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Helvetische Vielfalt im ungarischen Eger

Ágnes Horváth mit zwei Studierenden im Swiss Point von Eger. swissinfo.ch

Im ungarischen Eger entsteht ein "Swiss Point" als Treffpunkt für Jugendliche, die sich für helvetische Kultur interessieren. Das Projekt wird mit Beiträgen aus dem Partnerschaftsfonds des Schweizer Erweiterungsbeitrags unterstützt.

Woran denken Schweizer, wenn der Name der Stadt Eger im Nordwesten Ungarns fällt? Doch zuerst an den Egri Bikaver, neben dem Tokaier Ungarns berühmtester, schwerer Rotwein, auch “Stierblut” genannt. Aber woran denken Jugendliche in der Region Eger, wenn sie über die Kirchturmspitzen der Stadt hinaus nach der politischen und kulturellen Vielfalt Europas Ausschau halten?

Nicht zuletzt an die Schweiz, wenn man den Beteuerungen Ágnes Horváths, der Präsidentin der Lehrerschaft der Vereinigung Agria Universitas, glauben will: “Ob Zusammenleben in der Mehrsprachigkeit, Konkordanzdenken oder politisches Engagement auch auf Gemeindeebene – aus ungarischer Sicht wird in der Schweiz Multikulturalität täglich praktiziert und unterliegt dabei klaren Regelungen.” In Ungarn hingegen gebe es noch viel Unerledigtes in diesem Bereich.

Es geht, betont Ágnes Horváth, um das Interesse für kulturelle und sprachliche Vielfalt und Toleranz, soziale Integration und eine entsprechende Politik des täglichen Zusammenlebens – “was uns in dieser Kombination eben an die Schweiz denken lässt”.

Am Anfang eine Bücherdonation über Pro Helvetia

Eger, aus der römischen Kolonie Agria entstanden, ist eine malerische, touristisch reizvolle Kleinstadt. Egers Jugendliche aber wollen Zugang zur Welt, sagt Horváth: “Ungarns Schullehrplan ist sehr umfassend, aber das Thema Multikulturalität, auf das die Jugend so anspricht, ist nicht vorgesehen.”

Vor ein paar Jahren hatte Ágnes Horváth die Idee, in einem renovierten grossbürgerlichen Traditionshaus, das für europäische Studien vorgesehen ist, auch ein ‘Swiss Center’ einzugliedern. Dieses sollte einen Zugang zu den schweizerischen Themen ermöglichen – über Literatur, Diskussionen und Austausch von Gästen und Studenten. Doch für den Betrieb eines solchen Centers, welches das Tor zur Welt öffnen sollte, braucht es Geld.

2008 konnte der der ehemalige ungarische Botschafter in der Schweiz, Laszlo Odor, von der der Stiftung Pro Helvetia eine Schenkung von rund tausend Schweizer Büchern zugunsten des Swiss Centers in der Stadt Eger in Empfang nehmen.

Im Anschluss daran gab Horváth bei der Ungarischen Entwicklungsagentur, die ihre Arbeit eng mit dem Budapester Büro für den Schweizer Erweiterungsbeitrag koordiniert, ein Projektkonzept ein. Partner sind die Stadt Eger einerseits und auf Schweizer Seite die Gesellschaft Helvetia-Hungaria (GHH).

Die GHH, 1930 in der Schweiz entstanden und 1991 nach dem Fall des Kommunismus neugegründet, berät als Schweizer Partner dieses Projekt. “Die Projektleiterin Ágnes Horváth hat uns angefragt”, sagt GHH-Vizepräsident Peter Guha gegenüber swissinfo.ch, “denn in unserem Verein gibt es Leute, die zu ihrem Projekt einen Beitrag leisten können.”

“Dank dem Partnerschaftsfonds können wir auch kleinere Projekte unterstützen, die aber langfristig eine grosse Wirkung haben können und dem Erweiterungsbeitrag ein Gesicht geben. Der Austausch von Ideen steht im Vordergrund, mit dem Ziel, Probleme länderübergreifend angehen zu können”, sagt Liliana de Sá Kirchknopf, Leiterin des Schweizer Büros in Budapest, das die Unterstützungsleistungen aus dem sogenannten Erweiterungsbeitrag koordiniert.

Von Dürrenmatt bis Finanzplatz

Guha selbst war Mitte Oktober an der Eröffnung dieses Swiss Point im renovierten Bürgerhaus in Eger eingeladen. Noch immer riecht es nach frischer Farbe im Schweizer Zimmer, in dem die Sammlung von Büchern über Alpen, Dürrenmatt, Föderalismus bis Zürcher Finanzplatz steht.

