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Kein Rechtsrutsch im Schweizer Parlament

Im Nationalratssaat dominiert die Mitte. Keystone

Die politische Mitte verbucht im Nationalrat laut einer Studie weiterhin am meisten Erfolge. Eine rechtsbürgerliche Wende zu Gunsten der Schweizerischen Volkspartei habe nicht stattgefunden.

Politologen der Universität Bern haben am Dienstag ihre Studie über die Mehrheits- und Koalitionsbildung im schweizerischen Nationalrat 1996-2005 vorgestellt.

“Erfolg ist eine Frage der Positionierung und nicht der Parteigrösse”, fasste der Autor der Studie, der Berner Politologe Daniel Schwarz, die Ergebnisse zusammen.

Anders als befürchtet habe der Aufstieg der Schweizerischen Volkspartei (SVP) nicht zu einer Blockaden-Situation oder zu einem Rechtsrutsch in der Bundespolitik geführt.

Trotz rückläufiger Sitzzahl würden die Fraktionen der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) und der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) im Nationalrat, der grossen Parlamentskammer, am meisten Erfolge verbuchen, schreiben die Autoren. Das bedeutet, dass am meisten Entscheide in ihrem Sinne getroffen werden.

Grund für den Erfolg der Mitte-Parteien sei, dass sie kaum isolierte Positionen einnähmen, sondern sich oft in Koalitionen zusammenschlössen. Dies sei bei den anderen Fraktionen nicht der Fall. Besonders die Sozialdemokratische Partei (SP) neige dazu, isolierte Positionen zu vertreten, denen die drei bürgerlichen Parteien nicht folgten.

SVP zunehmend isoliert

Eindrücklich ist die Entwicklung laut der Studie bei der SVP-Fraktion über die letzten drei Legislaturperioden: Die Partei stand letztes Jahr fast doppelt so häufig allein da wie im Jahre 1996.

Obwohl die SVP-Fraktion gewachsen sei, trage ihre wenig kompromissbereite Haltung zur Desintegration innerhalb des bürgerlichen Lagers bei, schreiben die Autoren. Allerdings profitiere die links-grüne Ratsseite kaum von der Isolation der SVP. Dies, weil sie selber meist kompromisslos sei.

Seit den Wahlen 2003 sei es weder zu einer rechtsbürgerlichen Wende gekommen, noch stimmten CVP und FDP vermehrt mit den links-grünen Fraktionen, führen die Politologen weiter aus.

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Nationalrat

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Der Nationalrat ist die Schweizer Parlamentskammer (Legislative) der Volksvertreter oder Abgeordneten (Grosse Kammer). Der Rat zählt 200 Parlamentarierinnen und Parlamentarier und vertritt das Schweizer Volk. Auf je 35’000 Einwohnerinnen und Einwohner eines Kantons kommt derzeit ein Mitglied im Nationalrat. Das einzelne Ratsmitglied wird “Nationalrat” oder “Nationalrätin” genannt. Nationalrat und Ständerat bilden zusammen die Vereinigte Bundesversammlung…

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Heterogener und flexibler denn je

Das häufigste Koalitionsmuster besteht gemäss der Studie über den gesamten Zeitraum hinweg aus den beiden links-grünen Fraktionen gegen die drei bürgerlichen Fraktionen. Dieses Muster sei bei 40% der Fälle zu beobachten.

In 15% der Fälle stünden die SP, die Grünen und die CVP einer Koalition von FDP und SVP gegenüber.

Insgesamt verlaufe die Mehrheitsbildung im Nationalrat heute heterogener und flexibler denn je. Im zeitlichen Verlauf wiesen alle bürgerlichen Koalitionsmuster sinkende Häufigkeiten auf. Für die Zukunft prophezeien die Autoren der Schweizer Demokratie ein ausgeglichenes Machtverhältnis.

Der Kompromiss setzt sich durch

Laut Projektleiter Wolf Linder sorgt diese Koalitionsbildung auch in Phasen zunehmender Polarisierung für Machtteilung und Machtausgleich. Im Parlament setzten sich nicht die Wahlsieger durch.

“Belohnt werden Kompromiss- und Koalitionsfähigkeit. So bleibt die politische Mitte die einflussreichste Akteurin im Gesetzgebungsprozess”, sagte Linder.

Erst wenn politisch benachbarte Fraktionen – etwa SP und Grüne – für die Erreichung sicherer Parlamentsmehrheiten ausreichen würden, könne es kritisch werden. Ein solches Szenario sei allerdings sehr unwahrscheinlich.

swissinfo und Agenturen

Die Studie “Mehrheits- und Koalitionsbildung im Nationalrat” wurde von den Parlamentsdiensten der Bundesversammlung (grosse und kleine Kammer) dem Institut für Politikwissenschaften der Universität Bern in Auftrag gegeben.

Die Autoren analysierten erstmals sämtliche durch das elektronische Abstimmungs-System erfassten Abstimmungen des Nationalrats von 1995 bis 2006.

Die Autoren definieren eine Koalition als eine Einheit von zwei oder mehr Fraktionen, bei denen jeweils mindestens zwei Drittel der Stimmenden die gleiche Position (Ja oder Nein) vertreten.

Alternativ werden die Koalitionsmuster der Gegenkoalition untersucht. In diesen Fällen dient nicht die Zweidrittel-Mehrheit, sondern die absolute Mehrheit der Stimmenden als Kriterium für das Zustandekommen einer Koalition.

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