Bedrohte Berge: Was tun, wenn der Permafrost auftaut?

Von instabilen Hängen bis hin zu Felsstürzen – das Auftauen des Permafrosts wird für Bergregionen weitreichende Folgen haben, auch in den Schweizer Alpen. Schweizer Wissenschaftler:innen wirken bei der Erforschung des Problems und auf der Suche nach Lösungen an vorderster Front mit.
Auftauender Permafrost ist für Berghütten, für den Lawinenschutz oder für Seilbahnen, die oft auf der gefrorenen Gesteinsschicht gebaut sind, ein gravierendes Problem.
Eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Studie des Schweizer Alpen-Clubs (SAC) hat ergeben, dass über ein Drittel der 152 Berghütten durch den auftauenden Permafrost gefährdet sind. Weitere 42 Hütten sind durch Erdrutsche aus Permafrostzonen bedroht.

Auftauender Permafrost, mehr Naturgefahren und veränderte Landschaften erforderten grosse Investitionen und innovative Lösungen bei der Planung und dem Bau von Hütten, so der SAC.
Ein vom Club eingerichteter Fonds wird nicht ausreichen, um Bauprojekte zu finanzieren, weshalb der SAC auf Partnerschaften und Spenden angewiesen ist.

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Klimawandel bedroht SAC-Hütten – Geld für Sanierungen wird knapp
Das Schweizer Bundesamt für Umwelt schätzt, dass 6–8% der Bodenfläche der Schweiz instabil sind. Siedlungen unterhalb von Permafrostgebieten müssen in den kommenden Jahren vermehrt mit Erdrutschen und Murgängen rechnen.
Lesen Sie diese Reportage aus Kandersteg, einem beliebten Schweizer Ferienort im Berner Oberland, wo die Dorfbewohner:innen mit der Gefahr leben, dass ein nahe gelegener Berggipfel ins Tal zu stürzen droht:

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Im Schatten des Spitzen Steins
Auftauender arktischer Permafrost setzt CO2 frei
Mit den weltweit steigenden Temperaturen hat auch der Dauerfrostboden in der Arktis zu tauen begonnen. Dadurch werden mehr Methan und Kohlendioxid in die Atmosphäre freigesetzt.
Jahrhundertelang hat die arktische Tundra CO2 in ihrem gefrorenen Boden gebunden. Nun erlebt sie eine tiefgreifende Veränderung, ausgelöst unter anderem durch häufige Waldbrände.
Die Folge: Es wird mehr CO2 freigesetzt als gebunden. Über diese drastische Veränderung informierte vergangenen Dezember die US-amerikanische National Oceanic and Atmospheric Administration(NOAA).
Sie weist in einem Bericht darauf hinExterner Link, dass die jährlichen Oberflächentemperaturen in der Arktis im Jahr 2024 den zweithöchsten Wert seit 1900 erreicht haben.
Die Klimaerwärmung wirkt sich doppelt auf die Arktis aus: Zum einen regt sie die Pflanzenproduktivität und das Pflanzenwachstum an, wodurch der Atmosphäre CO2 entzogen wird.
Zum anderen führt sie zu höheren Lufttemperaturen an der Oberfläche, die den Permafrost auftauen lassen. Dadurch wird der im gefrorenen Boden gebundene Kohlenstoff von Mikroben abgebaut und als CO2 und Methan – beides starke Treibhausgase – in die Atmosphäre freigesetzt.

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Das Ende des ewigen Eises
Der vom Menschen verursachte Klimawandel sorgt zudem dafür, dass es auch in höheren Breiten vermehrt zu Waldbränden kommtExterner Link.
Die Waldbrandfläche und die Intensität der Brände haben zugenommen, wodurch noch mehr CO2 in die Atmosphäre freigesetzt wurde.
Besonders beunruhigt sind die Forschenden über neue ForschungsergebnisseExterner Link, die zeigen, dass mit der Erwärmung der Arktis grosse Mengen an Treibhausgasen aus den Sedimenten am Grund von arktischen Seen freigesetzt werden könnten – eine Quelle, die bisher übersehen wurde.
Die meisten Modelle zur Freisetzung von CO2 aus arktischem Dauerfrostboden berücksichtigen nur das Auftauen der obersten drei Meter des Bodens.

