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Schöne Schweiz – aber wie stehts mit der Biodiversität?

Wenn die Bedrohung der Biodiversität von weither kommt

Rotwangen-Schmuckschildkröte im Wasser
Die Rotwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta elegans) stammt aus den USA und ernährt sich von Eiern, die sie von Amphibien raubt. Denis Rozhkov

Wird Ihr Garten von exotischen Arten heimgesucht? Importierte Pflanzen und Tiere gehören zu den Hauptursachen für den Verlust der weltweiten biologischen Vielfalt. In der Schweiz trägt der Kampf gegen invasive Spezies Früchte. Doch es braucht die Anstrengung aller.

Sie ist eines der Symbole des Tessins, dem Schweizer Kanton südlich der Alpen. Sie steht in privaten Gärten und Pärken, und dank einem fast mediterranen Klima breitet sie sich auch in den Wäldern aus. Für die Verantwortlichen der Tourismusförderung ist die Chinesische Hanfpalme, auch Tessinerpalme genanntExterner Link, eine wertvolle Partnerin.

Allerdings nicht für Brigitte Marazzi vom Naturkundemuseum des Kantons Tessin. Sie sieht in dieser ostasiatischen Palme ein Problem, das so schnell wie möglich angegangen werden muss.

“Diese Palme wird mit der exotischen Seite des Tessins in Verbindung gebracht. Touristen von jenseits der Alpen mögen es, sie im Wald wachsen zu sehen. Viele wissen aber nicht, dass es sich dabei um eine extrem schädliche Pflanze handelt”, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin von Info FloraExterner Link, dem nationalen Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora.

Die Chinesische Hanfpalme ist in der Lage, sich schnell und grossflächig zu verbreiten, und dies auf Kosten der einheimischen Arten, sagt Marazzi. “Ich selber war überrascht über ihre Fähigkeit zur Verbreitung. Vor kurzem wurde mir klar, dass sie auch die Wälder unweit meines Hauses kolonisiert. Es ist ein Problem, das wir bisher krass unterschätzt haben.”

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Die Palmen-Invasion

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Chinesische Hanfpalme breitet sich in einigen Wäldern des Tessins massiv aus.

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Bedrohung für Biodiversität

Die Chinesische Hanfpalme ist eine der rund 800 exotischen Spezies, die in der Schweiz ansässig sind. Der Grossteil von diesen Pflanzen und Tiere, die absichtlich oder unabsichtlich durch den Menschen eingeführt wurden, ist nicht invasiv. Im Unterschied zur Tessinerpalme, die als invasive Art gilt.

“Als ‘invasiv’ gelten jene Pflanzen-, Tier- und Pilzarten, welche die Gesundheit von Menschen und Tieren gefährden sowie Infrastrukturen und Ökosysteme im Allgemeinen bedrohen”, sagt Gian-Reto Walther, Experte für Biodiversität beim Bundesamt für UmweltExterner Link (Bafu).

Weltweit sind sie – nach der Zerstörung von Lebensräumen – die Hauptursache für den Verlust der biologischen Vielfalt, da sie Platz und Nährstoffe von einheimischen Arten für sich beanspruchen.

Biodiversität schützen

Der Begriff “Biodiversität” bezieht sich auf die vielen Facetten des Lebens auf der Erde, den Reichtum an Tier- und Pflanzenarten, die genetische Vielfalt innerhalb der Arten und die verschiedenen Arten von Lebensräumen.

Am 22. Mai wird der Welt-Tag der BiodiversitätExterner Link gefeiert. Im Rahmen der Initiative “Mission B”Externer Link lädt die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SSR, der swissinfo.ch angehört, die Bevölkerung ein, im Garten oder auf dem Balkon neue Naturräume zu schaffen.

