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“Greta bewegt, wie es uns nicht gelungen ist”

Jetzt rufen auch in der Schweiz sogar Politiker dazu auf, Treibhausgase zu reduzieren, die noch vor kurzer Zeit nichts von Klimaerwärmung wissen wollten. Dazu gebracht wurden sie von der jugendlichen Klimabewegung. Aber macht die Politik nun das Erforderliche, um die Erderwärmung zu bremsen? Ein Klimaexperte vom WWF hat Zweifel.

Die kleine Parlamentskammer ist nicht dafür bekannt, klimapolitische Stricke zu zerreissen. Aber beim neuen CO2-Gesetz hat sie Ziele und Massnahmen beschlossen, die deutlich über jene hinausgehen, welche die Regierung vorsah, als der Name Greta Thunberg noch nicht in aller Munde war.

Was der WWF SchweizExterner Link davon hält, sagt dessen Klimaexperte Patrick Hofstetter.

Höhere Abgaben auf fossiler Energie

Mit der Revision des CO2-Gesetzes will die Schweiz Massnahmen zur Erreichung des Ziels umsetzen, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber 1990 zu halbieren. Damit verankert sie Ziele des Pariser Klimaabkommens explizit im nationalen Recht.

Die kleine Parlamentskammer legt nun ein CO2-Gesetz vor, über das die grosse Parlamentskammer noch debattieren wird.

Mindestens 60% der Reduktion sollen durch Massnahmen im Inland herbeigeführt werden und höchstens 40 Prozent durch Projekte im Ausland.

Die wichtigsten Beschlüsse sind höhere Abgaben auf Benzin, Diesel, Heizöl und Gas, schärfere Grenzwerte für fossile Heizungen und Fahrzeuge, eine Flugticketabgabe sowie ein Klimafonds.

swissinfo.ch: Das Thema CO2 dominiert derzeit die öffentliche Diskussion. Grosse Umweltverbände wie der WWF oder Greenpeace weisen seit Jahrzehnten auf das Problem hin. Aber die Politiker zum Handeln bewogen hat ein 16-jähriges Mädchen. Ist das für Sie nicht ein wenig frustrierend?

Patrick Hofstetter: Nein, das freut uns sehr. Es hilft uns bei unserer Arbeit in der Politik. Es ist genau das Teilchen, das noch gefehlt hat.

swissinfo.ch: Ein entscheidendes Teilchen. Bisher ging es ja kaum vorwärts bei der CO2-Reduktion.

P.H.: Die Geschichte verläuft nicht linear. Es gibt immer wieder Sprünge. 2007 gab es einen mit dem Film von Al Gore und dem Bericht von Sir Nicholas Stern, der zeigte, dass die ökonomischen Schäden grösser sind, als die Kosten für deren Vermeidung. [Link zum Stern-BerichtExterner Link, engl.]

Jetzt machen wir wieder einen Sprung vorwärts.

swissinfo.ch: Greta Thunberg wirft den Politikern weltweit vor, kaum etwas zu tun, um die Katastrophe zu stoppen. Viele Politiker scheinen ihr zu glauben und versprechen, beim Löschen des Brands zu helfen. Warum glaubten Sie zuvor nicht dem WWF und Greenpeace?

P.H.: Sie hören Greta Thunberg zumindest aufmerksam zu, weil diese mit ihrer authentischen und direkten Art vor allem die Gleichaltrigen bewegt, auf eine Art und Weise, wie es uns nicht gelungen ist.

Was die Politik aber vor allem bewegt, ist die Feststellung, dass eine grosse Bevölkerungsschicht nun verstanden hat, worum es wirklich geht.

Es ist die klassische Reaktion: Man kann nur an der Macht bleiben, wenn man von der Bevölkerung getragen wird. Und mit der direkten Demokratie in der Schweiz geschieht dies sehr unmittelbar.

swissinfo.ch: Auch die Schweizer Politik will sich an den Löscharbeiten beteiligen. In diesen Tagen debattiert die kleine Parlamentskammer ein neues CO2-Gesetz. Leistet die Schweiz mit den vorgeschlagenen Massnahmen einen ausreichenden Anteil an den global notwendigen Löscharbeiten?

P.H.: Was jetzt aufgegleist wird, ist zwar ein rechtes Stück besser und längerfristig ausgerichtet als das, was der Bundesrat vor der Jugendbewegung vorgeschlagen hatte. Aber an der konsequenten Umsetzung fehlt es an allen Ecken und Enden. 

Es entspricht nur ungefähr der Hälfte der erforderlichen Ambitionen zur Erreichung des Klimaabkommens. Damit werden wir die Emissionen vielleicht jährlich um zwei Prozent reduzieren; erforderlich wären aber vier Prozent.

