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Das Gras im Keller – wie die Marmelade

Diese Indoor-Cannabis-Plantage in Mesocco, Kanton Graubünden, hat die Polizei am 8. Juni 2009 aufgedeckt. Keystone/Kantonspolizei Graubünden

Von aussen sieht das Haus wie viele andere in der Gegend aus. Innen sind keine besonderen Gerüche oder verfängliche Indizien wahrzunehmen. Dennoch wird im Kellergeschoss Hanf mit hohem THC-Gehalt angebaut. Und das 12 Monate im Jahr.

André (Name der Red. bekannt) dreht sich mit kurzem Zigarettenpapier eine Zigarette, die zweite innerhalb einer Viertelstunde. Darin ist…nur Tabak. “Normalerweise rauche ich tagsüber nie Cannabis. Einen Joint mache ich mir aber, bevor ich ins Bett gehe, das befreit den Geist”, sagt er gegenüber swissinfo.ch.

Der bald 50-jährige André hat “relativ spät” mit Joints begonnen. “Viel später als mein 21-jähriger Sohn.”  Als André jünger war, kaufte er das Gras auf der Strasse oder bei Kontaktpersonen. “Man musste den Leuten immer nachlaufen, und ich wusste nie, was mir in die Hände kam. Zudem gab ich ziemlich viel Geld aus.”

Vor vier Jahren hat sich André deshalb entschlossen, “selbständig” zu werden. “Ich habe ein genügend grosses Haus gefunden (in der Region von Lausanne, Anm.d.Red.). Wenn ich in einer Wohnung geblieben wäre, hätte ich nicht die Möglichkeit gehabt, einen Indoor-Hanfanbau zu initiieren.”

Andrés Geheimgarten ist eingeschlossen in zwei riesige schwarze Stoffschränke, in einem Geschoss neben dem Keller. “Alles, was ich anbaue, ist für meinen Eigengebrauch. Der Verkauf ist nichts für mich”, versichert er.

THC über dem erlaubten Wert

André ist für die kontrollierte Legalisierung von Cannabis, “aber mit Regeln zum Schutz der Jugendlichen”. Er ist sich der Risiken des Konsums bewusst (siehe Spalte rechts). In seiner langen Karriere als Cannabis-Raucher hat er festgestellt, dass das Gras immer stärker wird.

“Als ich jünger war, betrug der THC (Tetrahydrocannabinol, Hauptwirkstoff der Hanfpflanze)-Gehalt 3-7%. Meine Pflanzen sind bei 30-35% THC, wesentlich über der erlaubten Grenze von 1%.

Stärkeres Gras zu rauchen heisse jedoch nicht unbedingt, die Gesundheit mehr zu ruinieren, sagt André. “Ich rauche viel weniger Joints. Das ist wie wenn man ein Gläschen Whisky statt drei Bier trinkt.”

17 Franken für einen Samen

Zusammen mit zwei Freunden hat André alles Notwendige für einen Anbau im eigenen Haus gekauft. Die Lampen, elektrische Pumpen, das Belüftungssystem, die Feuchtigkeitsmessgeräte, den Humus und vor allem das Saatgut zu finden, war überhaupt kein Problem.

“Es gibt spezialisierte Einzelhändler, die alles Notwendige haben. Einmal haben sie sogar Hanf-Setzlinge verkauft, was heute verboten ist. Für das Saatgut wende ich mich an Lieferanten aus der Deutschschweiz oder Holland”, erklärt André.

Mit der Zeit hat André herausgefunden, dass das Material in normalen Geschäften mit Landwirtschaftsprodukten gekauft  werden kann – zu einem Viertel günstiger. “Die Hanf-Läden sind Goldgruben. Um dies zu sehen genügt es, einmal hin zu gehen: Sie sind immer voll!”

Die Plantage im Kellergeschoss von André ist eher bescheiden. Es sind 30 bis 40 kleine Setzlinge. Wenige, wenn man sie mit anderen Installationen vergleicht. “Ich kenne Leute, die haben Hunderte von Setzlingen angebaut”, so André.

Den Hauptteil der Ausgaben macht das Saatgut aus. Ein einzelner Samen kann bis zu 17 Franken kosten. Ins Gewicht fällt auch der Strom für die starken Lampen. “Für einen Anbau, der rund drei Monate dauert, geben wir um die 1000 Franken aus. Ich glaube nicht, dass unser hoher Stromverbrauch uns beim Elektrizitätsunternehmen verdächtig macht. Aber es stimmt, dass grosse Cannabis-Produzenten deswegen manchmal auffliegen”, sagt André.

Billiger und erst noch biologisch

Die Startinvestition von rund 6000 Franken hat sich rasch ausbezahlt. Mit jeder Ernte (vier pro Jahr) gibt es 500-700 Gramm Marijuana. Eine Quantität, die “auf der Strasse” um die 10’000 Franken (12-15 Franken pro Gramm) kosten würde.

“Uns kostet dies indessen lediglich 1500 Franken, rund 2-3 Franken pro Gramm. Und zudem weiss ich, was ich rauche”, betont André, der ausschliesslich biologisch anbaut. “Viel vom dem Gras, das im Umlauf ist, wird dagegen chemisch behandelt.”

Was von der Ernte übrig bleibt, schenkt André seinen Freunden. “Es ist ein bisschen wie mit der hausgemachten Marmelade: Wenn sie gut schmeckt, teilt man sie gerne mit anderen.”

