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Die Schweiz als guter Nährboden für Kunstschaffende

Ein Riesen-Teddy von Urs Fischer in New York. Keystone

Pipilotti Rist, Urs Fischer und Ugo Rondinone gehören zu einer Reihe von Schweizer Kunstschaffenden, die weltweit von sich reden machen. Wie kommt das kleine Land zu solch einer Dichte an grossen Namen in der Kunstwelt?

“Die Schweiz profitiert von einem ausserordentlichen Zusammentreffen mehrerer Faktoren”, sagt Laura Arici, Dozentin für Bildende Kunst an der Zürcher Hochschule der Künste.

Arici verweist zum einen auf den Aufstieg Zürichs zu einem Zentrum der internationalen Kunstwelt. An dessen Anfang hatte in den 1980er-Jahren die Halle für Neue Kunst in Schaffhausen und die Gründung des Magazins Parkett gestanden. Seither haben sich an der Limmat bedeutende Galerien etabliert.

Zum anderen profitiere die Schweiz von einem dichten Netzwerk von Kunstmäzenen und -sammlern. Weitere wichtige Säulen sind die Kunsthochschulen in Basel, Zürich, Luzern, Bern, Genf, Lausanne und Siders im Kanton Wallis.

“Als junger Künstler in der Schweiz hat man schon am Anfang seiner Karriere die Möglichkeit, seine Arbeiten zu zeigen”, erklärt der Schweizer Künstler Marc Bauer. Auch Direktoren grosser Institutionen kämen und sähen sich diese Werke an, da sie an neuen Künstlern interessiert seien. “Es ist so einfacher, als neuer Künstler wahrgenommen zu werden.” Zur Zeit sind seine Arbeiten im Kunsthaus Muttenz im Kanton Basel-Landschaft ausgestellt.

“Ich habe das Gefühl, wenn man seine Arbeiten nicht in der richtigen Strasse oder in der richtigen Galerie ausstellen kann, wird man nicht wahrgenommen”, sagt der Genfer.

Bauer hat bereits drei Mal einen “Swiss Art Award” erhalten. Der eidgenössische Kunstpreis ist mit je 25’000 Franken dotiert. Zugute kommt Bauer und seinen Künstlerkolleginnen und –kollegen auch, dass die Schweiz trotz ihrer Kleinräumigkeit über eine enorm grosse Museumsdichte verfügt. Die gut florierende Wirtschaft ihrerseits sorgt dafür, dass sich relativ viele Vermögende eine Kunstsammlung leisten können.

“Ich glaube nicht, dass Schweizer Kunstschaffende besser sind als andere. Aber die Unterstützung ist sehr effizient”, sagt Bauer gegenüber swissinfo.ch.

Frühe Zeichen des Erfolgs 

Kunstschaffende in der Schweiz können Unterstützung vom Bund erhalten. Diese ist jedoch relativ gering. Der Bund verfügt über ein jährliches Budget von etwas über 200’000 Franken zum Kauf von Kunstwerken. Diese sind normalerweise für öffentliche Gebäude und Botschaften bestimmt. Dazu kommt der Eidgenössische Wettbewerb für Kunst, bei dem pro Jahr 18 Swiss Art Awards vergeben werden.

Zu den Preisträgern gehörten als junge Künstler auch Pipilotti Rist, Ugo Rondinone und Urs Fischer. Das zeugt einerseits vom künstlerischen Sachverstand der Jury. Die Ausgezeichneten profitieren andererseits nicht nur von einem namhaften finanziellen Beitrag, sondern auch von erhöhter Aufmerksamkeit.

Kunstförderer Nummer eins aber sind in der Schweiz die Städte und Kantone. Letztere betätigen sich nicht nur als Kunstsammler, sie erreichen auch Museen und unterstützen diese.

Das Engagement geht teilweise aber noch weiter. “So hat etwa die Stadt Neuenburg eine Wohnung und ein Atelier in Berlin, die Kunstschaffenden aus der Region Neuenburg für einige Monate zur Verfügung gestellt werden”, erklärt Pascal Griener, Leiter des Instituts für Moderne Kunst der Universität Neuenburg.

“Es steckt die Idee dahinter, dass Künstler aus der Schweiz eine gewisse Zeit in bedeutenden Kunstmetropolen im Ausland verbringen können”, so Griener weiter.

Die Kunstschaffenden erhalten für den Auslandaufenthalt nicht nur einen Raum, sondern auch ein Stipendium von 1000 Franken im Monat. Einige Westschweizer Kantone teilen sich ein kleines Studio in New York. Dessen Belegung rotiert alle sechs Monate von Kanton zu Kanton.

Wichtige Kommissionen 

Einige Kantone wie etwa Basel-Stadt haben auch Kommissionen geschaffen, die Beiträge zur Förderung der zeitgenössischen Kunst sprechen können. In Basel-Stadt stehen dem Organ jährlich 320’000 Franken zur Verfügung. 200’000 davon sind zum Aufkauf von Werken lokaler Künstlerinnen und Künstler bestimmt, 120’000 fliessen in Form von Werkbeiträgen.

