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Immer noch Sorgen um Arbeitsplatz-Sicherheit

Die Wirtschaft zieht zwar wieder an, doch bei vielen bleibt die Sorge um die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Keystone

Die Schweiz hat zwar den Tiefpunkt der Wirtschaftskrise vermeiden können, doch die Sorgen der Arbeitnehmer um ihre Job-Sicherheit ist deswegen nicht verschwunden. Das zeigt eine wissenschaftliche Umfrage.

Laut dem HR Barometer von Forschern der Universität Zürich und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) machen sich rund 30 Prozent der Befragten Sorgen um ihren Arbeitsplatz. 10 Prozent davon sind äusserst besorgt.

Gemäss der vor wenigen Tagen veröffentlichten Umfrage befürchtet ferner die Hälfte der Befragten eine Zunahme ihrer Arbeitslast, und fast 30 Prozent glauben, dass ihre Karrierechancen in der Zukunft schwinden werden.

Solche Ängste überraschen angesichts der lediglich 3,6 Prozent hohen Arbeitslosigkeitsrate im Februar dieses Jahres. Im Januar 2011 war sie noch 3,8 Prozent. Die Arbeitslosenzahlen in der Schweiz liegen weit unter dem Durchschnitt von 8,5 Prozent der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Letzte Woche prognostizierte die Konjunkturforschungsstelle der ETHZ für das laufende Jahr einen zweiprozentigen Zuwachs des Bruttoinlandproduktes.

“Hinter der oberflächlich betrachtet scheinbar stabilen Arbeitsmarktlage in der Schweiz lauern einige Ungewissheiten”, erklären die Autorin und der Autor des HR Barometers, Gudula Grote und Bruno Staffelbach.

Ständige Sorgen

Grote, ordentliche Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie im Departement Management, Technology and Economics an der ETH Zürich, weist darauf hin, dass auch andere Indikatoren, wie der alljährlich publizierte Credit Suisse-Sorgenbarometer, Sorgen um die Jobsicherheit aufzeigt, sogar in wirtschaftlich guten Jahren wie 2004-2006.

“Ich glaube, es gibt ein allgemeines Gefühl, dass man seine Arbeit verlieren könnte, besonders wenn man einen guten Job hat”, sagt Grote gegenüber swissinfo.ch. “Vielleicht sind hierzulande die Leute generell ein bisschen ängstlicher. Das könnte auch ein Element sein.”

Ein weiterer Faktor ist, dass die Online-Befragung von fast 1500 Leuten im April vergangenen Jahres durchgeführt wurde, als der wirtschaftliche Aufwärtstrend noch nicht so stark wie heute war. “Dennoch sind die Leute ein bisschen mehr besorgt als in den vorhergegangenen Jahren. Wir hatten in den Krisenjahren 2008 oder 2009 stärkere Veränderungen erwartet”, so Grote.

Diese Anomalität könnte darauf beruhen, dass Massnahmen wie Kurzarbeit die Krisenperiode überbrücken konnten, länger dauernde Massnahmen aber erst später gespürt wurden, meint die Professorin.

Kettenreaktion

Unsicherheit bewirkt Domino-Effekte auf die Arbeitgeber, sagen die Autoren des HR Barometers. “Eine ganze Reihe positiver Dinge, die Arbeitgeber möchten, nämlich dass die Leute zufrieden, für den Betrieb engagiert sind und nicht daran denken, den Job zu kündigen, geraten wegen des grösseren Gefühls der Unsicherheit ins Wanken”, sagt Grote.

Die Leute arbeiteten eher weniger produktiv, wenn sie sich ihres Jobs unsicher fühlen, sei es wegen generellen Ängsten um die Zukunft des Betriebs oder wegen Befürchtungen hinsichtlich Karriere-Entwicklung. Dies sagt José M. San José, Sprecher des Zeitarbeitskonzerns Adecco. Die in der Schweiz führende Human Resources Firma war Hauptsponsor des HR Barometers.

Vertrauen spiele eine sehr wichtige Rolle, so der Adecco-Sprecher gegenüber swissinfo.ch. “Es braucht mehr Information und Transparenz, damit die Leute wissen, was sie erwartet.”

