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Entwicklungshilfe im Umbruch

Klimaschutz versus Armutsbekämpfung: Die Schweiz steckt im Dilemma

Kochende Frau
Namitala Kalyesubula kocht im November 2007 über einem Holzkohlefeuer in der Gegend von Namusalla, 80 km nördlich von Kampala, Uganda. Der damalige ugandische Präsident kritisierte, dass die Unterentwicklung in den armen Agrarwirtschaften dazu führe, dass man auf die Verbrennung von Holzkohle zur Energiegewinnung angewiesen sei, wodurch Treibhausgase entstünden und auch die Abholzung der Wälder gefördert werde. Keystone / Jon Hrusa

Die Schweiz engagiert sich unter anderem im Rahmen der Uno für Klima- und Umweltschutz sowie Armuts- und Hungerbekämpfung. Sie verhält sich teilweise widersprüchlich – dahinter stecken Zielkonflikte.

Eine Kleinbäuerin in Mali kann auf die Unterstützung der Schweiz zählen. Diese finanziert den Bau von Bewässerungsanlagen, um die Erträge auf den kargen Feldern zu steigern.

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit Deza unterstützt die bäuerliche Bevölkerung in Entwicklungsländern sogar dabei, ihre Interessen mittels Lobbyings in die nationale Gesetzgebung einzubringen. Um den Kleinbäuerinnen besseren Zugang zu Kapital, Saatgut, Land oder Wasser zu verschaffen, mischt die Deza auch bei internationalen RegulierungenExterner Link im Bereich von Saatgut oder internationalen Handelsbestimmungen mit.

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Akteure mit unterschiedlichen Zielsetzungen

Die Schweiz investiert im Vergleich zu anderen Ländern ausserdem viel in die so genannte Agrarökologie – eine ökologische und soziale Form der Landwirtschaft. Beispielsweise sollen natürliche Pflanzenschutzmittel den Einsatz von Pestiziden reduzieren, einheimische Sorten den Dürren trotzen und vieles mehr. “Die Deza, das Kompetenzzentrum Agroscope und das Bundesamt für Landwirtschaft unterstützen die Agroökologie”, hält Yvan Schulz von der Schweizerischen Stiftung für Entwicklungszusammenarbeit Swissaid fest.

Wenn wir eine wachsende Weltbevölkerung unter den Bedingungen des Klimawandels satt machen wollen, müssen wir laut Uno unsere Ernährungssysteme ändern. Sie lädt daher am 23. September 2021 in New York zu einem Gipfel. SWI swissinfo.ch widmet dem Thema eine Serie.

Das Staatssekretariat für Wirtschaft SecoExterner Link hingegen fördert den Schutz des geistigen Eigentums, da dieser “ein zentrales Interesse der Schweiz und ihrer innovationsgetriebenen Wirtschaft” sei. Aufgabe des Seco ist es, in der Schweiz für Wirtschaftswachstum, eine hohe Beschäftigung und gute Arbeitsbedingungen zu sorgen – auch via Aussenpolitik.

Nun mag es von wirtschaftlichem Vorteil für die Schweiz sein, wenn sich das Seco international für einen strengen Sorten- und Patentschutz einsetzt. Konzerne mit Sitz in der Schweiz verdienen Geld mit patentierten Gütern – der Basler Agrokonzern Syngenta beispielsweise mit dem Verkauf von Saatgut. Für Entwicklungsländer – und damit die Hunger- und Armutsbekämpfung – ist es hingegen nachteiligExterner Link.

“Die Schweiz zwingt die Entwicklungsländer zu strengeren Regeln als sie selbst anwendet!”

Asymmetrische Handelsverträge

Laut der Stiftung für ökologische Entwicklung Biovision gibt es in der Schweizer Politik zahlreiche solche Inkohärenzen, die dringend behoben werden müssten. “Soziale und ökologische Aspekte werden beispielsweise in Handelsverträgen und in der Ausgestaltung von Subventionen noch immer zu wenig berücksichtigt”, so Frank Eyhorn von Biovision.

