräfte.

E. L.: Das ist total falsch. Es war nie unsere Absicht, Billig- oder Gratisarbeiter zu finden. Hunderte von Menschen in dieser Stadt hatten nichts anderes zu tun, als am Bahnhof oder auf der Strasse herumzuhängen. Das führte zu unguten Gefühlen.

Wir dachten: Wenn sie Arbeiten erledigen könnten, die sowieso anstehen, dann würden sie von der Bevölkerung anders wahrgenommen werden. Es hat funktioniert: Die arbeitenden Asylbewerber werden als Mitglieder unserer Gesellschaft wahrgenommen.

Das Programm hat als Integrationsprojekt funktioniert. Es behandelt Asylbewerbende wie Menschen und gibt ihnen die Möglichkeit zu zeigen, dass sie nicht nur unser Geld und unsere Gastfreundschaft wollen, sondern auch bereit sind, etwas zurückgeben.

swissinfo: Im April hat das Bundesamt für Flüchtlinge, das zum Justizdepartement gehört, die Auszahlung von Sozialhilfe für abgewiesene Asylbewerbende eingestellt – so sollten sie zur schnellen Ausreise bewegt werden. Welche Auswirkungen hat das auf die Stadt Zürich?

E. L.: Genau wie wir befürchtet hatten. Viele der Abgewiesenen haben die Schweiz nicht verlassen, sondern sind abgetaucht. Sie bleiben in unseren Städten, und wenn sie wirklich Hunger oder andere Probleme haben, dann müssen sich unsere Sozialdienste um sie kümmern.

Wir müssen dem humanitären Völkerrecht folgen und können diese Menschen nicht einfach hängen lassen.

Kurz: Politische Entscheide auf Bundesebene führen zu Problemen in den Städten. Wir sind darüber nicht glücklich. Die Bundesbehörden schätzen das Problem völlig falsch ein, wenn sie glauben, dass sie mit neuen Restriktionen diese Leute loswerden.

Die Asylbewerbenden sind hier. Wir müssen uns mit ihnen befassen und pragmatische Lösungen finden.

swissinfo, Katalin Fekete in Zürich
(Übertragung aus dem Englischen: Philippe Kropf)

Laut dem Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) lag die Zahl Asylsuchender Ende Juni bei 62’505 – auf dem tiefstem Stand seit 1990.

Seit dem Fürsorgestopp für abgewiesene Asylbewerber sind laut dem Justizministerium 1500 Menschen abgetaucht.

Nach der Stellung eines Asylgesuchs dürfen Asylbewerber 3 – 12 Monate nicht arbeiten. In dieser Zeit haben sie ein Taschengeld von 3 Franken pro Tag.

Zürich hat 2003 ein Arbeits-Programm eingeführt. Demzufolge können sie für rund 300 Franken im Monat bei Stadt-Unterhalt und –Reinigung helfen.

Die Verschärfung des Asylrechts durch Parlament und Regierung in Bern bereitet den Gemeinden mehr und mehr Probleme.

Zürich organisierte letzte Woche die zweite Asylkonferenz mit über 100 Vertretern aus Städten, Gemeinden und Asyl-Organisationen.

Ziel war es, dem “einseitig repressiven Kurs” in der Asyl- und Migrationspolitik “konstruktive Alternativen” entgegenzustellen.

Die Städte fühlen sich von Bern übergangen und fordern deshalb mehr Mitsprache im Asylwesen.

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