Kommunikation mit dem direkten Vorgesetzten sei oft der Schlüssel. “Wir wissen aus statistischen Erhebungen, dass ein Arbeitnehmer grundsätzlich wegen der Firma zu einem Betrieb kommt und diesen wegen des direkten Vorgesetzten verlässt.”

Chefs sollten sich deshalb offen und konstruktiv zeigen bei Forderungen ihrer Mitarbeiter nach Karriere-Entwicklung, Ausbildung oder flexibler Arbeitszeit, empfiehlt der Adecco-Sprecher.

Stellenwert der Arbeit

2010 eruierte der Credit Suisse-Sorgenbarometer Arbeitslosigkeit als grösste Sorge der Schweizerinnen und Schweizer: 76 Prozent der Befragten äusserten sich entsprechend; die höchste je ausgemachte Zahl, welche die Bank der Finanzkrise zuschreibt.

Insbesondere die höhere Arbeitslosenrate (mit 4,5 Prozent im Januar 2010 auf Rekordhöhe), die Abhängigkeit der Exportwirtschaft und die schwierige wirtschaftliche Lage der wichtigsten Handelspartner der Schweiz, vor allem in Europa, wären die Faktoren gewesen, die zu Unsicherheit geführt hätten, so die Bank in einem Online-Kommentar.

Arbeitslosigkeit ist indessen schon seit 2003 die Sorge Nummer eins bei den Leuten. “Arbeit heisst für den Durchschnittsschweizer nicht nur Geld verdienen; es ist auch eine Aktivität, welcher die Leute eine grosse Wichtigkeit beimessen”, schreibt die Credit Suisse.

“Qualität und Präzision – und die wirtschaftlichen Vorteile, die das bringt –  sind zwei der Schlüsselfaktoren nationaler Identität in der Schweiz, gemeinsam mit Neutralität und Demokratie, natürlich.”

Für dieses Jahr erwartet die Bank erneut Arbeitslosigkeit als Top-Sorge der Leute und prognostiziert eine wachsende Besorgnis über soziale und persönliche Sicherheit sowie Immigration.

Der Schweizer Human-Relations Barometer zeigt die Erfahrungen von Arbeitnehmenden in der Schweiz. Im Mittelpunkt stehen Themen wie Arbeitsbedingungen, Karriere-Entwicklung, Arbeitszufriedenheit und Arbeitsflexibilisierung.

Autorin und Autor des HR Barometers sind Gudela Grote, ordentliche Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie im Departement Management, Technology and Economics an der ETH Zürich, und Bruno Staffelbach, Professor für Human Resource Management an der Universität Zürich.

Der HR Barometer 2011 basiert auf einer Online-Befragung im April 2010 von 1479 Personen, darunter 1124 in der deutsch-sprachigen und 335 in der französisch-sprachigen Schweiz. Hauptsponsor der Umfrage war der Zeitarbeitskonzern Adecco.

Die Zahl der Arbeitslosen in der Schweiz ist erneut zurückgegangen. Die Arbeitslosenquote sank im Februar 2011 auf 3,6%. Damit waren im Vergleich zum Vormonat 5459 weniger Personen arbeitslos gemeldet, wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am 8. Mai mitteilte.

In absoluten Zahlen waren Ende Februar 2011 in der Schweiz 143’325 Personen arbeitslos gemeldet. Im Vergleich zum Februar 2010 sank ihre Zahl um 29’674 Personen. Das entspricht einem Rückgang von 17,2%.

Der Rückgang widerspiegle die starke konjunkturelle Erholung, sagte Serge Gaillard, Leiter der Direktion für Arbeit beim Seco. Erfreulich sei, dass fast alle Branchen zulegen konnten.

Gaillard geht davon aus, dass die Arbeitslosenquote noch einige Monate weitersinkt. Dann werde sich die Konjunktur wegen des starken Frankens jedoch abschwächen. Deshalb wirde der Rückgang der Arbeitslosenquote zum Stillstand kommen und gemäss Dezember-Prognose bei etwa 3,4% stagnieren.

Zum Vergleich die Arbeitslosenraten in anderen Ländern: Deutschland 7,3% (Februar 2011), Frankreich 9,6% (4. Quartal 2010), Italien 8,6% (Januar 2011), Grossbritannien 7,9% (4. Quartal 2010), USA 9% (Januar 2011).

(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud)

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