Grafik: Biodiversität in Gefahr
In der Schweiz gelten rund 35% der untersuchten Arten als gefährdet; ein Anteil, der über jenem der meisten europäischen Länder liegt. Kai Reusser / swissinfo.ch

Eichhörnchen-Alarm

Gemäss der einzigen verfügbaren Untersuchung, die von 2006 stammt, sind in der Schweiz 107 Arten invasiv. Eine Zahl, die laut Walther heute viel höher ist: “In den letzten Jahren haben wir das Vorhandensein neuer invasiver Arten beobachtet, darunter der Asiatische LaubholzbockkäferExterner Link, der gesunde Bäume angreift”, sagt er.

“Und vergessen wir nicht all die Arten, die vor den Toren der Schweiz stehen, wie etwa die Asiatische HornisseExterner Link, die in den angrenzenden Ländern bereits heimisch geworden ist. Oder das GrauhörnchenExterner Link, das in allen Gebieten, in denen es sich niedergelassen hat, das Aussterben des gewöhnlichen Eichhörnchens verursacht hat.”

Die Zunahme der invasiven gebietsfremden Arten (Neophyten und Neozoen) habe auch stark damit zu tun, dass im Rahmen der wachsenden Globalisierung auch der Handel, der Verkehr und das Reisen zunehmen, sagt der Bafu-Experte. Jede Art habe ihr eigenes Transportmittel: “Die asiatische Hornisse etwa kam in Keramiktöpfen für den Gartenbau in Europa an, während die Asiatische TigermückeExterner Link vermutlich in aus Asien importierten Altreifen zu uns gekommen ist.”

Invasion in zwei Richtungen

Durch ihre Lage im Zentrum des europäischen Kontinents ist die Schweiz besonders verletzlich. “Wenn eine invasive Art Europa erreicht, dann kommt sie auch zu uns”, sagt Walther.

Im Vergleich zu anderen Ländern befinde sich die Schweiz aber nach wie vor in einer etwas privilegierten Situation: “In der Schweiz entspringen mehrere Flüsse, die ins Ausland fliessen. Wir sind deshalb einerseits weniger vom Problem der Invasion von Wasserorganismen betroffen, andererseits aber sind wir für alles verantwortlich, was die Schweiz verlässt.”

Man darf nicht vergessen, dass die Verbreitung invasiver Arten in beide Richtungen geht. “Die erste ‘Invasion’ ging von Europa aus, als die Kolumbus folgenden Expeditionen Tiere wie Ziegen, Wildschweine und Hermeline in die ganze Welt mitnahmen”, so Walther.

Auch Pflanzen aus der Schweiz und europäischen Ländern sorgten auf anderen Kontinenten für nicht wenige Probleme. Marazzi von Info Flora nennt als Beispiel den Blutweiderich, ein Heilkraut, das auf der Liste der hundert invasivsten gebietsfremden Arten der WeltExterner Link verzeichnet ist.

“In der Schweiz ist er eine einheimische Art, die typisch für Feuchtgebiete ist. In den USA, wo er als Zierpflanze eingeführt wurde, fand er die perfekten Bedingungen und wurde zu einem grossen Problem”, so Marazzi.

Blutweideriche am Ufer eines kleinen Sees
Der Blutweiderich ist harmlos in der Schweiz, hat aber grosse Teile der Vereinigten Staaten besiedelt. Ruud Morijn

6 Millionen für ein Insekt

Die Landesregierung (Bundesrat) setzt auf Prävention und Bekämpfung im Rahmen der nationalen Strategie zu invasiven gebietsfremden ArtenExterner Link, die seit 2016 läuft.

Die in den Kantonen getroffenen Massnahmen beginnen Früchte zu tragen. So konnte der Kanton Genf dank einer rechtzeitigen Ausrottungskampagne das Grossblütige Heusenkraut ausrotten, eine Pflanze, die in der Lage ist, ganze Wasserflächen zu bedecken.

Und im März kündigte der Kanton Freiburg an, den Kampf gegen den Asiatischen Laubholzbockkäfer gewonnenExterner Link zu haben. Dieser war 2011 erstmals in der Schweiz identifiziert worden. Dafür setzte der Kanton Baumkletterer und speziell dafür ausgebildete Spürhunde ein.

