KORR/CH/Spitalfinanzierung: Krankenkassen warnen vor Prämienschock
(Nach neuen Angaben von Seydoux präzisiert. Neue Zahlen im Lead, im zweiten und im zweitletzten Abschnitt)
Bern (awp/sda) – Fallpauschalen und ein neues System der Spitalfinanzierung sollen helfen, die Gesundheitskosten zu senken. Ob die Rechnung auch für die Prämienzahler aufgeht, ist ungewiss. Die Krankenkassen jedenfalls rechnen mit einem Prämienschub von bis zu 3,5%.
Allerdings rechnen sie derzeit noch mit vielen Unbekannten. Fest steht aber, dass die Versicherer mit der neuen Spitalfinanzierung ab 2012 die Investitionskosten der Spitäler mittragen müssen. Dafür sind bisher allein die Kantone aufgekommen.
«Allein dadurch werden den Krankenkassen Mehrkosten von 640 Mio CHF entstehen», sagte Yves Seydoux, Sprecher der Groupe Mutuel, der Nachrichtenagentur SDA. Für die Versicherten würde das einen Prämienanstieg von 2,7% bedeuten – zusätzlich zu den ohnehin ständig steigenden Kosten im Gesundheitswesen.
Stefan Kaufmann, Direktor des Krankenkassendachverbands santésuisse, rechnet mit einem noch markanteren Prämienschub. Aufgrund der Angaben der Kantone schätzt er die Mehrkosten auf über 700 Mio CHF, was bei den Prämien mit rund 3,5% zu Buche schlägt.
Technisch gesehen handelt es sich bloss um eine neue Verteilung der Kosten: Bisher hat der Steuerzahler die Spitalinvestitionen allein gedeckt, neu beteiligt sich auch der Prämienzahler daran. Da trotz dieser Entlastung der Staatskassen keine Steuersenkungen zu erwarten sind, dürfte es sich für die Bevölkerung am Ende doch um Mehrkosten handeln.
Wie die Kantone damit umgehen, ist noch nicht klar. Von Gesetzes wegen müssen sie für mindestens 55% der Kosten der stationären Behandlungen und damit auch der Investitionskosten der Spitäler aufkommen. Um die Prämienzahler zu entlasten, können sie aber auch einen grösseren Anteil übernehmen.
«In Basel wollen wir eine zusätzliche Prämienbelastung vermeiden», sagte etwa der Basler Gesundheitsdirektor Carlo Conti gegenüber der SDA. Auch der Kanton Genf, der schon heute die höchsten Prämien der Schweiz hat, wird mehr als das Minimum übernehmen. Der Kanton Aargau dagegen darf wegen der tiefen Prämien das Minimum von 55% sogar unterschreiten und will von diesem Recht auch Gebrauch machen.
«Wie viel der Prämienzahler und wie viel der Steuerzahler beitragen soll, ist eine politische Diskussion, die in jedem Kanton einzeln geführt werden muss», sagte Conti, der auch Vizepräsident der kantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) ist. Bei santésuisse macht man sich diesbezüglich keine Illusionen: «Wir gehen davon aus, dass die Kantone eher die Steuerzahler entlasten werden», sagte Kaufmann.
Noch ist die Ausmarchung um den Kantonsanteil aber im vollen Gang. GDK-Zentralsekretär Michael Jordi hält den prognostizierten Prämienanstieg darum für einen Druckversuch der Krankenkassen. «Sie rechnen mit Angaben, die sie noch gar nicht haben», sagte er.
Die Versicherer müssten sich zwar an den Spitalinvestitionen beteiligen, auf der anderen Seite sinke aber ihr Anteil an den Kosten für stationäre Behandlungen von heute 50% auf höchstens 45%. Weiter würden die Krankenkassen durch die Aufnahme von zusätzlichen Privatspitälern auf die Spitalliste entlastet.
Ebenso ungewiss wie Folgen der neuen Spitalfinanzierung sind für die Prämienzahler die Auswirkungen der Fallpauschalen, die ab 2012 eingeführt werden. Möglicherweise führt der Preisdruck nämlich zu mehr ambulanten Behandlungen, die ausschliesslich von den Kassen und damit von den Versicherten getragen werden.
Laut Seydoux rechnen die Krankenkassen mit Mehrkosten von 140 Mio CHF. Er erinnert daran, dass der Ärztetarif Tarmed, der ebenfalls zu mehr Transparenz und damit tieferen Kosten hätte führen sollen, bei der Einführung 500 Mio CHF gekostet hat.
GDK-Sekretär Jordi, aber auch der Basler Gesundheitsdirektor Conti weisen jedoch darauf hin, dass die Aufenthaltsdauer in den Spitälern ohnehin sinke. Ursache dafür seien medizinische Fortschritte und die Ansprüche der Patienten. Auch sei in jenen Kantonen, die bereits über Fallpauschalen abrechneten, keine Anstieg der ambulanten Behandlungen zu beobachten, sagte Jordi.
dl