Eine Kollektion, die man in dieser Fülle kaum in einer Stadt wie Eger vermuten würde. Nun kategorisiert eine von der GHH beauftragte Bibliothekarin die Bücher, um eine ordentliche Ausleihe zu ermöglichen.

Als Pädagogin weiss Horváth, dass das Erlernen von tolerantem Verhalten gerade im Schul- und Studienalter für Jugendliche einen grossen Wert darstellt. Für Tausende  Mittelschüler und Studierende soll das Swiss Center mit seiner Bücher-Sammlung als nichtformelles Lernstudio dienen – “damit auch ihnen etwas der Horizont aufgeht”.

“Non formal Learning”

Um die politische Kultur in ihrer Region zu verbessern, offerieren die Vereinigung “Agria Universitas” und das Eszterhazy Karoly College bereits Wettbewerbe und Lehrprogramme. “Es genügt nicht, nur darüber zu lesen”, so Horvath, “man muss darüber auch im Kreis der Interessierten diskutieren können. Wir möchten auch Experten aus der Schweiz einladen oder schweizerische und ungarische Studierende in Austauschprogramme schicken können, damit nicht alles Theorie bleibt.”

Horváth plant, mit zwei Programmen zu starten: Eines für 14- bis 18-Jährige, da die Region Eger 16 höhere Schulen umfasst. Und ein zweites für College-Studierende älter als 18 Jahre.

Es gebe auch Sponsoren wie Genossenschaften und Firmen aus der Gastronomie, dem Bau-, Finanz- und Beratungswesen. “Philantropische Schenkungen können in Ungarn bis zu 150% von den Steuern abgezogen werden. Weil Agria Universitas eine Vereinigung ist, wird das bei uns sehr transparent gehalten, und neue Partner können einfach einbezogen werden.”

Das Swiss Center-Projekt in Eger wird aus dem Partnerschaftsfonds des Schweizerischen Erweiterungsbeitrags (“Kohäsionsmilliarde”) unterstützt.

Dieser Fonds gibt dem Erweiterungsbeitrag ein Gesicht, indem er Partnerschaften zwischen Städten, NGOs, Vereinen, Schulen oder Institutionen ermöglicht, und den sozialen Dialog fördert.

Für diese Projekte werden 2,8 der insgesamt 130,7 Mio. Franken für Ungarn vorgesehenen Beiträge vorgesehen, wobei pro Projekt in der Regel 10’000 bis 100’000 Fr. vorgesehen sind.

Als Kriterien für die Beurteilung gelten die Ziele des bilateralen Rahmenabkommens Schweiz-Ungarn, beidseitiger Nutzen und das Verfolgen nachhaltiger Ziele.

Ungarn zählt 10 Mio. Einwohner auf eine Fläche von 93’000 Quadratkilometern.

2009 betrug die Kaufkraft im Verhältnis zum EU-Durchschnitt 65%.

GHH war 1930 gegründet worden. 1991, nach der Öffnung (Mittel-)Osteuropas, wurde die Gesellschaft neugegründet.

GHH will die freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Ungarn fördern. Auf dieser Basis sollen Unterstützungs- und andere Projekte durchgeführt werden.

Vor allem in den Bereichen Humanitäre Hilfe, Bildung, Kultureller Austausch, und der Pflege wirtschaftlicher Beziehungen.

Die GHH hat in der Schweiz fünf und in Ungarn vier Sektionen.

Unterstützt werden auch die ungarischen Minderheiten in Rumänien, Ukraine und der Slowakei.

Die Schweiz unterstützt Ungarn für die Jahre zwischen Ende 2007 und 2012 mit rund 131 Mio. Franken. (Zum Vergleich: Die EU-Fördergelder 2007/13 betragen 22,9 Mrd. Euro).

Das Schweizer Geld stammt aus dem Erweiterungsbeitrag (“Kohäsionsmilliarde”), den das Schweizer Stimmvolk 2006, zwei Jahren nach dem EU-Beitritt der neuen Länder (Mittelost-)Europas, genehmigt hat.

Die Mittel sind zur Verminderung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten bestimmt. Sie werden nicht einfach zur Verfügung gestellt, sondern gehen über ein transparentes, aber aufwändiges Auswahlverfahren in konkrete Projekte in den Bereichen Sicherheit, Stabilität, Reformen, Umwelt, Infrastruktur, Privatsektor-Förderung sowie menschliche und soziale Entwicklung.

Mindestens 40% der Mittel sollen in strukturschwache Regionen im Norden (Nördliche grosse Tiefebene) und Osten eingesetzt werden.

Die Umsetzung der Projekte wird vom Schweizer Erweiterungsbeitragsbüro in Budapest begleitet. Es koordiniert seine Arbeit mit dem Ministerium für Nationale Entwicklung.

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