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Jähes Ende einer glanzvollen Karriere

Sofortiger Rücktritt als SNB-Präsident: Philipp Hildebrand hat dem Druck gegen seine Person nachgegeben. Keystone

Mit einem authentischen Auftritt hatte Philipp Hildebrand, der wegen Devisenkäufen unter Druck stand, letzte Woche noch punkten können. Am Montag hat der Nationalbank-Chef überraschend seinen sofortigen Rücktritt erklärt. Ein Porträt.

2010 war Philipp Hildebrand mit 47 Jahren der jüngste Präsident in der Geschichte der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Die Ernennung zum obersten Hüter über Jobs, Preisstabilität und Wohlstand in der Schweiz war die frühe Krönung einer für die Schweiz aussergewöhnlichen Karriere.

Die Devisentransaktionen, die durch eine Verletzung des Bankgeheimnisses bekannt geworden sind, hatte er vor den Medien als Fehler bezeichnet und bedauert. Er wie auch Bankratpräsident Hansueli Raggenbass wiesen jedoch darauf hin, dass die Dollarkäufe (für 1,1 Mio. und 500’000 Franken) keine Verletzung des internen SNB-Reglements darstellten.

Unter den Augen von “The Greatest” 

Hildebrands steiler Aufstieg wurde untermauert durch seine imposante Grösse von 1,94 Metern und seine athletische Figur. Diese kommt nicht von ungefähr, war doch Hildebrand in den 1980er-Jahren zweifacher Schweizer Schwimm-Meister.

Sein sportliches Vorbild ist Muhammad Ali, der auf einer Schwarz-Weiss-Aufnahme im Büro des SNB-Direktors präsent ist. Hildebrand bewundert Ali nicht nur für dessen legendären Kämpfe im Ring, die er als Knabe mit seinem Vater am Fernseher verfolgt hatte. Ihm imponierte auch der Mut, mit dem sich Ali in den Sechzigerjahren für die Rechte der Schwarzen in den USA engagierte.

Die Box-Legende mag auch als Chiffre dafür stehen, dass sich Hildebrand auf dem internationalen Parkett nahtlos in die Reihe der grossen Figuren einfügt. Dabei kommen ihm sein Charme, seine Stilsicherheit und seine gediegene Eleganz zugute.

Hildebrand war für die überwiegende Mehrheit der Schweizer Medien aber alles andere als ein Showman, vielmehr wurde er als der Typ des smarten, unaufgeregten Machers gesehen. Sein diskret-bescheidener öffentlicher Auftritt hielt aber den Tages-Anzeiger nicht davon ab, den obersten Schweizer Währungshüter vor wenigen Tagen als “so etwas wie einen Rockstar” zu bezeichnen.

dot.com-Hype statt Wissenschafts-Karriere 

Der Sohn eines Schreibmaschinenmechanikers schloss seine Studien der Politischen Wissenschaften 1994 mit dem Doktorat an der Universität Oxford ab. In der sich abzeichnenden dot.com-Hysterie entschied er sich aber für einen Wechsel in den Finanzsektor. Die Gelegenheit, sich am Goldrausch zu beteiligen, solange die Internet-Blase vor dem Platzen gross und grösser wurde, wollte er sich nicht entgehen lassen.

1995 nutzte er Kontakte, die er als Mitarbeiter des World Economic Forum (WEF) in Genf und Davos geknüpft hatte, um beim US-amerikanischen Hedgefonds Moore Capital Management (MCM) anzuheuern.

Paukenschlag als “Nobody” 

1996 sorgte er in der Schweizer Finanz- und Bankbranche für einen Paukenschlag: In einem Artikel in der Zeitung Finanz und Wirtschaft kritisierte Hildebrand als damals kaum bekannter Politikwissenschaftler die Notenbank scharf. Die SNB schade der Schweizer Wirtschaft, weil sie in den Jahren zuvor eine zu restriktive Währungspolitik betrieben habe und damit wichtige Wachstumsimpulse abwürge.

Der Artikel beeindruckte SNB-Direktoriumsmitglied Bruno Gehrig offenbar derart, dass dieser den Kritiker umgehend kontaktierte und in der Folge zu seinem Nachfolger aufbaute.

Nach kurzen Stationen bei zwei Schweizer Privatbanken wurde Hildebrand im Juli 2003 mit 39 Jahren vom Bundesrat zum jüngsten Mitglied des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank ernannt. Der heutige SNB-Chef ist auch Verwaltungsrat der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und seit November 2011 Vizepräsident im Financial Stability Board (FSB).

Auf Durchschnitt zurückstutzen 

Doch Köpfe, die weit über den Durchschnitt hinaus ragen, haben es in der Schweiz schwer. Diese Erfahrung machte auch Philipp Hildebrand.

