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KOLUMNE —ANNULÉ—–In der Fremde daheim

Das Ehepaar Baumann, Gastschreiber der deutschsprachigen Redaktion. zvg

Wir sind Glückspilze, wir Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer. Auch fern der ursprünglichen Heimat dürfen wir das Stimm- und Wahlrecht der Schweiz behalten. Ein gutes Gefühl.

Und die Doppelbürgerinnen können sogar in zwei Ländern wählen, in der alten und in der neuen Heimat – ein doppelt gutes Gefühl!

Sehr viel haben wir selber nicht beigetragen zu diesem Wohlgefühl. Wir verdanken unser Glück dem Zufall, dass wir mit dem richtigen Pass geboren wurden. Und der Tatsache, dass die Mehrheit der Stimmenden 1992 uns grosszügig das Recht gewährte, unsere Stimmzettel auch aus dem Ausland einsenden zu dürfen.

Seither sind die Auslandschweizer Stimmen zu einem wichtigen Faktor bei eidgenössischen Abstimmungen geworden. Unser Einfluss wächst, und damit auch die Mitverantwortung.

Wir sind Emigranten, wir sind Ausländer, wir sind die Fremden, die in der neuen Wahlheimat freundlich empfangen wurden. Diese Erfahrung macht uns zu toleranten, offenen und hilfsbereiten Menschen. Sollte man meinen.

Irrtum

Als wir kürzlich für einige Ferientage in die Schweiz reisten, hörten wir als erstes die Radiomeldung, der Auslandschweizer-Rat habe an seinem Kongress mit 38:26 Stimmen die Ja-Parole zum verschärften Asyl- und Ausländerrecht beschlossen. Erschrocken schauten wir uns an. Widerspiegelt dieser Beschluss die Meinung der Fünften Schweiz? Wir wollen es nicht glauben.

Denn das revidierte Asylgesetz ist unmenschlich und bringt Menschen in Not, die dringend Hilfe brauchen. Verfolgte, die keine Pässe haben, werden künftig ohne Asylverfahren weg gewiesen. Dies verletzt internationales Recht. Unbegleitete Kinder, Traumatisierte, Kranke und ganze Familien landen auf der Strasse. Sie werden ins Elend getrieben. Die vorgesehene Beugehaft für Jugendliche missachtet die Kinderrechte. Gefängnis bis zu zwei Jahren ist teuer und fördert die Rückkehr nicht.

Wer kann eine solche verfehlte Flüchtlingspolitik mit gutem Gewissen vertreten?

Scharfmacher

Christoph Blocher ist auf Propaganda-Tour für dieses Asyl- und Ausländergesetz. Er spricht nicht von den Verfolgten, die in der Schweiz Asyl suchen. Nicht von den Menschen, die um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie an unserer Grenze abgewiesen werden. Er redet lieber genüsslich und vergnügt von einzelnen Kriminellen und von Missbräuchen, die es zu bekämpfen gelte. Er schürt absichtlich und wissentlich den Fremdenhass, um seinen radikalen Parteifreunden zu gefallen.

Wie früher als Nationalrat macht dieser politische Brandstifter populistisch Stimmung gegen die Fremden. Bereits im Januar hat er damit begonnen, in seiner Anhängerschaft die Stimmung anzuheizen, als er zwei albanische Flüchtlinge als Kriminelle verunglimpfte. Und er greift auch jetzt wieder auf unwahre Behauptungen zurück, wenn er wider besseres Wissen erklärt, dass echte Flüchtlinge nichts zu befürchten hätten.

Das revidierte Asylgesetz sieht jedoch vor, dass Asylsuchende, die keine Identitätspapiere vorweisen, einen Nichteintretens-Entscheid erhalten. Damit steigt das Risiko von Fehlentscheiden, denn die Gründe für fehlende Papiere sind vielfältig. Fast die Hälfte der später anerkannten Flüchtlinge haben bei ihrer Einreise keinen Pass vorweisen können. Diese echten Flüchtlinge würden mit dem neuen Gesetz weggeschickt.

Die Geschichte lehrt uns

Die bürgerliche Mehrheit hat diesen Scharfmacher in die Landesregierung gehievt. Er werde den Anstand schon noch lernen, wenn er nicht mehr nur Gallionsfigur der SVP, sondern für das Wohl der ganzen Bevölkerung verantwortlich sei, haben sie gesagt.

Sie haben mit dem Feuer gespielt und stehlen sich jetzt aus der Verantwortung und schweigen. Und die Linke hat sich zurückgehalten mit offener Kritik – in der irrigen Meinung, man könne einem Hetzer durch Totschweigen die Macht entziehen.

Aber die Geschichte lehrt uns anderes: Wir dürften heute mit Stolz auf unsere humanitäre Tradition verweisen, wenn wir und unsere Vorfahren nicht geschwiegen hätten, als die Schweiz 1938 ihre Grenzen geschlossen hat für jüdische Flüchtlinge aus dem deutschen Reich und Österreich.

Nein

Die Zahl der Asylgesuche ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Ebenso die Ausgaben für das Asylwesen. Es besteht keine Gefahr, es gibt keinen Grund für menschenverachtendes Gepolter und schon gar keinen Grund dafür, dass die Schweiz gegen die Menschenrechte verstossen sollte.

Urs Hadorn, ehemaliger Chef des Flüchtlingsamts und Kenner der Materie, widerspricht in der SonntagsZeitung fundamental den Worten seines früheren Chefs, Christoph Blocher, wenn er erklärt:

“Ich werde beim Asylgesetz Nein stimmen. Die geplanten Massnahmen sind wenig effizient, weit gehend wirkungslos und unverhältnismässig.”

Spätestens beim Lesen dieser Aussagen von Urs Hadorn müssen bei allen Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern die Alarmglocken läuten.

Stephanie und Ruedi Baumann



Die Ansichten des Autorenpaars müssen sich nicht mit jenen von swissinfo decken.

Stephanie Baumann, Jahrgang 1951, war Berner Kantonsrätin und Nationalrätin für die Sozialdemokraten. Zudem amtete sie als Verwaltungsrats-Präsidentin des Berner Inselspitals.

Ruedi Baumann, Jahrgang 1947, ist gelernter Bauer und Agronom. Er war Gemeinderat, Kantonsrat, Nationalrat und Präsident der Grünen Partei Schweiz.

Stefanie und Ruedi Baumann haben zwei Söhne. Die Familie bewirtschaftete 28 Jahre lang einen Bauernbetrieb in Suberg, im Berner Seeland, bevor sie im Jahr 2003 nach Frankreich auswanderte.

Heute leben die Baumanns in der Gascogne, 100 km westlich von Toulouse, und sind als Biobauern auf ihrem eigenen Hof tätig.

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