1991 hatte in Basel eine gewisse Pipilotti Rist als Mitglied der Performance-Band Les Reines Prochaines 9150 Franken als Beitrag für einen Live-Auftritt erhalten. Die Performance unter dem Titel “Seien Sie Flugdame” wurde in der Stadt am Rhein an sechs verschiedenen Orten aufgeführt. Im selben Jahr erhielt Rist zudem einen Swiss Art Award. Und 1997 an der Biennale in Venedig folgte dann der Premio 2000.

Einige Jahre erteilte das Museum of Modern Art in New York der St. Gallerin den Auftrag zur Multimedia-Installation “Pour Your Body Out (7354 Cubic Meters)”, die 2009 vom Internationalen Verband der Kunstkritiker als beste Schau digitaler, Video- und Film-Kunst ausgezeichnet wurde.

Hinein ins Atelier 

Die Basler Kunstförderungs-Kommission organisiert auch öffentliche Besuche in Ateliers von Kunstschaffenden, um dem Publikum eine Möglichkeit zu geben, diese und deren Arbeit näher kennen zu lernen. Ein solcher Besuch fand zum Beispiel 2008 im Atelier von Boris Rebetez statt, einem Künstler aus dem Kanton Jura, der in Basel arbeitet.

“In der Phase nach der Ausbildung, die  entscheidend ist, gibt es in der Schweiz viel Unterstützung. Dafür ist der Markt in der Schweiz klein, da sie kein grosses Land ist”, sagt Boris Rebetez.

Verschiedene Künstler sind sich auch einig, dass Kunstsammler in der Schweiz vielleicht etwas mutiger sind als solche in anderen Ländern. “Viele bedeutende Sammler warten nicht, bis jemand ein etablierter Künstler ist, sondern sie kaufen von Anfang an”, sagt etwa Marc Bauer.

Unter “den ersten, die ein Werk von Picasso gekauft hatten, war ein Paar aus der Schweiz, Hermann und Margrit Rupf aus Bern. Sie waren nicht wirklich reich, aber passionierte Sammler mit einem guten Urteilsvermögen”, fügt Pascal Griener an.

Obsolete Nation 

Der 23-jährige Bernhard Hegglin lebt und arbeitet in Zürich. Eine Ausstellung mit seinen Werken ist zurzeit im Kunst Raum in Riehen bei Basel zu sehen. Der Kunst Raum ist ein kleines Museum, das die Gemeinde nur wenige Meter von der renommierten Stiftung Beyeler entfernt einrichtete.

“Es gefällt mir in Zürich. Aber es wäre grossartig, ein paar Jahre im Ausland arbeiten zu können, um andere Dinge zu sehen. Ich würde danach gerne wieder in die Schweiz zurückkommen, denn hier ist mein Zuhause”, erklärt Hegglin gegenüber swissinfo.ch.

Die Haltung, die Mentalität und Grenzen des Landes hinter sich zu lassen, hat die Schweizer Kunstszene seit dem 17. und 18. Jahrhundert inspiriert, also seit jener Zeit, als die ersten ernsthaften Sammler aufgetaucht waren. Dies waren junge Schweizer Kaufleute und Bankiers, die ihr Handwerk im Ausland erlernt oder vertieft und die oft substantielle Kunstsammlungen zusammengetragen hatten. Im globalisierten Kunstmarkt von heute ist ein solch offener Geist immer noch sehr hilfreich.

“Künstler wie Urs Lüthi und Fischli/Weiss waren die ersten, die sich nicht mehr als nationale Künstler verstanden, sondern als Teil einer internationalen Künstler-Gemeinschaft”, sagt Kunstdozentin Laura Arici. “Für die nachfolgenden Generationen wie Ugo Rondinone, Pipilotti Rist, Urs Fischer, um nur einige Namen zu nennen, war die Frage der Nationalität praktisch obsolet geworden.”

In der Schweiz gibt es rund 8000 Kunstschaffende.

Die Schweiz hat pro Kopf die weltweit höchste Dichte an Museen.

Viele der über 1000 Häuser sind klein, aber Institutionen wie das Kunstmuseum Basel oder das Kunsthaus Zürich sind auch ausserhalb der Schweiz sehr bekannt.

Die vom Bund finanzierte Stiftung Pro Helvetia ist zuständig für die Förderung der Schweizer Kultur (Visuelle Künste, Literatur und Gesellschaft, Musik, Theater und Tanz).

Pro Helvetia ist auch zuständig für Schweizer Auftritte, Pavillons und Ausstellungen an internationalen Veranstaltungen wie der Biennale Venedig.

Eine wichtige Rolle kam und kommt weiterhin den Kunstvereinen zu, die teils aus dem späten 18. Jahrhundert datieren. 2011 zählten sie 44’600 Mitglieder.

Auf Kunstvereine geht die Gründung von Kunsthallen und Museen zurück, ebenfalls kauften sie Kunstwerke an und organisierten Kultur-Debatten.

Damit legten sie einen wichtigen Grundstein für ein verbreitetes Kunstinteresse und –verständnis in der Schweiz.

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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