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Köniz – Vorbild für andere Agglo-Gemeinden

Ortszentrum Köniz: Koexistenz zwischen Fussgängern und hohem Verkehrsaufkommen. Keystone

Verdichtete Bauten, eine klare Abgrenzung zwischen Siedlungs- und Landschaftszonen und eine vorbildliche Verkehrsplanung: Der Schweizer Heimatschutz zeichnet die Berner Agglomerations-Gemeinde Köniz mit dem renommierten Wakker-Preis aus.

Köniz hat viele Gesichter: mit Einfamilienhäusern überwucherte Sonnenhänge, gesichtslose, in die Jahre gekommene Wohnquartiere, Brachen und Lagerhallen.

Dem Zentrum mit Schloss und Kirche, den Stahl-Glas-Bauten der Grossverteiler und den als Bauernhäuser verkleideten Banken fehlt es an städtischer Ausstrahlung.

Köniz, das sind aber auch verdichtete, architektonisch hochstehende Wohnbauten, zu Kulturzentren umfunktionierte Industrie-Brachen, ein grosszügiger, neu gebauter Stadtpark, intakte Bauerndörfer und unverbaute Hügellandschaften.

“Köniz kann Agglo”

“Wir wollen die verschiedenen Gesichter besser sichtbar machen und ihre Identitäten verschärfen”, sagt Gemeindepräsident Luc Mentha: “Die Entwicklungen laufen langsam, und sie brauchen eine klare Strategie.”

Initialzündung für die Strategie war im Jahr 1994 der Entscheid, mehr als 300 Hektaren Bauland wieder in Agrarland umzuwandeln. Gleichzeitig wurden die Weiler ins nationale Inventar der schützenswerten Ortsbilder aufgenommen.

“Es ist der Gemeinde gelungen, die Weiler zu bewahren, die Siedlungsqualität zu steigern und die Zersiedelung zu stoppen”, sagt die Vizepräsidentin des Schweizerischen Heimatschutzes, Ruth Gisi. Die vorbildliche Entwicklung habe Modellcharakter für alle Agglomerationsgemeinden: “Köniz kann Agglo.”

Für die Verleihung des Wakker-Preises ausschlaggebend war laut Gisi auch, dass Köniz “eine langjährige Wettbewerbskultur” hat, also für öffentliche Neu- und Umbauten seit Jahren konsequent Architekturwettbewerbe durchführt. Entsprechend hoch ist die architektonische Qualität der entsprechenden Bauten.

Beispielhafte Wohnbauten

Dazu gehören für den Heimatschutz auch die von der Gemeinde initiierten verdichteten Wohnüberbauungen: Wohnsiedlungen auf ehemaligem Brachland oder auf Abfall-Deponien, aber auch der Liebefeld-Park, mitten im besiedelten Gebiet mit einem grossen Teich, Spielplätzen, Sportanlagen und einem Gartenrestaurant. Der Park ist so gross wie fünf Fussballfelder.

In der ganzen Gemeinde gibt es keine Zonen mehr, auf denen eingeschossige Einfamilienhäuser gebaut werden dürfen. Grundstückgewinne als Folge einer Umzonierung werden höher besteuert als anderswo in der Schweiz.

Hohe Akzeptanz bei der Bevölkerung

Innerorts gilt praktisch flächendeckend Tempo 30. Die Lichtsignalanlagen wurden entfernt, Fussgängerstreifen fehlen. Das Modell funktioniert, obschon täglich 17’000 Fahrzeuge durch Köniz fahren.

Diese Art der Verkehrsplanung, die auf der Koexistenz der Verkehrsteilnehmer basiert, errege weitherum Aufsehen. Kürzlich sei sogar eine Delegation aus Japan deswegen nach Köniz gekommen, sagt die für Planung und Verkehr zuständige Gemeinderätin Katrin Sedlmayer.

Besonders stolz ist Sedlmayer darauf, dass all die planerischen Massnahmen von der Bevölkerung mitgetragen werden: “Seit 1993 ist kein Planungsgeschäft bei der Volksabstimmung an der Urne gescheitert.” Sedlmayer führt diesen Erfolg auf die partizipative und transparente Planung und eine intensive Öffentlichkeitsarbeit zurück.

Abkürzung für Fussgänger

“Der Wakker-Preis ist für uns eine Ermutigung, auf dem eingeschlagenen Weg weiter zu fahren. Wir sind noch nicht dort, wo wir wollen, wir haben noch Hausaufgaben”, sagt Gemeindepräsident Mentha.

So teilen im Wangental die SBB-Hauptstrecke Zürich-Genf und die Autobahn Bern-Lausanne den dort anzutreffenden planlosen Siedlungsbrei in zwei Teile. Die Anwohner bezeichnen den Mix aus Shopping-Center, Hinterhofgaragen, Autofriedhöfen, Industrie- und Gewerbebetrieben, Einfamilienhäusern, Lagerhallen und einem einsamen Bauernhof mitunter als “Gerümpelkammer von Köniz”.

Eine Hausaufgabe hat die Gemeinde in diesem Gebiet allerdings bereits erfolgreich gelöst: Beim S-Bahnhof Niederwangen baute sie zwei Erschliessungstürme mit Liften und Rolltreppen, die direkt auf die Perrons führen.

Dadurch wurde nicht nur die S-Bahn besser erschlossen, auch die Fusswege zwischen beiden Seiten von Bahn und Autobahn, also zwischen den getrennten Dorfteilen, wurden für die Anwohner entscheidend verkürzt. Die Türme haben auch die Funktion einer vertikalen Abkürzung für die Fussgänger.

Der Schweizer Heimatschutz (SHS) vergibt jährlich einer politischen Gemeinde den Wakkerpreis. Das Preisgeld hat mit 20’000 Franken eher symbolischen Charakter, der Wert der Auszeichnung liegt in der öffentlichen Anerkennung vorbildlicher Leistung.

Erstmals ermöglicht wurde der Wakkerpreis 1972 durch ein Vermächtnis des Genfer Geschäftsmannes Henri-Louis Wakker an den Schweizer Heimatschutz. Weitere seither eingegangene Legate erlauben es dem SHS, den Preis bis heute vergeben zu können.

Der Wakkerpreis zeichnet Gemeinden aus, welche bezüglich Ortsbild- und Siedlungsentwicklung besondere Leistungen vorzeigen können.

Die Auszeichnung von Stein am Rhein, Guarda, Ernen etc. in den 1970er-Jahren erfolgte vor dem Hintergrund, dass die Erhaltung historischer Zentren nicht selbstverständlich war.

Im heutigen Fokus stehen Gemeinden, die ihren Siedlungsraum unter zeitgenössischen Gesichtspunkten sorgfältig weiterentwickeln.

Hierzu gehören insbesondere das Fördern gestalterischer Qualität bei Neubauten, ein respektvoller Umgang mit der historischen Bausubstanz sowie eine vorbildliche, aktuelle Ortsplanung.

Köniz ist mit einer Fläche von 51 Quadratkilometern die grösste Agglomerationsgemeinde der Schweiz.

Die Gemeinde hat 39’000 Einwohnerinnen und Einwohner.

Sie besteht aus 12 verschiedenen Ortsteilen, das heisst aus dicht besiedelten Gebieten im Umkreis der Stadt Bern, aber auch aus mehreren Weilern, Wäldern und Kulturlandschaften.

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