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Klimawandel: Wo steht die Forschung zum Permafrost in der Schweiz?
Laut NOAAExterner Link sind schätzungsweise 1,5 Billionen Tonnen Kohlenstoff im Permafrost gebunden. Zum Vergleich: Weltweit werden pro Jahr fast 40 Milliarden TonnenExterner Link in die Atmosphäre freigesetzt.
Schweiz in der Permafrostforschung weltweit führend
Die Schweiz hat mit dem Permafrostmessnetz PermosExterner Link im Jahr 2000 das erste nationale Überwachungsnetz eingerichtet. Die Messungen begannen 1987 auf dem Piz Corvatsch im Oberengadin und liefern weltweit die am längsten zurückreichenden Messdaten für Permafrost im Gebirge.

2024 entwickelte ein Schweizer Forschungsteam eine neue Methode zur Quantifizierung des Bodeneisverlusts, ein weiterer Meilenstein für die Schweizer Permafrostmessungen. Diese Methode kann nicht nur in den Alpen, sondern auch in der Arktis eingesetzt werden.

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Schweizer Pionierforschung entschlüsselt, wie Permafrost auftaut
Schweizer Permafrost-Fachleute arbeiten in aller Welt. In Bhutan hat ein Team aus der Schweiz im vergangenen Jahr unter der Leitung des WSL-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos zusammen mit der lokalen Bevölkerung ein vierjähriges Permafrost- und Schneeforschungsprojekt gestartetExterner Link, das vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF-SPIRIT) finanziert wird.
Ziel des Projekts ist es, Massnahmen zur Reduktion klimabedingter Risiken in Hochgebirgsregionen zu entwickeln.
In den letzten Jahren wurde viel zu klimabedingten Risiken in den Hochgebirgsregionen der Nachbarländer Indien und Nepal geforscht – in Bhutan, dem kleinen Binnenstaat im östlichen Himalaya, jedoch kaum.

«Es ist wichtig zu wissen, wie sich die Situation in sehr grossen Höhen entwickelt. Die Dorfbewohner:innen in Bhutan haben oft keine Ahnung, was dort oben vor sich geht», sagt Nadine Salzmann, Leiterin der Forschungseinheit Alpine Umwelt und Naturgefahren am SLF, gegenüber SWI swissinfo.ch.
«Man muss zumindest die potenziellen Gefahren kennen und eine Art Frühwarnsystem installieren, wie das auch in der Schweiz, in Indien und in China gemacht wird.»
Vergangenen September war Salzmann erstmals selbst in Bhutan, um Experimente durchzuführen, Instrumente in Hochgebirgsregionen zu installieren und bei Einheimischen, Behörden, Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaftler:innen das Bewusstsein für Permafrost und Schnee zu fördern.
Ähnliche Herausforderungen
Die Schweiz und Bhutan sind von Grösse und Topografie her vergleichbar, und beide Länder stehen beim Klimawandel vor ähnlichen Herausforderungen. «Wir verwenden Methoden, die wir zuvor in der Schweiz getestet haben und die nun für die extremen Bedingungen dort einsatzbereit sind», so Salzmann.
Das Team reiste zu einem Forschungsstandort in der Nähe des Thana-Gletschers auf etwa 5200 m Höhe, wo rund 20 Sensoren zur Messung der Oberflächentemperatur des Bodens und zur Erkennung von Permafrost installiert wurden.
Solche Geräte werden von Permos in der Schweiz seit vielen Jahren eingesetzt. «Diese Technologie ist bestens erprobt und daher auch für sehr abgelegene Gebiete geeignet», sagt Salzmann.
Das Team installierte auch eine völlig neue automatische Wetterstation und einen Sensor für kosmische Strahlung, der in abgelegenen Gebieten anhand der gemessenen Neutronenintensität das so genannte «Schneewasseräquivalent» ermitteln kann, also die in einer Schneedecke gespeicherte Wassermenge.
Die täglichen Messdaten liefern so wertvolle Informationen über Niederschläge und Schneemengen in sehr hohen Lagen. «Solche Daten bräuchten wir dringend weltweit», sagt Salzmann.
Von der Permafrostkartierung bis zum Risikobewusstsein: Wissen ist Macht
Das Forschungsteam kartierte auch Landschaftselemente, die auf Permafrost hinweisen, wie etwa Blockgletscher, Schuttkegel, Gletschervorfelder und gefrorene Moränen. «Wir möchten die erste regionale Karte des potenziellen Permafrostvorkommens in Bhutan erstellen», sagt Salzmann.
Eine zweite Säule ist der Aufbau von Kapazitäten. Das Schweizer Projekt verfolgt bei der Risikoanalyse einen geschlechtsspezifischen Ansatz. Dabei wird untersucht, wie die Frauen in Bhutan, die oft in der Landwirtschaft tätig sind, mit Gefahren wie Erdrutschen, Veränderungen von Wasser- oder Gletscherläufen (Gletscherseeausbrüchen) umgehen und ob ihr lokales Wissen die Frühwarnsysteme verbessern kann.
Laut Salzmann hofft das Schweizer Forschungsteam, dass sein Projekt nicht nur einheimische Jugendliche über die Risiken aufklärt, sondern auch längerfristig interessante wissenschaftliche Perspektiven für Universitätsstudierende in Bhutan bietet. Das Land leidet unter einer «extremen Abwanderung von Fachkräften», da viele junge Erwachsene auswandern, namentlich nach Australien.
Im weiteren Verlauf des Projekts plant das Schweizer Team, die Forschungsarbeit auf andere Regionen Bhutans auszuweiten und weitere Instrumente für detaillierte Analysen zu installieren. «Es ist der Anfang einer Entdeckungsreise in höheren Lagen», bilanziert Salzmann.
Lösungsansätze vorhanden
Die Forschung zur Risikominderung sei zwar sehr wichtig, meint Salzmann. Es gebe jedoch nur einen Weg, das Auftauen des Permafrosts deutlich zu verlangsamen oder gar umzukehren: die vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen jetzt deutlich zu reduzieren. «Gesamthaft gesehen geht der Trend langfristig eindeutig in Richtung Auftauen», warnt sie.
In besonders kalten Regionen wie in Kanada und Alaska versucht man bereits fieberhaft, den Problemen zu begegnen und sich an die Situation anzupassen. So werden unter anderem Überwachungssysteme eingerichtet, Erdrutschrisiken kartiert, Gebäude verstärkt, die Infrastrukturen verlegt und die Öffentlichkeit besser sensibilisiert.
An einigen Orten setzen Ingenieure auf passive Kühlmethoden, um Permafrost aufzubauen und zu erhalten, beispielsweise die Regulierung des konvektiven Wärmeverlusts aus dem Boden und die Nutzung kalter Umgebungsluft zur Kühlung des Permafrosts über Lüftungskanäle, Schotterdämme und ThermosiphonsExterner Link – eine passive Kühlvorrichtung, die auf dem passiven Wärmeaustausch durch natürliche Konvektion basiert.
Auch in den Schweizer Alpen wird auf diesem Gebiet geforscht. Elizaveta Sharaborova, Doktorandin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) und am SLF, untersucht, wie Infrastrukturen stabilisiert werden können, die durch auftauenden Gebirgspermafrost gefährdet sind.
Im Rahmen ihres Projekts «SolarFrost»Externer Link hat Sharaborovas Forschungsteam einen Prototypen eines neuartigen Kühlrohrsystems entwickelt. Die an eine solarbetriebene Wärmepumpe angeschlossenen Rohre werden unter der Oberfläche verlegt und bewirken eine Kühlung der Auftauschicht.

