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Hilfswerke fordern Menschenrechtsinstanz

Die Immigrationpolitik der Schweiz (hier eine bulgarische Familie, die abgeschoben wird) ist bei den NGOs umstritten. Keystone

Dreissig Schweizer Hilfswerke verlangen, in der Schweiz eine unabhängige Menschenrechtsinstanz einzurichten. Sie kritisieren den "Kantönligeist" bei der Umsetzung der Menschenrechte.

Der Bericht der Hilfswerke zur Menschenrechtssituation in der Schweiz steht im Zusammenhang mit der anstehenden Überprüfung der Schweiz durch den UNO-Menschenrechtsrat.

“Wenn wir die Schweiz mit Ländern mit schweren Menschenrechtsverletzungen vergleichen, können wir sagen, dass wir in einem Land leben, in dem die Menschenrechte allgemein anerkannt sind. Und das ist gut”, sagte Sandra Imhof, Koordinatorin der Koalition der Nichtregierungsorganisationen (NGO), gegenüber swissinfo.

Die Schweiz tue auf internationalem Niveau viel. Die Menschenrechte spielten im Bereich der Aussenpolitik eine wichtige Rolle. “Dies ist aber in der Innenpolitik nicht der Fall. Wir fordern die Schweizer Regierung auf, das zu ändern”, sagte Imhof weiter.

“Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit in der internationalen Arena, aber auch ein Frage des inneren Zusammenhalts. Wir müssen diesen Zusammenhalt gewährleisten – das ist eine der grossen Herausforderungen, denen sich die Schweiz zu stellen hat.”

Fehlende nationale Menschenrechtspolitik

Die NGOs, darunter die Schweizer Sektion von Amnesty International, die Schweizerische Flüchtlingshilfe und Terre des hommes, kritisieren in ihrem Bericht das Fehlen einer nationalen Menschenrechtspolitik. Die Schweiz habe “Defizite” bei der Umsetzung der Menschenrechte.

Sie fordern deshalb eine unabhängige Menschenrechtsinstanz. Diese könnte ein Monitoring der Menschenrechtssituation sicherstellen.

“Während der Bund für die Ratifizierung der Abkommen (über Menschenrechte) verantwortlich ist, obliegt es hauptsächlich den Kantonen, die eingegangenen Verpflichtungen umzusetzen”, schreiben die NGOs am Dienstag in dem der UNO übergebenen Bericht.

Dies gelte vor allem für “Schlüsselbereiche” wie Bildung, Polizei, Gesundheit und Strafvollzug. Zwar setze sich die Schweiz international für Menschenrechte ein, auf nationaler Ebene sei dieser Einsatz aber “weniger ausgeprägt”.

Unklare, uneinheitliche Aufgabenteilung

Auf nationaler Ebene fehlten konkrete Aktionspläne. Zudem bleibe “die Aufgabenteilung zwischen den verschiedenen Abteilungen der Bundesverwaltung und den kantonalen Regierungen weitgehend unklar und uneinheitlich”.

Der NGO-Bericht wurde im Hinblick auf die Überprüfung der Schweiz durch den UNO-Menschenrechtsrat veröffentlicht, die im Mai auf der Tagesordnung steht. Alle 192 UNO-Mitglieder müssen sich periodisch unter die Lupe nehmen lassen. Die NGOs sind dabei eingeladen, ihre Sicht darzulegen.

Ausländer, Frauen, Kinder

Einen grossen Platz im Bericht der NGOs nimmt das verschärfte Asylrecht ein mit Sozialhilfestopp sowie Abschiebehaft für Minderjährige von bis zu einem Jahr und von bis zu zwei Jahren für Erwachsene.

Kritisiert wird auch die Praxis, auf Asylanträge von Menschen ohne gültige Papiere nicht einzutreten, dies sei ein Verstoss gegen die Flüchtlingskonvention.

Ferner kritisieren die NGO eine fortgesetzte Diskriminierung von Ausländern, Frauen und Randgruppen sowie Polizeigewalt oder die Vorbehalte der Schweiz bei den Kinderrechten. So seien Körperstrafen gegen Kinder innerhalb der Familie formell nicht verboten.

Soziale Rechte einklagen

Die Schweiz müsse mehrere UNO-Konventionen unterzeichnen so etwa zum Schutz von Wanderarbeitern und Behinderten sowie gegen das “Verschwindenlassen” von Menschen. Zudem müssten wirtschaftliche, soziale und ökonomische Rechte einklagbar werden, fordern die NGOs.

Es brauche auch ein griffiges Anti-Diskriminierungsgesetz und Strategien gegen Rassismus und Ausländerhass. Die Verfasser des Berichts halten auch fest, dass die Bevölkerung wenig über Menschenrechte wisse. Die 30 Organisationen fordern, dass die Kinder in den Schulen unterrichtet werden.

swissinfo und Agenturen

Die NGOs legten ihren Bericht am Tag der Vernehmlassung dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) vor.

Solche Anhörungen finden auch mit den Kantonen statt sowie mit vier ausserparlamentarischen Kommissionen (Frauenfragen, Migration, Jugend, Rassismus) und den zwei aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments.

Sie sind Teil eines umfassenden Prozesses, dem sich die Schweiz im Hinblick auf die Überprüfung durch den UNO-Menschenrechtsrat unterwerfen muss. Die UNO-Mitglieder müssen sich diesem Verfahren künftig alle vier Jahre unterziehen.

Der Bericht der NGOs ist Teil und Grundlage für die Überprüfungs-Diskussion. Ergänzt wird diese durch Dokumente von UNO-Gremien und durch einen von der offiziellen Schweiz verfassten Bericht.

Der Bericht über die Schweiz wird am 25. März im Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen übergeben. Am 8. Mai wird die Schweiz geprüft, während der zweiwöchigen Sitzung des Menschenrechtsrats in Genf.

Die erste dieser periodischen Menschenrechtsüberprüfungen wird auch mit Algerien, Argentinien, Bahrain, Brasilien, Equador, Finnland, Grossbritannien, Indien, Indonesien, Marokko, den Niederlanden, den Philippinen, Polen, Südafrika, Tschechien und Tunesien durchgeführt.

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