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Kaution zwischen Anti-Dumping und Protektionismus

Weisse Farbe - graue Arbeit: Das Bau- und Ausbaugewerbe ist besonders anfällig fürs Preis-Dumping. Keystone

Ausländische Firmen, die Schweizer Mindestlöhne unterlaufen, werden gebüsst. Nun beklagen sich Schweizer Instanzen, dass sie ihre Forderungen bei ausländischen Gerichten nicht durchsetzen können. Als Mittel dagegen werden Kautionen eingesetzt.

Vom Zutritt zu den jahrzehntelang abgeschotteten, hochpreisigen Schweizer Märkten in der Baubranche konnten ausländische Anbieter lange Zeit nur träumen.

Doch seit vor bald fünf Jahren die Schweiz viele Märkte im Rahmen der bilateralen Verträge mit der EU geöffnet hat, offerieren zahlreiche Betriebe mit Sitz im nahen Ausland mit.

Aufgrund des Kostengefälles zwischen der EU und der Schweiz, besonders im Lohnbereich, sind diese sogenannten Entsendebetriebe dem einheimischen Gewerbe ein Dorn im Auge: Die neuen Konkurrenten werden verdächtigt, dank ungleicher Spiesse günstigere Offerten machen zu können.

Und die Schweizer Gewerkschaften kritisieren, dass die geltenden Mindestbestimmungen im Lohn- und Sozialbereich unterwandert würden.

Deshalb sind sich die Sozialpartner schweizerischerseits für einmal einig: Dem Dumping soll Einhalt geboten werden. Im Rahmen der sogenannten flankierenden Massnahmen zum Personenfreizügigkeits-Abkommen wurden die Kontrollen über die Einhaltung der Mindestbestimmungen verschärft.

Grosse kantonale Unterschiede bei Übertretungen

Mit Blick auf das gesamte Land schreibt das Seco in der Mai-Ausgabe der Volkswirtschaft, dass sich die “überwiegende Mehrheit der Arbeitgeber korrekt” verhalte. Laut Seco unterboten 2008 aber 8% der Betriebe, die Arbeitnehmer in die Schweiz entsenden, die Mindestlöhne.

“Im Landesdurchschnitt sieht die Situation aber viel weniger dramatisch aus als beispielsweise in Basel Landschaft oder im Tessin”, sagt Peter Gasser, Seco-Direktor im Leistungsbereich Personenfreizügigkeit und Arbeitsbeziehungen, gegenüber swissinfo.ch.

Auf höhere Übertretungs-Quoten kommen die paritätischen Kommissionen: Sie sprechen von 19%, weil sie die Gesamtarbeitsverträge (GAV) mit einbeziehen.

Noch höhere Quoten weist Basel Landschaft aus: Der Chef der kantonalen Wirtschaftskammer, Hans-Rudolf Gysin, klagt in der Neuen Zürcher Zeitung, dass jeder vierte ausländische (Entsende-)Betrieb auf Baustellen die Mindeststandards nicht einhalte.

Wie im Ausland durchsetzen?

Es wird kontrolliert, es kommt zu Bussen. Doch nicht die Sanktionen sind das Problem, sondern deren Durchsetzbarkeit: Die fehlbaren Betriebe werden zwar bestraft. Doch bleiben sie säumig und die Forderungen damit ausstehend, weil sich ausländische Gerichte als “nicht zuständig” erklären, so Gysin.

Bis Mitte 2009 hätte sich in Baselland laut dem Chef der Wirtschaftskammer eine Summe von 600’000 Franken an ausstehenden Bussen angesammelt. Genau deshalb hat der Kanton im Dezember 2008 die Einführung einer Kaution von 20’000 Franken beschlossen, die von den Betrieben zu hinterlegen ist, wenn sie im Kanton Aufträge ausführen.

Diese Kaution wird aber nicht nur von ausländischen, sondern auch von innerkantonalen Betrieben verlangt. Mit diesem Geld können Kosten für Kontrollen, Verfahren und Strafen gedeckt werden.