Simulationen zeigen, dass das System die natürliche Kühlung im Winter verbessert und den Permafrost im Sommer schützt. Durch die Rohrkühlung bildet sich eine gefrorene Sperrschicht, die das Eindringen von Wärme verhindert und den darunterliegenden gefrorenen Permafrost schützt.
«Den Permafrost überall einfrieren können wir nicht – aber bestimmte Infrastrukturen schützen, die auf Permafrost gebaut sind. Dabei geht es namentlich um Seilbahnen und Eisenbahnstrecken in den Bergen», präzisiert Sharaborova gegenüber SWI swissinfo.ch.

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Die Technologie wurde in Permafrostgebieten in niedrigeren Lagen bereits erfolgreich getestet, weitere Labortests in der Schweiz sollen folgen.
In Nordsibirien versucht ein russischer Wissenschaftler mit seinem Sohn, grosse Pflanzenfresser wie Pferde und Bisons in der arktischen Tundra anzusiedeln, um das Ökosystem der Steppentundra wiederherzustellen und die globale Erwärmung zu bremsen.
Die Idee dahinter: Die Umstellung der Landschaft von bewaldeter Vegetation auf Grasland soll den Schutz des kohlenstoffreichen Permafrosts verbessern, die mit dem Auftauen des Permafrosts verbundenen Kohlenstoffemissionen verringern und die Kohlenstoffbindung im Boden erhöhen.
Ob solche unkonventionellen Auswilderungsmethoden ein probates Mittel sind, um dem Auftauen des Permafrosts Einhalt zu gebieten, muss wissenschaftlich jedoch erst noch belegt werden.
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Editiert von Veronica De Vore, Übertragung aus dem Englischen: Lorenz Mohler/cr

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