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Heftiger Streit zwischen Nachbarn

Keystone

Die Steueramnestie in Italien sorgt für Aufregung. Insbesondere am Finanzplatz Tessin hat man keine Freude an der rigorosen Haltung Roms. Angedrohte Retorsionsmassnahmen gegenüber Grenzgängern kommen wiederum im italienischen Grenzgebiet schlecht an.

Die neue Steueramnestie der Regierung Berlusconi sorgt auf dem Finanzplatz Tessin seit Wochen für Aufregung. Ähnlich wie der ehemalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück hat der italienische Finanzminister Giulio Tremonti scharfes Geschütz gegen den Finanzplatz Schweiz aufgefahren.

Tremonti erklärte, „den Bankenplatz Lugano trockenlegen” und „den Schatz in den Höhlen von Ali Baba” räumen zu wollen. Im Gegensatz zu Deutschland hat Italien mit seiner Steueramnestie eine konkrete Massnahme ergriffen, um Schwarzgeld der eigenen Bürger, das möglicherweise in der Schweiz liegt, zu repatriieren.

Diese Steueramnestie (ital. “Scudo fiscale”) ist die dritte ihrer Art seit dem Jahr 2001. Aber sie ist besonders attraktiv für potenzielle Steuersünder: Nur 5 Prozent Bussgeld müssen bezahlt werden. Im Gegenzug sieht der italienische Staat von einer strafrechtlichen Verfolgung der Steuerzahler ab. Die Frist läuft bis 15.Dezember. Eine Vermögenssteuer kennt Italien nicht.

Tessin will sich wehren

Während der italienische Staat hofft, mit diesem Scudo Milliarden an nicht-deklarierten Vermögen nach Hause zu locken und in den Wirtschaftskreislauf einschleusen zu können, sieht sich der Finanzplatz Tessin mit einem möglichen, starken Abfluss an Kundengeldern konfrontiert. Das Tessin ist ein klassischer Off-Shore-Platz für italienischen Kunden.

Besorgt über die Entwicklungen ist nicht nur die Tessiner Bankiervereinigung, sondern auch der Tessiner Staatsrat. In einem Brief an Bundespräsident Hans-Rudolf Merz bat man, der Bundesrat solle auf diplomatischem Weg gegenüber Italien aktiv werden. Merz sagte seine Unterstützung zu.

Dabei geht es nicht so sehr um die Massnahme der Steueramnestie als solche, die wegen ihrer Häufigkeit zwar fragwürdig, aber in der Sache durchaus nachvollziehbar ist. Im Vordergrund stehen die verbalen Attacken gegen die Schweiz und die staatlichen Einschüchterungsmethoden gegenüber Bürgern, die potentielle Kunden von Schweizer Bankinstituten sind.

„Terrormethoden”

Dazu gehören Überwachungskameras an den Grenzposten, die sämtliche Autonummern festhalten. Die italienischen Ermittler wollen so Druck auf ihre Landsleute ausüben, die Konten in der Schweiz unterhalten. Auch von italienischen Zivilfahndern ist die Rede, welche die Eingänge von Bankinstituten überwachen, um italienische Bankkunden in der Schweiz zu ermitteln.

Diese Methoden hat der Tessiner Nationalrat und FDP-Präsident Fulvio Pelli in einem offenen Brief, der dieser Tage in der grössten italienischen Tageszeitung „Corriere della Sera” erschien, als „Terror” kritisiert. Er bemängelt zudem, dass Italien seine Amnestie ohne jegliche Vorabsprache mit der Schweizer Regierung getroffen habe.

Gegeisselt wird auch eine „Desinformationskampagne” von Seiten der italienischen Medien, indem beispielsweise das Bankkundengeheimnis bereits für beendet erklärt wurde. Die Tessiner Bankiervereinigung hat in der italienischen Wirtschaftszeitung „Il Sole 24 ore” eine Gegenoffensive mit Inseraten lanciert.

Reaktion und Gegenangriff

Zudem ist im Tessin in jüngster Zeit der Ruf nach Retorsionsmassnahmen lauter geworden, zuerst von Seiten der rechtsgerichteten Lega die Ticinesi. Doch inzwischen schlugen auch die Fraktionspräsidenten im Tessiner Grossen Rat (mit Ausnahme der SP) vor, den Rückbehalt an Quellensteuer für Grenzgänger zu erhöhen.

Damit würde weniger Geld an deren italienischen Wohngemeinden fliessen, heisst es. Immerhin 44’000 Personen kommen jeden Tag über die Grenze und arbeiten im Tessin. Einige Gemeindepräsidenten auf italienischer Seite reagierten scharf auf diesen Vorschlag.

Es sei nicht richtig, dass ein staatspolitisches Problem auf oberster Ebene von den Grenzgängern und deren Heimatgemeinden ausgebadet werde.

Tremonti wiederum sucht nach den Reaktionen aus der Schweiz nicht den Dialog, sondern ist zum Gegenangriff übergangen und hat angebliche Umgehungspraktiken der Schweizer Banken beim EU-Zinsbesteuerungsabkommen kritisiert.

Gerhard Lob, swissinfo.ch

In Italien schätzt man, dass dank der dritten Steueramnestie 86 Milliarden Euro repatriiert werden können, 60 Prozent davon aus der Schweiz. Diese Annahme machte PricewaterhouseCoopers Advisory am 19.Oktober bei einem Forum der Vereinigung italienischer Privatbankiers.

Die italienische Presse unterstützt grossmehrheitlich den Kurs der Regierung Berlusconi in Bezug auf die Steueramnestie. Der „Corriere della Sera” spricht von einem „Angriff Tremontis auf das Bollwerk Schweiz.” Der Historiker und Intellektuelle Sergio Romano von einem „rückwärtsgerichteten Kampf der Eidgenossen um das Bankgeheimnis.”

Der Tessiner Ständerat Dick Marty (FDP) erklärte, dass die italienische Steueramnestie in ihrer jetzigen Form nicht erfolgen könnte, wenn die Schweiz EU-Mitglied wäre. Dies zeige das Vorgehen Italiens in Ländern wie Luxemburg und Österreich.

Viele der über 70’000 im Tessin lebenden Italiener seien verärgert über die Offensive der italienischen Regierung auf den Schweizer Finanzplatz. Das sagt der Präsident der Ausland-Italiener im Tessin, Lucio Barresi. Und er fordert die Tessiner Behörden auf, die Steueramnestie mit Gegenmassnahmen zu kontern.

Barresi lancierte n einem Interview im „Corriere del Ticino” einen Appell an seine Landsleute: Wer von der italienischen Steueramnestie Gebrauch mache, solle die legalisierten Gelder nicht nach Italien überführen, sondern in der Schweiz investieren.

Er rät zu Investitionen in Privatkliniken und Forschungslabors, in erneuerbare Energien sowie in die Schaffung eines Messegeländes, um Synergien mit der Expo 2015 in Mailand zu nutzen.

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