Ärger im Ausland

Während in der Schweiz Gewerbe- und Gewerkschaftsvertreter darüber diskutieren, ob die Kautionslösung wie sie der Kanton Basel Landschaft praktiziert landesweit eingeführt werden soll, nimmt die Kritik im Ausland zu.

Eine Kaution sei ein Handelshemmnis, Basel Landschaft betreibe Protektionismus, heisst es zum Beispiel in Konstanz in der Handwerkskammer. “Kautionspflicht ist kein technisches Handelshemmnis”, entgegnet Gysin.

Es gibt aber auch Stimmen im Ausland, die Verständnis zeigen für eine Kautionslösung. Sie sei “ein richtiger Schritt gegen Schwarzarbeiterchefs und Sozialdumper”, schreibt zum Beispiel Armin Hänssel, Bezirksverbandsvorsitzender der IG Bau Südbaden in einem Mediencommuniqué.

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund unterstützt laut ZPK-Präsident Daniel Münger diese Kautionspflicht: Schliesslich gelte es, sozialpartnerschaftliche Errungenschaften zu retten. Münger ist auch zuständig für den Gewerkschaftsbund Basel Landschaft (GBBL). Die ZPK habe im Baselbiet in den ersten vier Jahren allein im Ausbaugewerbe bei Stichproben eine Verstoss-Quote von 50% festgestellt.

In der Badischen Zeitung kritisierte die Freiburger Handwerkskammer schon letzten Winter die mangelnde Transparenz als Problem, und nicht die Schweizer Mindestlöhne. Sie habe bereits 2006 eine Internetdatenbank vorgeschlagen.

Mitte Juni 2009 hat nun das Seco auf einer Internet-Plattform die Schweizer Arbeits- und Lohnbedingungen aufgeschaltet. Firmen aus dem In- und Ausland können sich hier über die flankierenden Massnahmen informieren, auch über die Mindestlöhne.

Kaution oder Marsch durch die Instanzen

Laut Peter Gasser vom Seco sieht das Entsendungsgesetz die Hinterlegung von Kautionen ausdrücklich vor – “vor allem, wenn die Vollstreckung der Forderungen im Ausland derart erschwert ist”, wie er gegenüber swissinfo.ch sagt.

“Gerade in Deutschland sind die Einforderungen schwierig, denn die Deutschen Gerichte haben eine gewisse Mühe, sie einzuordnen.”

Die Schweizer Seite hätte noch nie versucht, solche Forderungen in Deutschland durch alle Instanzen durchzusetzen, meinte demgegenüber die Freiburger Handelskammer. Eine Kaution von 20’000 Fr. bedrohe aber deutsche Arbeitsplätze, weil sie wie eine Marktzutrittsbeschränkung wirke.

Alexander Künzle, swissinfo.ch

Die Schweiz hat im Juni 2004 im Rahmen der Personenfreizügigkeit mit der EU flankierende Massnahmen eingeführt, die Arbeitnehmende vor dem Risiko von Sozial- und Lohndumping schützen.

Das Entsendegesetz verpflichtet einen ausländischen Arbeitgeber, der seine Arbeitnehmenden in die Schweiz entsendet, die Arbeits- und Lohnbedingungen, die in der Schweiz vorgeschrieben sind, einzuhalten.

Paritätische Kommissionen kontrollieren die Einhaltung der Gesamtarbeitsverträge. Sie setzen sich aus einer gleichen Zahl von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern zusammen.

Tripartite Kommissionen haben die Funktion, Lohndumping in Branchen zu verhindern, in welchen keine allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträge bestehen.

Kantonale Arbeitsinspektorate kontrollieren die Einhaltung von Vorschriften über den allgemeinen Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und über die Arbeits- und Ruhezeiten.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) beaufsichtigt den Vollzug des Entsendegesetzes. Es übt die Aufsicht über die PK und TPK aus.

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