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INTERVIEW: Griechenland-Pleite kann Stabilität des Bankensystems gefährden

DARMSTADT (awp international) – Bei einer Pleite Griechenlands wird es nach Expertenansicht fast nur Verlierer unter den europäischen Banken geben. “In Deutschland wäre es vor allem für die Landesbanken ein heftiger Schlag, aber auch der Bad Bank der früheren Hypo Real Estate würde das Wasser bis zum Hals stehen”, sagte der Bankenforscher Dirk Schiereck von der TU Darmstadt in einem Gespräch mit der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX. “Auch der Commerzbank und ihrer Tochter Eurohypo drohen Gefahren.” Jegliche Form eines Schuldenschnitts sei allein deswegen brandgefährlich. Das Bankensystem könne erneut ins Wanken geraten. “Wir können die Folgen überhaupt nicht abschätzen.”
“Es wird aber auch im ersten Moment einige wenige Gewinner geben”, sagte Schiereck. Dazu zählt der Professor etwa die Deutsche Bank . “Das Institut hat seine Griechenland-Bestände schon abgeschrieben und scheint auf alles vorbereitet zu sein.” Das bringe den Branchenprimus in eine komfortable Situation. “Anders kann ich es mir nicht erklären, dass die Deutsche Bank so massiv für einen Schuldenschnitt in Griechenland eintritt. Sie wird wissen, was sie tut.”
Konkurrenten wie die Landesbanken hingegen dürften in grosse Schwierigkeiten geraten. “Ich kann mir vorstellen, dass die Deutsche Bank eine solche Situation ausnutzen will, um etwa im Firmenkundengeschäft der Konkurrenz Marktanteile abzujagen.”
Laut Schiereck ist es ein falscher Eindruck, dass die meisten Banken und Versicherungen bereits ihre griechischen Anleihen abgeschrieben hätten. Zudem warnte er davor, allein auf diese Papiere zu schauen und die dahinterstehenden Absicherungsgeschäfte zu vergessen. “Was die auslösen können, ist völlig unklar.” Damit gemeint sind die sogenannten Credit Default Swaps, die im Fall eines sogenannten Kreditereignisses fällig werden. “Das kann die Stabilität des Bankensystems erneut in Gefahr bringen”, sagte Schiereck.
Eine solche Situation könnte letztlich auch die Deutsche Bank in Mitleidenschaft ziehen, warnte der Experte. Zudem drohe ein Dominoeffekt. “Die Gefahr ist real, dass danach Portugal und Irland, dann vielleicht auch noch Spanien und Italien in eine ähnliche Situation geraten.” Zudem dürften die wirtschaftlichen und sozialen Folgen nicht vergessen werden.
Deshalb müsse alles getan werden, um einen solchen Default – ein Kreditereignis – in Griechenland abzuwenden. Der Wissenschaftler sieht in einer freiwilligen Laufzeitverlängerung für die fällig werdenden griechischen Anleihen den einzig gangbaren Weg. Dabei gelte es auch, die Ratingagenturen davon zu überzeugen, dass eine solche Verschiebung der Fälligkeiten kein Kreditausfall sei.
Die so gewonnene Zeit sollte die Politik stärker dazu nutzen, dass Griechenland wieder auf die Beine kommt, forderte Schiereck. “Dazu gehört natürlich, dass die Reformen endlich konsequent umgesetzt werden. Dazu gehört aber auch, dass Griechenland wieder eine Entwicklungsperspektive bekommt, damit irgendwann überhaupt einmal die Chance besteht, dass die Schulden zurückgezahlt werden können.” Bei der EU stünden etwa 40 bis 50 Milliarden Euro für Infrastrukturinvestitionen bereit, die das Land abrufen könne, wenn es den dafür nötigen Eigenanteil aufbrächte.
Sollte es dann schliesslich nicht gelingen, Griechenland wieder fit zu machen, dann könne in einigen Jahren immer noch die Notbremse gezogen werden. “In dieser Zeit sollte aber zumindest das europäische Finanzsystem so stabil sein, dass es eine Pleite Griechenlands aushalten kann.”/enl/jha/wiz

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