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Jean-Philippe Maitre nahm Abschied

Mit "Daumen hoch" wird Nationalratspräsident Jean-Philippe Maitre als Nationalrats-Präsident verabschiedet. Keystone

Mit einer stehenden Ovation und den besten Genesungswünschen hat der Nationalrat im Bundeshaus in Bern seinen Präsidenten verabschiedet.

Der 56-jährige Jean-Philippe Maitre (CVP) trat aus Amt und Rat zurück, um einen Hirntumor behandeln zu lassen.

Als er vor gut drei Monaten zum Präsidenten gewählt worden sei, hätte er niemals gedacht, das Amt bereits zu Beginn der Frühlingsession wieder abgeben zu müssen, sagte Maitre zur Eröffnung der Ratssitzung in Bern.

Er wolle aber nicht im Präsidentenamt bleiben, ohne dieses auch vollständig ausüben zu können. Dies wäre ein Zeichen mangelnden Respekts.

Maitre dankte dem Parlament für die langjährige Zusammenarbeit und warnte vor politischem Stillstand.

Alles kann brechen

Bis vor kurzem habe er nie gesundheitliche Probleme gehabt. Doch nun sei ihm mit einem Schlag bewusst geworden, wie zerbrechlich alles sei. Auch die Schweiz dürfe wegen ihrer immer noch beneidenswerten Situation nicht denken, alles sei gesichert.

In diesem Jahr stünden zwei Volksabstimmungen zu Abkommen mit der EU an, die eben diese Interdependenz zum Thema hätten, sagte Maitre. Er wünsche sich “inständig”, dass das Schweizer Volk die Vorlagen von Bundesrat und Parlament unterstütze. Sich zu isolieren, bedeutete “unser Land mehr und mehr zu schwächen”.

Die Schweiz verdanke einen wesentlichen Teil ihres Lebensstandards der Fähigkeit, mit anderen Staaten und insbesondere der EU zusammenzuarbeiten, sagte Maitre. Es wäre falsch, die paradoxe Haltung eines verfehlten Stolzes einzunehmen, der im Gegensatz zum Patriotismus nur die Angst vor der Zukunft ausdrücke.

Auch Bundespräsident sagte au revoir

Der Nationalrats-Vizepräsident, der Sozialdemokrat Claude Janiak, der Maitre bis zur Wahl eines Nachfolgers vertritt, wünschte dem Genfer Anwalt eine rasche Genesung. Der Rücktritt Maitres zeuge von einem tiefen Respekt vor der Würde des Amtes und des Parlaments, sagte er.

Zum Abschied waren auch Bundespräsident Samuel Schmid und Volkswirtschafts-Minister Joseph Deiss sowie zahlreiche Mitglieder des Ständerates gekommen.

Bei Maitre war kurz vor Weihnachten ein Hirntumor diagnostiziert worden, nachdem er zuvor aus dem heiteren Himmel das Bewusstsein verloren hatte.

Maitre liess sich in der Folge vorerst von seinen Stellvertretern Janiak und der Freisinnigen Christine Egerzsegi vertreten, ehe er dann am 18. Februar seinen Rücktritt ankündigte, um sich voll auf die anstehende Chemotherapie konzentrieren zu können.

Einer der amtsältesten Nationalräte

Maitre gehörte mit einer Amtsdauer von 21 Jahren zu den amtsältesten Nationalräten. Der ehemalige CVP-Fraktionschef wurde 1983 in die Grosse Kammer gewählt, während zwölf Jahren übte er das Amt parallel zu seiner Funktion als Genfer Volkswirtschaftsdirektor aus.

Maitres Nachfolge soll mit einer Neuwahl noch in dieser Session geregelt werden. Der Anspruch der CVP, nochmals einen Kandidaten zu stellen, wird dabei von niemandem bestritten. Die Partei hat für das Auswahlverfahren eine Arbeitsgruppe eingesetzt.

swissinfo und Agenturen

In den letzten 100 Jahren wurden nur 3 National- oder Ständerats-Präsidenten während ihrer Amtszeit ersetzt.
1991 verstarb Ständeratspräsident Max Affolter (FDP/SO) an den Folgen eines Hirntumors.
1982 verweigerte die Obwaldner Landsgemeinde dem amtierenden Ständeratspräsidenten Jost Dillier (CVP) die Wiederwahl in die kleine Kammer.
1977 trat Hans Wyer (CVP/VS) nach der Wahl in die Walliser Kantonsregierung als Nationalratspräsident zurück.

Jean-Philippe Maitre war:

mit 24 Jahren Mitglied des Genfer Kantons-Parlamentes
mit 36 Jahren Genfer Staatsrat
von 1981 bis 1984 Präsident der CVP Genf
von 1985 bis 1997 Genfer Volkswirtschaftsminister
seit 1983 im Nationalrat
ab Dezember 2004 Nationalrats-Präsident

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