Swissaid kritisiert ganz konkret: “Die Schweiz zwingt Partnerländer wie Indonesien oder Malaysia über bilaterale Handelsverträge dazu, strikte Sortenschutzgesetze zu erlassen”, so der Saatgutexperte Simon Degelo. Das sei problematischExterner Link, weil Saatgut nicht weitergezogen werden könne. Ähnlich wie bei patentiertem Saatgut muss es jedes Jahr neu gekauft werden. Für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in Entwicklungsländern ist das finanziell ein Problem.

Saatgut
Angestellte des Internationalen Zentrums für die Verbesserung von Mais und Weizen in Mexiko-City sortieren Proben von wildem Maissaatgut. Keystone / Eduardo Verdugo

Und es ist ungerecht: “In der Schweiz ist es erlaubt, Saatgut weiterzuziehen”, so Degelo. “Die Schweiz zwingt die Entwicklungsländer also zu strengeren Regeln als sie selbst anwendet!” Pikantes Detail: Der Internationale Verband zum Schutz von PflanzenzüchtungenExterner Link (UPOV), der sich für ein wirksames Sortenschutzsystem einsetzt, hat seinen Sitz in Genf.

Angesprochen auf die Vorwürfe nimmt das Staatssekretariat für Wirtschaft folgendermassen Stellung: “Ein angemessener Schutz des Geistiges Eigentums steht nicht im Widerspruch mit den Bemühungen der Schweiz für Klima- und Umweltschutz sowie Armuts- und Hungerbekämpfung”, schreibt Fabian Maienfisch vom Seco. Bezüglich Sortenschutz schlage die Schweiz in Verhandlungen für Freihandelsabkommen jeweils vor, sich an der internationalen UPOV-KonventionExterner Link zu orientieren, die das traditionelle Saatgut der Bäuerinnen und Bauern gar nicht betreffe und somit auch keine rechtlichen Auswirkungen auf diese habe.

“Den Beitritt zu dieser Konvention oder die Übernahme von deren Standards wird aber keineswegs zur Voraussetzung für den Abschluss eines Freihandelsabkommens gemacht”, so Maienfisch. “Von Zwang kann also keine Rede sein.”

Subventionen und ökologische Standards

Dass sich die Schweiz zuweilen widersprüchlich verhält, hat nicht nur mit verschiedenen Akteuren und deren Auftrag, sondern auch mit thematischen Zielkonflikten zu tun. So kann es beispielsweise gut für die Umwelt sein, die regionale Landwirtschaft mit Subventionen zu fördern oder ökologische Standards für Importe einzuführen. Für Entwicklungsländer bedeutet das aber, dass sie ihre Produkte nicht in den Globalen Norden exportieren können.

Auf Umweltschutz zu verzichten, ist für Christine Badertscher, Grünen-Nationalrätin und Stiftungsrätin bei Swissaid, keine Lösung. Aber: “Es ist wichtig, dass die Schweiz im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit die lokalen Produzentinnen und Produzenten darin unterstützt, die ökologischen Standards zu erfüllen.”

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Die Schweiz fördert zwar den Import aus dem globalen Süden mit Zollpräferenzen – jedoch nur für Rohstoffe. “Bei den verarbeiteten Produkten gewichtet die Schweiz den Schutz der eigenen Wirtschaft höher”, so Badertscher. Dabei wäre es für die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer wichtig, auch verarbeitete Produkte exportieren zu können. Badertscher plädiert für eine Revision des Schweizer Zollsystems. “Sonst werden Entwicklungsländer weiterhin hauptsächlich Rohstoffe wie Kaffee und Kakao exportieren.”

“Ohne Pflanzenschutzmittel bräuchte man eine massiv grössere Anbaufläche, um den Bedarf an Produkten stillen zu können.”

Quantität auf Kosten der Umwelt?

Kürzlich warnte der Weltklimarat, zwischen acht bis 80 Millionen Menschen seien zukünftig wegen des Klimawandels zusätzlich von Hunger betroffen. Umgekehrt ist aber die Landwirtschaft für rund 20 Prozent der globalen TreibhausgasemissionenExterner Link verantwortlich. Mehr Lebensmittel für eine wachsende Bevölkerung zu produzieren, bedeutet eine Belastung für Umwelt und Klima.

