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Herausforderung urbane Kriminalität

Städte sind soziale Brennpunkte - und Polizisten nicht immer eine Lösung. Keystone

Delikte an jeder Strassenecke und Angst der Leute: Die Kriminalität ist ein Zeichen für komplexe gesellschaftliche Probleme – und setzt die Städte unter Druck.

Die Städtischen Polizeidirektoren und Spezialisten haben an einem Treffen Impulse für Lösungen im Bereich der Stadt-Kriminalität gesucht.

“Eigentlich gibt es kein spezifisch städtisches Delikt – einzige Ausnahme ist der Vandalismus in den Trams.” Esther Maurer, Stadträtin und Polizeichefin der Stadt Zürich, provozierte an der Tagung am Freitag in Zürich absichtlich. Es gehe bei den Problemen in den Städten um viel mehr als um Kriminalität, so Maurer.

“Die ersten Voraussetzungen für Sicherheit in der Stadt sind nicht polizeilich”, gab der Zürcher Stadtpräsident Elmar Ledergerber zu bedenken. “Es braucht soziale Sicherheit, wirtschaftliche Sicherheit und strukturelle Voraussetzungen wie Minderheitenschutz.”

Eine grosse Herausforderung sei beispielsweise der Kriminaltourismus, der seinen Ursprung im enormen Einkommensgefälle zwischen verschiedenen Ländern habe.

In der Stadt Zürich leben über 300’000 Menschen. Es ist das grösste urbane Zentrum der Schweiz, viele Probleme zeigen sich deshalb verschärft. Oder in den Worten von Esther Maurer: “Statt Stummeln von gerauchten Joints liegen gebrauchte Spritzen herum.”

Organisiert hatte die Tagung in Zürich die Konferenz der städtischen Polizeidirektorinnen und Polizeidirektoren (KSPD). Es nahmen rund 80 Vertreter von verschiedenen Polizeikorps, Verwaltungen, Behörden, Juristen und Politikerinnen teil – das Interesse reichte weit über Zürich hinaus.

Bevölkerung ernst nehmen

“Es darf nicht sein, dass ganze Stadtteile verslumen”, sagte Hans Martin Tschudi, Regierungsrat und Vorsteher der Justiz-Departements des Kantons Basel-Stadt. “Dazu braucht es die nötigen Ressourcen und die richtige Politik”, forderte er.

“Das Gefühl von Unsicherheit ist nicht irrational”, warnte Martin Killias, Kriminalistik-Professor an der Universität Lausanne. Gerade wenn sich Frauen unsicher fühlten, dürfe das nicht einfach – sexistisch – als frauentypisch abgetan werden.

Quartier-Polizist soll bestehende Gesetze durchsetzen

Angst und Unsicherheit hätten einen engen Zusammenhang mit Unrat und Sprayereien: “Graffitis haben eine Signalfunktion: Täter als auch Opfer werden signalisiert, da ist eine Zone, wo man verbotene Dinge tun kann und niemand tut etwas.” Seine Forderung: “Die Polizeipräsenz muss sich nach den Quartieren ausrichten.”

Maurer verwies gegenüber swissinfo auf ein Community-Policing-Projekt der Stadtpolizei, wo Beamte im Quartier bekannt und zu Fuss unterwegs sind. “Quartierpolizei machen wir schon seit einigen Jahren.” Ein ähnliches Projekt “Gemeinsam für Sicherheit” läuft seit 3 Jahren in Bern – allerdings sind die Polizisten nicht zu Fuss unterwegs, sondern in einem speziell gekennzeichneten Auto.

Probleme Stadt – Kanton…

Die Polizeiarbeit wird nicht nur durch die Anonymität einer Stadt erschwert, auch strukturelle Probleme wurden am Freitag angesprochen.

So sind beispielsweise in verschiedenen Regionen Bestrebungen im Gang, die Gemeindepolizei (Stadtpolizei) in die kantonalen Korps zu integrieren. Aus der Sicht von Hans Hollenstein, Direktor der Polizei Winterhur, geht diese Entwicklung in eine falsche Richtung. “Die Polizei muss die lokalen Besonderheiten kennen”, betonte er.

… und Kanton – Bund

Tschudi ortete die grossen strukturellen Probleme anderswo. “Kriminalität in unseren urbanen Zentren agiert grenzüberschreitend, aber die Strafverfolgung ist immer noch föderalistisch organisiert”, so seine Kritik.

Er verwies auf die 29 verschiedenen Strafprozessordnungen (SPO) – 26 kantonale und 3 des Bundes. Oft seien nicht einmal die Computer-Systeme der Polizeien untereinander kompatibel, oder Datenschutz-Gesetze verhinderten die Weitergabe von Daten.

Dem Bund mehr Kompetenzen zu übertragen, davon will er aber auch nichts wissen. “Bis die Bundeskriminalpolizei einige grosse Fälle abgeschlossen hat, soll sie keine weiteren Mittel erhalten. Aufwand und Ertrag waren bis jetzt noch nicht so gut.”

Vor einigen Monaten war im Rahmen USIS, des Projektes zur “Überprüfung des Systems der Inneren Sicherheit der Schweiz”, die Schaffung einer Bundespolizei, also eines Polizeikorps auf Bundesebene, diskutiert worden. Die Bundespolizei stiess auf erbitterten Widerstand der Kantonspolizeien, bis die Regierung entschied, stattdessen das Militär mit Bundesaufgaben zu betrauen.

Alle Experten sind sich aber einig, dass die föderalistische Struktur auch grosse Vorteile hat: “Die Polizei ist sehr nahe bei der Bevölkerung, sie kennt die lokalen Strukturen, kann ihre Einsätze besser planen”, sagte stellvertretend Judith Fischer, Leiterin von USIS.

Neue Herausforderungen und alte Probleme

An die Grenzen kommt die bisherige Struktur an Grossanlässen wie dem World Economic Forum oder dem G-8 Treffen in Evian. “Das war sehr schwierig”, urteilt Fischer. “Der Einsatz war nicht alltäglich – aber mit der Fussball-Europameisterschaft kommt wieder etwas Ähnliches auf uns zu.”

Allerdings: Auch vor Globalisierungs-Debatten und Grossanlässen litten die Städte unter Problemen. “Schon im Mittelalter gab es in den Städten mehr Kriminalität als in den umliegenden ländlichen Gebieten”, erklärte Martin Killias. Die Stadt ziehe mit ihrer Zentrumsfunktion Täter, aber auch Opfer an. “Die Stadt ist nicht der Grund für die Kriminalität, aber der Schauplatz der Delikte.”

swissinfo, Philippe Kropf, Zürich

Die Zahl der Delikte nimmt in der Schweiz jährlich durchschnittlich um 0,3% zu.
Die Statistiken variieren stark von Region zu Region.
So gibt es z.B in Winterthur deutlich weniger Entreiss-Diebstähle und Körperverletzungen als in St. Gallen. Dabei sind die beiden Städte etwa gleich gross.

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