“Manchmal ist ein Sieg möglich. Aber der Kampf ist teuer”, sagt Walther vom Bafu. So mussten im Kanton Freiburg wegen des Laubholzbockkäfers rund 700 Bäume gefällt werden, was Kosten von 2,6 Millionen Franken verursachte. Und im Kanton Zürich, wo sich das Insekt auch ausbreitete, beliefen sich die Kosten für die Beseitigung des Befalls sogar auf rund 3,3 Millionen Franken.

“Die Bürger sollten sich informieren über die Herkunft und Invasivität der Pflanzen, die sie kaufen möchten.”
Brigitte Marazzi, Info Flora

Strenges Gesetz reicht nicht

Basierend auf der Pflanzenschutz-Verordnung sind die Kantone verpflichtet, bei einer ganzen Reihe von Pflanzen sofort einzugreifen. Auch Privatleute müssen Interventionen in ihrem Garten dulden.

Für bestimmte invasive Arten wie das Aufrechte Traubenkraut (Ambrosia) sei die Schweizer Gesetzgebung mit ihren Nutzungs- und Verkaufsverboten viel strenger als jene der Nachbarländer, sagt Walther. “Auch wenn eine Ausrottung nicht mehr möglich ist, haben wir Ambrosia in der Schweiz unter Kontrolle”, versichert er.

Trotz der Verbote sei das aktuell geltende GesetzExterner Link ungenügend, um die Probleme im Zusammenhang mit der Verbreitung neuer invasiver gebietsfremder Arten ausserhalb des Forst- und Landwirtschaftssektors zu bewältigen, gibt der Bafu-Experte zu bedenken.

“Wir verfügen beispielweise nicht über die gesetzlichen Mittel, um Gärtnern zu verbieten, Arten zu importieren, die sich in anderen Ländern als invasiv erwiesen haben”, sagt auch Marazzi. “Gegenwärtig ist in der Schweiz nur der Verkauf einiger invasiver Spezies verboten. Für die anderen besteht jedoch eine Informationspflicht.”

Für die Mitarbeiterin bei Info Flora ist es deshalb zentral, die Bevölkerung zu sensibilisieren und zu Eigenverantwortung zu erziehen. “Die Bürger sollten sich informieren über die Herkunft und Invasivität der Pflanzen, die sie kaufen möchten. Wir zählen auch auf Private, invasive Arten Externer Linkzu erkennen und zu eliminieren. Mein Ratschlag ist, den eigenen Garten mit einheimischen Arten zu verschönern.”

In der vergangenen Woche hat der Bund einen Vernehmlassungs-Entwurf vorgelegt, der einen stärkeren Beitrag von PrivatpersonenExterner Link, auch finanziell, zur Bekämpfung von invasiven Spezies vorsieht.

In Bern durchstreift eine Gruppe freiwilliger Botaniker regelmässig die öffentlichen Parks auf der Suche nach invasiven Pflanzen und zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit.

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Internationale Zusammenarbeit

Wie bei anderen weltweiten Phänomenen müssen die Interventionen aber nicht nur lokal oder regional beschränkt bleiben. Auf internationaler Ebene verpflichtet sich die Schweiz zur Verteidigung einheimischer Arten im Rahmen der Berner KonventionExterner Link (Übereinkommen über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume) und des UNO-Übereinkommens über die Biologische VielfaltExterner Link (CDB).

Die Schweiz hat das CDB 1994 ratifiziert. Dieses verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Listen der invasiven Arten in ihrem Hoheitsgebiet und der Verkaufskanäle bis 2020 zu aktualisieren. “Das würde uns ermöglichen, die internationale Zusammenarbeit zu verbessern. Indem wir von den anderen lernen und Erfahrungen austauschen, können wir das Problem effizienter angehen”, sagt Walther.

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(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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