“Es entspricht nur ungefähr der Hälfte der erforderlichen Ambitionen zur Erreichung des Klimaabkommens.”

swissinfo.ch: Laut Bundesamt für Umwelt verursacht die Schweizer Bevölkerung jedes Jahr einen CO2-Ausstoss von 4.5 Tonnen pro Kopf, aber das ist nur der Inlandanteil. Dazu kommen Emissionen in noch grösserem Ausmass, welche die Schweizer im Ausland verursachen, vor allem durch den Konsum von Importprodukten und Reisen ins Ausland. In der politischen Debatte ist davon aber kaum die Rede, warum nicht?

P.H.:  Es gibt Kommissionsmitglieder, die sich dieser Problematik bewusst sind. An drei Stellen kommt dies im Gesetzesentwurf zum Ausdruck: Eher unbemerkt von der öffentlichen Diskussion ist dort sogar explizit ein drittes Klimaziel festgehalten, wonach in der Höhe dieser grauen Emissionen, welche der Schweizer Konsum jenseits der Grenze verursacht – das sind rund 70 Millionen Tonnen pro Jahr –, im Ausland zu Emissionsreduktionen beigetragen werden soll. 

Diese Reduktionen würden nicht den eigenen Zielen angerechnet, zu denen sich die Schweiz verpflichtet hat.

Zweitens sollen Massnahmen ergriffen werden, die zu Emissions-Reduktionen innerhalb der Wertschöpfungskette von Schweizer Firmen führen. Umgesetzt werden soll dies mit den Geldern der Treibstoff-Importeure, die verpflichtet werden, Klimaschutzprojekte zu unterstützen. Damit lassen sich auch die grauen Emissionen reduzieren.

Drittens bei der Flugticket-Abgabe, welche einerseits die Auslandemissionen direkt reduziert und mit deren Ertrag sich andererseits in grossem Stil Reduktionen bei den grauen Emissionen bewirken lassen.

swissinfo.ch: Ist es zielführend, dass die reichen Länder für den CO2-Ausstoss, den sie im Ausland verursachen, nicht geradestehen müssen.

P.H.:  Nein, das ist kein effizienter Weg, weil viele dieser Güter in Niedriglohnländern mit schlechter Regierungsführung hergestellt werden. Diese Länder sind nicht in der Lage, die grundlegendsten Umweltgesetze zu erlassen und durchzusetzen.

swissinfo.ch: Was wäre effizienter?

P.H.: Multinationale Konzerne, die ausgebaute Strukturen haben, in die Pflicht zu nehmen, wäre vermutlich der einfachere und direktere Weg, um von den fossilen Energien wegzukommen.

Es braucht ein Zusammenspiel zwischen nationaler Souveränität und diesen Wirtschaftsakteuren.

swissinfo.ch: Und wie sollen die Konzerne dazu bewogen werden?

P.H.:  Indem man zum Beispiel im CO2-Gesetz Anreize schafft, dass multinationale Konzerne in ihrer Wertschöpfungskette Treibhausgas-Reduktionen machen können.

swissinfo.ch: Eine Massnahme, welche dem Verursacherprinzip Rechnung trägt, ist die sogenannte Lenkungsabgabe. In der Schweiz wird eine solche seit einigen Jahren erfolgreich auf Brennstoffen – Heizöl und Gas – erhoben. Auf Treibstoffen – Benzin und Diesel – hingegen gibt es keine Lenkungsabgabe. Warum nicht?

P.H.:  Die Treibstoff-Importeure konnten mit einer Alternative die Politiker überzeugen. Wobei sich Letztere gerne überzeugen liessen, weil Benzinpreiserhöhungen nicht populär sind.

Man muss allerdings auch festhalten, dass die Preise für Treibstoffe in der Schweiz gleich hoch sind wie in den Nachbarländern. Deshalb stellt sich die Frage, ob man nicht anstatt Abgaben pro Liter Treibstoff eher Abgaben auf den zurückgelegten Kilometern erheben sollte. Das wäre auch verursachergerecht.

swissinfo.ch: Aber davon ist in der laufenden Debatte keine Rede.

P.H.: Das muss aber in der nächsten Legislaturperiode dringend angepackt werden, damit es hoffentlich bis in fünf Jahren eingeführt werden kann.

Dieser Systemwechsel ist auch aus finanziellen Gründen überfällig. Wenn die Elektromobilität weiter zunimmt, kann der Unterhalt der Infrastruktur nicht mehr allein über Benzin- und Dieselabgaben bezahlt werden.

swissinfo.ch:  Hat diese Forderung für die Umweltverbände Priorität?

P.H.: Wenn man die Leute dazu bewegen möchte, sich genau zu überlegen, ob und wenn ja, mit welchem Verkehrsmittel sie von A nach B gelangen möchten, dann ist diese Massnahme zwingend nötig.    

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