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Ivan Pictet: Bankgeheimnis muss bleiben!

Keystone

Die Schweiz müsse sich in einem Wirtschaftskrieg behaupten, sagt Ivan Pictet, Präsident der Interessen-Gemeinschaft "Genève Place Financière".

Der Schweizer Privatbankensektor wurde kürzlich von Fusionen und Entlassungen erschüttert.

275 Entlassungen nach der Fusion zwischen der Union Bancaire Privée und der Discount Bank, 300 nach der Hochzeit von Darier Hentsch und Lombard Odier. Carlo Lamprecht, Chef des Genfer Wirtschafts-Departements, rechnet mit dem Schlimmsten. Sie auch?

Ivan Pictet: Die Wirtschaft lahmt weltweit. Es handelt sich also nicht um ein speziell schweizerisches beziehungsweise Genfer Problem. Genf ist jedoch aufgrund der hohen Konzentration von Finanz-Instituten stärker als seine Nachbarn von dieser Entwicklung betroffen. Der Finanzplatz generiert im Kanton Genf rund 27% der Einnahmen und bezahlt zwischen 30% und 35% der Steuern.

Sie haben auch schon gesagt, man befinde sich im Kriegszustand…

I.P.: Viele Schweizer – auch einige Politiker und Medien – übersehen, dass die Amerikaner und Briten mit allen Mitteln versuchen, den Ruf der Schweiz in Sachen Vermögensverwaltung zu beschädigen. Auf diesem Gebiet sind New York und London unsere zwei wichtigsten Konkurrenten.

Wie äussert sich dieser Krieg, wie Sie es nennen, denn genau?

I.P.: In unablässigen Attacken gegen das Schweizer Bankgeheimnis, das für jegliches Übel herhalten muss. Die Vereinigten Staaten und Grossbritannien versuchen, bei uns Schuldgefühle zu wecken, die Öffentlichkeit glauben zu machen, wir seien Banditen. Das ist absurd, denn unser System ist moralisch völlig unbedenklich. Das Bankgeheimnis ist ein durch das Gesetz garantiertes Berufsgeheimnis, das es erlaubt, ein Vertrauensverhältnis mit Kunden aufzubauen. Es begünstigt weder die Steuerflucht noch die organisierte Kriminalität oder die Terror-Finanzierung.

Kann der Finanzplatz Schweiz auch ohne Bankgeheimnis überleben?

I.P.: Im Unterschied zu unseren amerikanischen und britischen Konkurrenten hat die Schweiz mit 7 Millionen Einwohnern keinen grossen Binnenmarkt. Man muss deshalb auch ausländische Kunden gewinnen können. Wenn unser Finanzplatz seine Stärken wie das Bankgeheimnis verliert, riskiert er, auf die Hälfte zu schrumpfen.

Die Schweiz sollte also in Sachen Bankgeheimnis auch gegenüber der EU nicht nachgeben?

I.P.: Weshalb sollte sich die Schweiz den ausländischen Forderungen beugen und auf ihre nationale Souveränität verzichten? Es ist nicht in unserem Interesse, ein System zu übernehmen, das schlechter ist als das unsere. Die EU versucht uns, die wir nicht Mitglied sind, Steuer-Reformen aufzudrängen, die sie nicht einmal bei ihren Mitgliedern durchsetzen kann.

Es sind nicht nur andere Staaten, die unser Bankgeheimnis kritisieren. Es gibt auch in der Schweiz scharfe Kritiker…

I.P.: Das ist eine Eigenart unseres Landes. Wir lassen uns Schuldgefühle einreden und geisseln uns dann selbst. Zudem begegnet der Grossteil der Schweizer Medien dem Finanzplatz mit Feindseligkeit. Das ist in anderen Ländern ganz anders: Die britischen oder luxemburgischen Medien würden ihren Banken niemals Vorwürfe machen.

Wie stark ist der Finanzplatz Schweiz durch ausländische Steueramnestien gefährdet – etwa diejenige der Regierung Berlusconi in Italien?

I.P.: Eine Steueramnestie ist dann sinnvoll, wenn ein Land im Innern zugleich die Bedingungen so verbessert, dass sich eine Kapitalflucht nicht mehr lohnt: keine Vermögenssteuer, keine Erbschaftssteuer. Anders als verschiedentlich behauptet wurde, zogen einige Schweizer Banken durch die italienische Steueramnestie mehr Kapital an als sie verloren. Zu diesen Banken gehört auch die Bank Pictet – dank deren Filialen in Mailand und Turin.

Interview von Ian Hamel

Hinter den ausländischen Attacken gegen das Schweizer Bankgeheimnis stünden in erster Linie die finanziellen Interessen der Konkurrenz, sagt Ivan Pictet.

Moralische Bedenken gegen das Bankgeheimnis hat er keine. Für Pictet kommt eine Aufweichung des Bankgeheimnisses deshalb nicht in Frage: Der Schaden für den Finanzplatz Schweiz wäre zu gross.

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