Laut Schätzungen der Bundespolizei von 2011 konsumieren zwischen 100’000 und 236’000 Personen in der Schweiz regelmässig (mehr als einmal im Monat) Produkte mit Hanfbasis. Die Zahl der gelegentlichen Konsumenten (maximal einmal im Monat) liegt zwischen 73’000 und 168’000.

pH-Wert grössere Sorge als Polizei

In der Schweiz gebe es viele Leute mit optimalen technischen Kompetenzen für die Produktion. “Ausser in Amsterdam findet man kaum eine derart hohe Cannabis-Qualität wie hierzulande”, erklärt der Waadtländer, der seinen “grünen Daumen” durch das Lesen von Büchern und Dokumentationen im Internet entwickelt hat.

Der schwierigste Teil der Indoor-Plantage ist die Pflege der Pflanzen. Der pH-Gehalt des Wassers (Mass für den sauren oder basischen Charakter), das Ungeziefer und die Temperatur des Lokals sind für André die grössten Sorgen. Die Polizei, die Tatsache, dass er in der Illegalität handelt, beschäftigt ihn weniger. “Die Polizei könnte hier plötzlich unangemeldet erscheinen. Aber das Gras dient ausschliesslich zu meinem Eigengebrauch. Ich glaube nicht, dass ich viel riskiere. Es würde mir jedoch missfallen, alles Material zu verlieren.”

Die kleinen Indoor-Cannabis-Plantagen gehörten nicht zu den Prioritäten der Betäubungsmittelbrigade, erklärt Jean-Philippe Pittet, Sprecher der Stadtpolizei Lausanne, gegenüber swissinfo.ch. “Wir intervenieren nur auf Hinweis von Nachbarn, und dies kommt durchschnittlich einmal im Monat vor.”

Fusion der Märkte

Im Visier der Polizei sind jedoch die Plantagen grossen Massstabs sowie die kriminellen Netzwerke. Die Bundespolizei ist alarmiert über die Entwicklung, dass das organisierte Verbrechen, traditionell liiert mit dem Kokain- und Heroinhandel, begonnen hat, sich auch für Cannabis zu interessieren.

Eine “Professionalisierung” des Cannabis-Handels, die sich vor allem durch den Preisanstieg in den letzten Jahren erklären lässt. Zudem riskieren jene, die mit Cannabis dealen, strafrechtsmässig viel weniger.

André seinerseits, der im Sozialbereich aktiv ist, zieht es jedenfalls vor, “sauber” zu bleiben. “Viele Leute haben mir vorgeschlagen, Cannabis zu verkaufen. Das ist aber nicht meine Sache. Zudem habe ich einen guten Job und habe kein Zusatzeinkommen nötig.”

Gemäss dem Bundesgesetz über die Betäubungsmittel und die psychotropen Stoffe (Betäubungsmittelgesetz BetmG) von 1951 sind in der Schweiz  Konsum undBesitz von Hanf zum Zweck der Herstellung von Cannabis strafbar.

Die Strafen sehen Geldbussen oder Haft bis zu drei Jahren vor. Hanf kann aber mit vorheriger Genehmigung zu therapeutischen Zwecken verordnet werden.

Hanf gilt als Droge, wenn der THC (Tetrahydrocannabinol, Hauptwirkstoff der Hanfpflanze)-Gehalt 1% übersteigt.

In den 1990er-Jahren haben viele Kantone in Sachen Cannabis eine eher tolerante Politik praktiziert. Für einige Zeit war es möglich, in über 130 Hanf-Läden Marijuana zu kaufen.

Das Entstehen eines regelrechten Cannabis-Tourismus im Schweizer Grenzgebiet sowie die Veröffentlichung von Studien, welche die potenziellen Risiken von Cannabis für die psychische Gesundheit von Konsumenten aufzeigten, haben jedoch die Front der Skeptiker gegenüber einer Entkriminalisierung gestärkt.

Im Herbst 2008 hat das Schweizer Stimmvolk eine Volksinitiative mit über 63% abgelehnt, welche die Entkriminalisierung des Marijuana-Konsums und die Schaffung eines Cannabis-Marktes unter staatlicher Kontrolle forderte.

Im Juni 2012 hat das Schweizer Parlament beschlossen, dass erwachsene Personen, die im Besitz von Cannabis (bis maximal 10 Gramm) erwischt werden, nicht mehr der Justiz überführt werden, sondern lediglich eine Geldbusse entrichten müssen.

Cannabis rauchen, mit oder ohne Tabak, kann die Lungenfunktionen beeinträchtigen, das Risiko einer Entzündung der Atemwege erhöhen sowie zu chronischer Bronchitis und Tumoren führen.

Einige Untersuchungen haben bei Cannabis-Langzeitkonsumenten eine Verschlechterung des Gedächtnisses und der Konzentrationsfähigkeit festgestellt.

Es soll auch einen Zusammenhang geben zwischen dem Cannabis-Konsum (regelmässig oder frühzeitig) und Psychosen oder Depression.

Gemäss verschiedenen Studien hat Cannabis aber auch therapeutische Eigenschaften und kann zum Beispiel Beschwerden bei Aids- oder Krebskranken im Endstadium lindern.

Zudem sollen einige Cannabis-Komponenten eine heilsame Wirkung bei der Behandlung von Asthma und dem grünen Star (Glaukom) haben.

(Quellen: Dachverband Drogenabstinenz Schweiz und Weltgesundheits-Organisation WHO)

(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

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