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Konzerte zum Preis von Kaviar

Vincent Sager (links) und Daniel Rossellat, die Köpfe hinter dem Paléo Festival Nyon. swissinfo.ch

Ob in grossen Stadien, Hallen oder unter freiem Himmel: Die Preise für Konzerte und Musikfestivals haben sich in den letzten Jahren praktisch verdoppelt.

swissinfo hat Vincent Sager vom Veranstalter Opus One und Daniel Rossellat, Direktor des Paléo Festival Nyon, zu den Gründen befragt.

swissinfo: Konzert-Tickets kosten heute rund doppelt so viel wie noch vor zehn Jahren. Weshalb?

Vincent Sager: Es gibt mehrere Gründe: Der Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten und die gestiegenen Kosten, die direkt mit dem Musikbusiness verbunden sind. Zu nennen sind da der Vorverkauf, aber auch die Mehrwertsteuer.

Dann gibt es Faktoren, die ausserhalb der Schweiz liegen: Mit Einführung des Euro wurden die Preise einfach aufgerundet. Neu entdeckte Musiker aus Frankreich oder England beispielsweise, welche 10’000 französische Francs (2315 Schweizer Franken) gekostet haben, verlangen heute 4000 Euro (knapp 6100 Franken) für einen Auftritt.

swissinfo: Trotzdem: 250 Franken, wie bei den Rolling Stones, oder 190 Franken für Simon & Garfunkel sind enorm.

V.S.: In diesen Fällen spielt beim Publikum ein psychologisches Moment mit, das etwas Irrationales hat: Die Möglichkeit, einmal im Leben eine Legende zu sehen und hören und so einen ‘historischen Moment’ zu erleben.

swissinfo: Und wer profitiert mehr von diesen Mythen? Die Musiker oder die Veranstalter?

V.S: Sicher nicht die Veranstalter. In diesem Geschäft steckt ein hohes Risiko. Der Veranstalter bezahlt sich selbst zuletzt, denn zuerst kommen die Gagen, die Ausgaben für Saalmiete, Sicherheit, Ton, Licht, Ticketverkauf und Steuern.

Aus den USA kommt auch das Phänomen, dass riesige Konzerne aus der Unterhaltungsbranche, wie zum Beispiel Clear Channel, die Radiostationen, Werbe-Unternehmen und Konzertsäle besitzen, ganze Tourneen aufkaufen.

Darin investieren sie gigantische Summen, wie etwa in die Welttournee der Stones. Die Multis verkaufen dann die einzelnen Shows mit einem hohen Profit weiter. Diese anglo-amerikanische Art des Show-Business hat ebenfalls einen Einluss auf die Preise.

swissinfo: Spielt der Einbruch des Compact-Disc-Marktes bei der Verteuerung auch eine Rolle?

Daniel Rossellat: Effektiv. Letztes überstiegen die Einnahmen aus dem Live-Business erstmals diejenigen aus den CD-Verkäufen.

Früher lebte eine Tournee quasi von den Plattenverkäufen. Musiker gingen auf Tournee, auch wenn dabei nicht viel herausschaute. Das war weiter nicht schlimm, weil die Tour eine Promotion für die Platten war.

Jetzt ist es umgekehrt: Verkauft man nicht mehr viele CDs, muss man umso mehr auf der Bühne hereinholen.

In den erwähnten Fällen geht es nicht mehr nur um eine ‘Milchbüchlein-Rechnung'(Einnahmen minus Ausgaben). Da steht ein fester ‘Marketing’-Preis im Vordergrund. Ausschlaggebend ist dabei, was das Publikum für einen bestimmten Künstler zu zahlen bereit ist.

V.S.: Ein weiterer Grund ist, dass die traditionellen grossen CD-Verlagskonzerne in Schwierigkeiten stecken und deshalb keine Tourneen mehr finanzieren, wie dies noch bis vor zwei Jahren der Fall war. So gibt es einige Musiker, die ihre geplanten Tourneen werden absagen müssen.

Die Musikkonzerne versuchen alles, um den Rückstand wettzumachen, in den sie wegen der neuen Konsum-Gewohnheiten geraten sind. Dabei ist sogar eine gewisse Panik festzustellen.

swissinfo: Zur Piraterie: Ein gewisser Mangel an Innovation und zu hohe CD-Preise haben die Musikkonzerne einen Teil der Kunden gekostet. Könnte dasselbe Schicksal nicht auch das Live-Business ereilen?

D.R.: Im Gegensatz zu den Grossen, den so genannten Majors, gibt es kleine Labels, die kreativ sind und junge Musiker geduldig aufbauen und mit dieser Strategie sehr gut fahren. Ich denke, wir erleben momentan eine Änderung des CD-Geschäfts, des Show-Biz generell.

Diese Erneuerung sorgt dafür, dass heute mehr Konzert-Tickets als Tonträger verkauft werden. Aber man muss vorsichtig bleiben: Es braucht die CD, um den Live-Act zu verkaufen, und es braucht umgekehrt das Live-Konzert, um die CD zu verkaufen.

Gleich woher die Musik stammt, ob ab einer gekauften CD oder im Internet illegal von einer Datenbank heruntergeladen, entscheidend bleibt nach wie vor die Kreativität. Die Suche nach neuen Talenten wird auch in Zukunft die grösste Herausforderung sein.

swissinfo: Nicht nur für Konzerte, sondern auch für die Festivals sind die Ticketpreise gestiegen. Das gilt sowohl für Montreux wie auch für das Paléo.

D.R.: Wer vor kurzem noch 50’000 oder 100’000 Dollar verlangte, fordert heute locker das Doppelte – für praktisch die gleiche Show und dieselbe technische Ausstattung.

Wir haben also einerseits eine beträchtliche Hausse bei den Gagen, andererseits stetig gestiegene Ansprüche des Publikums punkto Tonqualität, Empfang und Komfort.

Das wirkt sich direkt auf den Ticket-Preis aus, denn die Regeln des Marktes gelten auch für das Show-Business, ausgenommen die subventionierten Veranstaltungen. Wer aber mehr ausgibt als einnimmt, ist nicht lange im Geschäft.

Momentan sind die Zeiten aber gut: Viele Festivals haben grossen Erfolg, trotz gestiegener Ticketpreise. Genau deswegen könnte sich aber auch eine Abflachung einstellen: Das Budget der Leute für Freizeit-Vergnügungen ist nicht grösser geworden, sie werden demnach eine Wahl treffen müssen.

Für einen seltenen ‘Top Act’ werden die Tickets auch in Zukunft wie warme Semmeln weggehen, auch mit unvernünftig hohen Preisen. Weniger bekannte Musiker oder Gruppen dagegen werden es schwer haben, einen Saal zu füllen.

swissinfo-Interview: Bernard Léchot, Nyon.
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi)

Das Paléo Festival Nyon findet vom 20. bis 25 Juli statt.
Simon & Garfunkel treten am 29. Juli im Basler St-Jakob-Stadion auf.

Daniel Rossellat ist Gründer und Direktor des Paléo Festival Nyon.

Er ist auch Präsident von Opus One. Die AG veranstaltet Konzerte und vermietet Dienstleistungen und technisches Material.

Vincent Sager ist Direktor von Opus One.

Hauptaktionär von Opus One ist das Paléo Festival Nyon.

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