Lange dachte man, grossflächige Anbaumethoden könnten die Ernährungslage effizienter sichern. Inzwischen wird aber kritisiert, die chemieintensiven Monokulturen schädigten die Böden. Die Agrarmittelindustrie sieht das anders. “Ohne Pflanzenschutzmittel bräuchte man eine massiv grössere Anbaufläche, um den Bedarf an Produkten stillen zu können”, schreibt Syngenta-Sprecher Beat Werder auf Anfrage von SWI swissinfo.ch. “Wälder müssten abgeholzt werden und die Biodiversität würde leiden.”

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Zielkonflikt zwischen Armutsbekämpfung und Klimaschutz

Wenn noch dazu die Entwicklung in ärmeren Ländern gefördert wird, diese Bevölkerungen sich aus der Armut befreien und dem westlichen Lebensstil annähern, dann steigen auch die Treibhausgasemissionen.

Von einem Zielkonflikt zwischen Armuts- und Hungerbekämpfung einerseits, und Umwelt- und Klimaschutz andererseits, will das Schweizer Aussendepartement, wo auch die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit angesiedelt ist, aber nicht sprechen. “Im Gegenteil, diese Ziele sind eng miteinander verknüpft”, schreibt ein EDA-Sprecher auf Anfrage. “Unser Ziel ist es, gleichzeitig auf diese Aspekte einzuwirken – trotz der offensichtlichen Komplexität.”

Auch Patrick Dümmler vom wirtschaftsnahen Think Tank Avenir Suisse sieht keinen grundlegenden Konflikt zwischen Armutsbekämpfung und Ökologie. “Grundsätzlich profitiert die Umwelt von einem höheren Durchschnittseinkommen.” Wenn ein bestimmtes Wohlstandsniveau erreicht sei, steige nämlich der Wunsch nach einer intakten Umwelt. “Noch in den 1950er-Jahren waren Schweizer Gewässer stark verschmutzt, erst allmählich setzte ein Umdenken ein, und Technologien zur Abwasserreinigung wurden entwickelt.”

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“Wenn es um wirtschaftliches Wachstum im Sinne des BIP geht, dann ja, da gibt es einen fundamentalen Konflikt”, sagt hingegen Schulz von Swissaid. “Aber man kann auch eine breitere Vision der Entwicklung haben.” Mit agroökologischer Landwirtschaft könnten seiner Meinung nach beide Ziele vereinbart werden, denn diese Art von Landwirtschaft setze auf klimafreundliche low-tech-Lösungen und berücksichtige gleichzeitig soziale Faktoren wie die Unabhängigkeit der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern.

Bäuerinnen in Jemen
Jemenitische Frauen säen im November 2005 im Hadramout-Tal aus. Fast 80 Prozent der jemenitischen Frauen, die ausserhalb ihres Hauses arbeiten, sind in der Landwirtschaft tätig. Von diesen arbeiten fast 65 Prozent unbezahlt auf den Höfen ihrer Familien oder auf von ihren Familien gepachtetem Land. Keystone / Yahya Arhab

Auch Syngenta behauptet, eine nachhaltig betriebene Landwirtschaft liege dem Unternehmen am Herzen. Statt auf Agroökologie – die auf einen Verzicht von Pestiziden und synthetischen Düngemitteln zielt – setzt der Konzern aber lieber auf etwas, das er “regenerative Landwirtschaft” nennt (wobei dieser Begriff von verschiedenen Akteuren unterschiedlich verwendet wird). Eine “regenerative Landwirtschaft” kann laut Syngenta die Nahrungsmittelproduktion von einem der grössten Verursacher des Klimawandels zu einem wesentlichen Teil der Lösung machen. “Regenerative Landwirtschaft praktiziert reduzierte Bodenbearbeitung und macht den Boden zu einem Kohlenstoffspeicher”, so Werder. Der Boden werde durch eine permanente Pflanzendecke vor Erosion geschützt, in gesünderem Boden könne mehr Wasser versickern und dank Feldrandstreifen gebe es mehr Artenvielfalt.

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