Nach Ausbrechen der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09, die im Crash der US-Investmentbank Lehman Brothers und im Beinahe-Bankrott der Schweizer UBS gipfelte, positionierte sich Hildebrand als internationaler Vorreiter für strengere Banken-Regulierungen.

Mit der Negierung des “Too big to fail”-Phänomens und den Forderungen nach Erhöhung der Eigenkapitalquote, der Einführung einer Verschuldungs-Obergrenze und der Abkehr vom “falschen Anreizsystem” der Banker-Boni weckte der oberste Notenbanker den Zorn der Bankbranche, insbesondere jenen der UBS.

Tatsächlich war Hildebrands “Einmischung” in die Politik erfolgreich. Das Schweizer Parlament segnete ein Kapitalregime für die Grossbanken ab, das deutlich über den neuen internationalen Basel-III-Regeln liegt.

Kritikern in die Hände gespielt

Als im Zuge der sich ausweitenden Schuldenkrise der Euro zusehends an Wert verlor und die Schweizer Exportwirtschaft wegen des hohen Frankenkurses immer mehr in die Bredouille geriet, griff die SNB mit massiven Stützungskäufen ein. Dass daraus Verluste von insgesamt 21 Mrd. Franken resultierten, kam Hildebrands Kritikern, insbesondere dem 2007 abgewählten Ex-Bundesrat Christoph Blocher, entgegen.

Aufgrund des klaffenden Lochs in ihren Büchern kündete die SNB an, ihre jährliche Ausschüttung an die Kantone in der Höhe von 2,5 Mrd. Franken einzustellen. Nach dem Protest der Kantone kam die SNB auf ihren Entscheid zurück und beliess den Beitrag im bisherigen Umfang.

Rücktritt trotz Lob 

Im vergangenen September griff Hildebrand zur grössten währungspolitischen Keule und setzte einen Euro-Mindestkurs von 1,20 Franken fest. Obwohl Teile der Wirtschaft monierten, dass die Notenbank die Kursuntergrenze des Euro bei 1,35 oder gar 1,40 Franken hätte ansetzen sollen, erntete Hildebrand für seinen mutigen Schritt Lob, dem sich sogar seine schärfsten Kritiker anschlossen.

Die mehrmaligen Devisentransaktionen in grossem Umfang, die der Notenbank-Chef und seine Gattin im vergangenen Jahr tätigten und die durch eine Verletzung des Bankgeheimnisses publik geworden sind, werfen nun aber einen Schatten auf das Image Hildebrands als Vorzeigefigur im Kampf gegen gierige Boni-Jäger.

Politisch schien Hildebrand die Situation mit seinem Auftritt in Zürich aufgefangen zu haben. Er legte glaubhaft dar, dass es sich bei den Dollarkäufen nicht um Devisenspekulationen aufgrund von Insiderwissen gehandelt habe. Die Transaktionen haben sich jedoch als zu grosse Hypothek erwiesen.

1963 In Bern geboren, Ökonom und Politologe.

Als 16-Jähriger vier Jahre Aufenthalt in den USA, wo sein Vater, ein gelernter Schreibmaschinen-Mechaniker, für IBM arbeitete.

In den 1980er-Jahren war Hildebrand zweifacher Schweizer Schwimm-Meister. Er absolvierte auch Boxtrainings.

1994 doktorierte er an der University of Oxford.

Seine berufliche Laufbahn begann Hildebrand 1994 beim World Economic Forum in Genf.

1995 wechselte er zum US-amerikanischen Vermögensverwalter und Hedgefonds Moore Capital Management (MCM).

Ende April 1996 Publikation eines kritischen Artikels in der Zeitung Finanz und Wirtschaft über die Währungspolitik der Notenbank.

Er wurde danach von SNB-Direktoriumsmitglied Bruno Gehrig kontaktiert, der ihn zu seinem Nachfolger aufbaute.

2000 bis 2003 bei der Zürcher Privatbank Vontobel und bei der Union Bancaire Privée in Genf.

Auf Juli 2003 wurde der damals 39-jährige Hildebrand vom Bundesrat zum jüngsten Mitglied des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank (Dreiergremium) ernannt.

Anfang Mai 2007 beförderte ihn der Bundesrat zum Vizepräsidenten der SNB, auf Anfang 2010 zum Präsidenten.

Hildebrand ist Mitglied des Verwaltungsrates der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und seit November 2011 Vize-Vorsitzender des Financial Stability Board (FSB).

Hildebrand ist verheiratet mit Kashya. Die ehemalige Hedgefonds-Bankerin, die heute eine Galerie in Zürich führt, hat pakistanischen Wurzeln und ist schweizerisch-amerikanische Doppelbürgerin. Die beiden haben eine Tochter.

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