Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Kampf der Gratiszeitungen

Die französische Schweiz hat nun ihre erste Gratis-Tageszeitung. Keystone

In der Romandie ist am Montag erstmals eine Gratiszeitung erschienen. Medienexperten erwarten einen heftigen Kampf um diesen neuen Markt.

Die erste Runde geht an die Lausanner Edipresse. Sie brachte “Le Matin Bleu” am Montag vier Monate vor der Rivalin “20 Minutes” zur Verteilung.

Die beiden Kontrahenten in diesem Kampf gehören zu den grössten Verlagshäusern der Schweiz: Edipresse und die Zürcher Tamedia.

Ursprünglich arbeiteten die beiden an einem gemeinsamen Projekt, brachen ihre Zusammenarbeit aber Anfang dieses Jahres ab.

Edipresse machte den ersten Schritt mit der Ankündigung, am 31. Oktober zu starten. Dann, nur wenige Tage vor dem Start von “Le Matin Bleu” und nach vielen Spekulationen, stellte auch Tamedia ihr Projekt vor.

Beide Verlagshäuser scheinen zuversichtlich zu sein, dass es in der französischsprachigen Schweiz Platz hat für zwei Gratis-Tageszeitungen.

Jean Widmer, Professor für Kommunikation und Medien an der Universität Freiburg, meint jedoch, die Grösse des Marktes biete nur für einen Titel Platz.

“Ich glaube, es gibt keinen Raum für beide”, sagt er gegenüber swissinfo. “Im französischsprachigen Teil der Schweiz leben rund 1,3 Mio. Menschen, das sind bedeutend weniger als im deutschen Teil. Weiter ist das Zielpublikum auf Lausanne und Genf beschränkt.”

Ehrgeiziges Ziel

Théo Bouchat, Direktor der Le-Matin-Zeitungs-Gruppe, erwartet eine Leserschaft von 500’000, die sich zwischen dem “Le Matin Bleu” und dem Bezahl-Titel “Le Matin” aufteilen werde.

Die Lausanner Tageszeitung ist die meistverbreitete Tageszeitung in der Westschweiz mit einer Auflage von täglich 350’000 verkauften Exemplaren. Und Bouchat möchte die vorhandene Infrastruktur der Gruppe zu seinem Vorteil nutzen.

“Le Matin Bleu” erscheint am ersten Ausgabetag in einer Auflage von 100’000 Exemplaren.

Tamedia hat vor einer Woche bekannt gegeben, sie werde “20 Minutes” mit einer Auflage von täglich 120’000 Exemplaren starten, mit Spezialausgaben für Lausanne und Genf. Gestartet wird mit einem 30-köpfigen Redaktionsteam – 10 mehr als beim “Le Matin Bleu”.

Und anders als Edipresse hat Tamedia grosse Erfahrung mit Gratiszeitungen. “20 Minuten”, 1999 von einer norwegischen Gesellschaft lanciert, hat praktisch die ganze urbane Deutschschweiz erobert.

Mit 948’000 Leserinnen und Lesern ist “20 Minuten” die meistgelesenste Tageszeitung der Schweiz. Widmer glaubt, die in den letzten sechs Jahren gewonnen Erfahrungen könnten ausschlaggebend sein, die Gunst der anvisierten jungen, berufstätigen Leserschaft zu gewinnen.

“Die Qualität wird ein entscheidender Faktor sein und ich denke, dass “20 Minuten” besser sein wird, weil sie das schon vorher gemacht haben und ein grösseres Redaktionsteam einsetzen können”, sagt er.

Qualiltät

Christophe Zimmermann, Co-Direktor des Genfer Marktforschungs-Institutes Erasm, ist auch der Meinung, dass die Qualität entscheiden wird. Auf diesem Gebiet seien beide gleich stark, meint er.

Ausschlaggebend werde auch der “Gesamteindruck” sein, den jede der beiden Zeitungen vermittle. Genau dies sei entscheidend gewesen, damit “20 Minuten” in Zürich die Konkurrentin “Metropol” aus dem Rennen habe werfen können.

“Objektiv konnte man nicht sagen, dass eine besser als die andere gewesen wäre. Was schlussendlich den Ausschlag gab, war der Gesamteindruck. Das Layout von “20 Minuten” war lockerer, es machte mehr Spass als jenes von “Metropol”, sagt er.

Zimmermann und Widmer sind nicht davon überzeugt, dass der viermonatige Vorsprung von “Le Matin Bleu” als Sieg gewertet werden könne. Denn Tamedia ist in der Schweiz die ungekrönte Königin im Bereich Gratiszeitungen.

Aber eins ist sicher: Wer die Herzen und das Vertrauen der Leserschaft gewinnt, wird von den Inserenten belohnt werden.

“Ich denke nicht, dass es von der finanziellen Stärke der beiden Herausgeber abhängt, wer schliesslich das Rennen machen wird. Beide sind finanziell so gut in Form, dass sie den Kampf einige Zeit führen können”, sagt Zimmermann. “Aber wenn die Aussichten für zu lange Zeit negativ bleiben sollten, wird einer der beiden Verlage aussteigen müssen.”

Er zweifelt daran, ob in zwei, drei Jahren noch beide Konkurrentinnen im Rennen sein werden: “Wer überleben wird, ist im Moment nicht vorauszusagen.”

swissinfo, Adam Beaumont, Genf
(Übertragung aus dem Englischen: Etienne Strebel)

“Le Matin Bleu” wird von Edipresse herausgebracht.
Verteilung von Montag an in 44 Städten und Gemeinden in der französisch-sprachigen Schweiz.

Tägliche Auflage: rund 100’000 Exemplare.

Zielpublikum: jung, urban, arbeitend

Spezial-Ausgabe für die Genfersee-Region

Beschäftigte: 20

—————————

Herausgeberin von “20 Minutes”: Tamedia

Zielpublikum: junge, urbane Leserschaft, die Geld ausgeben kann

Spezialausgaben für Lausanne und Genf

Beschäftigte: 30

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft