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Kein grosser Enthusiasmus für den Rettungsplan

Keystone

Erleichterung war vor allem in Finanzkreisen zu spüren, als am Donnerstag bekannt wurde, dass auch in der Schweiz der Staat Finanzplatz und UBS unter die Arme greift. Die Wirtschaft reagiert gemischt, Steuerzahler und Gewerkschafter kritisch.

Die insgesamt 68 Mrd. Franken will der Staat vor allem für die Schaffung von Vertrauen bereitstellen.

In erster Linie für den weltgrössten Vermögensverwalter UBS, der unter Geldabflüssen leidet, und zweitens für den Finanzplatz als grössten Arbeitgeber im Land.

Ob das lange Zögern des Bundesrats nur Taktik oder Unsicherheit gewesen ist, fragen sich zahlreiche Experten, die diesen Schritt schon am Mittwoch als überfällig erachtet hatten.

Die Landesregierung weist die Vorwürfe der Verzögerung zurück, laut Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf stand der Plan schon seit mehreren Wochen bereit. Bereits Anfang dieser Woche hatten neben den USA auch die EU ihr gewaltiges Paket fertig geschnürt.

Und: Erst Mitte Woche ist bekannt geworden, dass die UBS den Staat bzw. die Nationalbank bereits letzten Sonntag um Hilfe ersucht hatte.

Im Ausland nicht verstanden

Credit-Suisse-Präsident Walter Kielholz, dessen Bank sich ihr Geld am Kapitalmarkt beschaffen kann, sagt zum Rettungspaket: “Ich verweise auf die Massnahmen im Ausland. Es wäre dort wahrscheinlich nicht verstanden worden, wenn die Schweiz völlig abseits gestanden wäre.”

Bereits reagiert hat der britische Premier Gordon Brown: “Ich habe zur Kenntnis genommen, dass die Schweiz heute Morgen entschieden hat, ihr Finanzsystem zu refinanzieren. Ich bin erfreut, dass auch andere Länder ausserhalb der EU unserem Beispiel folgen.”

Auch die Sprecherin der EU-Kommission, Pia Ahrenkilde Hansen, sagte: “Wir begrüssen die Ankündigung des Plans und hoffen, dass er dazu beitragen wird, die Finanzmärkte zu stabilisieren.”

“Donnerschlag am Donnerstag”…

…heisst die Reaktion im Online-Teil der Neuen Zürcher Zeitung auf das Rettungspaket. Die NZZ kommentiert das im Notrecht verabschiedete Paket als “klug, innovativ und ausbalanciert”. Es habe gute Chancen, zu reüssieren.

Laut NZZ ist vor allem die Dimension von fast 70 Mrd. Franken gemessen an der Schweiz “beeindruckend” – gegenüber den rund 800 Milliarden des Pakets in den viel grösseren USA.

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Schweizerische Nationalbank

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Schweizerische Nationalbank (SNB) führt als unabhängige Zentralbank die Geld- und Währungspolitik der Schweiz. Ziel ihrer Politik ist Preisstabilität, die laut ihren Angaben eine wesentliche Voraussetzung für Wachstum und Wohlstand ist. Die SNB stützt ihre geldpolitischen Entscheidungen auf eine mittelfristige Inflationsprognose ab. Der Referenz-Zinssatz ist der Dreimonats-Libor (London Interbank Offered Rate). Die Nationalbank verfügt über…

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Überraschung und Unbehagen

Nachdem am Montag schönfärberisch noch behauptet worden war, die Schweiz brauche im Unterschied zu den USA und der EU keine Rettungspakete, stiess der am Donnerstag dennoch beschlossene Plan in Politik und Wirtschaft auf gemischte Reaktionen: Die Überraschung war mit einigem Unbehagen kombiniert.

So macht der St. Galler Finanzwissenschafter Manuel Ammann für den Finanzplatz einen Reputationsverlust aus. Die Schweiz stehe nun nicht mehr besser da als andere Staaten.

Der Wirtschaftsdachverband economiesuisse hätte eine private Finanzierung vorgezogen. Da sich die Lage aber noch einmal verschärft habe, rechtfertige sich “eine vorübergehende vorsorgliche Überbrückungslösung” des Staates. Das Engagement des Bundes solle jedoch nur temporär sein.

Massive Kritik, namentlich an den aus seiner Sicht zu “laschen” Auflagen an die Banken, übte der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB): Managerlöhne müssten massiv beschränkt und Boni verboten werden. Zähneknirschend stimmen SGB und Travail.Suisse dem Paket zu.

Gegen Lohnexzesse

Die Sozialdemokratische Partei (SP), die mit den Grünen eine Sondersession zum Thema fordert, will ebenfalls ein Verbot von Lohnexzessen, exorbitanten Boni und überrissenen Abgangsentschädigungen, und fordert ein Paket zur Ankurbelung der Konjunktur.

Eveline Widmer-Schlumpf meinte dazu im Tagesgespräch von Schweizer Radio DRS: “Die Fragen rund um Boni, Anreize, Entschädigungen sollen mit dem Internationalen Institut FFS erarbeitet werden. Und die Eidgenössische Bankenkommission soll klare Vorschriften machen.”

Die Grünen regen Schadenersatzprozesse gegen frühere Bankchefs an, namentlich gegen UBS-Boss Marcel Ospel. Für Widmer-Schlumpf ist dies zwar nachvollziehbar, aber wegen der vertragsmässigen Absicherung dieser Einkünfte kaum realisierbar.

Notwendiges Übel

Die Parteien sehen im Rettungsplan ein notwendiges Übel. Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) verlangt von der früheren UBS-Führung Bonus-Rückzahlungen.

Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) bezeichnete die Massnahmen als “unschön, aber unabdingbar”.

Laut der Schweizerischen Volkspartei (SVP) muss nach dieser enormen Liquiditätsspritze die Kreditvergabe für KMU ausreichend gewährleistet werden.

Der Bund der Steuerzahler (BDS) lehnt das Rettungspaket des Bundesrats zu Gunsten der UBS sogar ab. Es handle sich um eine “aktivistische Übung ohne gesicherte Finanzierung”.

Widmer-Schlumpf zeigt Verständnis für diese Reaktion, will aber sachlich bleiben: “Wir müssen die Stabilität des Finanzplatzes sicherstellen. Es geht nicht um eine Bank, sondern um ein Bankensystem und damit um die Schweizer Wirtschaft.”

Auch die Spareinlagen der kleinen Leute könne man am besten mit so einem Paket sichern. Sie wolle deshalb auch den Einlagenschutz verstärken: Zur Zeit bürgen die Banken pro Bankkunde für Spargelder bis 30’000 Franken.

swissinfo, Alexander Künzle und Agenturen

Mit einem Anteil von 15% am Bruttoinlandprodukt und von 16% an den Steuereinnahmen ist die Finanzbranche der bedeutendste Wirtschafts-Sektor der Schweiz.

Die rund 200’000 Arbeitsplätze machen rund 5% aller Beschäftigten im Land aus.

Wenn nun allein bei der UBS über 80 Mrd. Franken an Vermögen abgezogen würden, wie zu hören ist, dann werden die Dimensionen des Vertrauensverlustes deutlich.

Schon 2001 hat der Staat einem privaten Unternehmen zu Hilfe eilen müssen.

Einen Vergleich zwischen der Grossbank UBS und der Swissair erachtet Bankenkommissions-Präsident Eugen Haltiner aber als “unangebracht”.

Im Gegensatz zur Swissair sei die UBS kein bankrottes Unternehmen.

Die Grossbank sei im Gegenteil besser kapitalisiert als wahrscheinlich alle andern global tätigen Banken.

Ihr Problem seien illiquide Aktiven und der Vertrauensverlust.

SNB-Präsident Jean-Pierre Roth verwies auf einen weiteren Unterschied: “Wir reden hier vom Finanzsektor.”

Der Finanzsektor spiele eine zentrale Rolle für das gute Funktionieren der ganzen Wirtschaft des Landes.

Es sei deshalb die Aufgabe der Nationalbank, zu seiner Stabilisierung beizutragen.

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