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Die orangefarbene Pille von Novartis wurde zum Symbol dafür, was die neuste Medikamenten-Generation bewirken könnte. Keystone

Vor rund 5 Jahren hat der Schweizer Pharma-Riese Novartis ein grundsätzlich neues Medikament im Kampf gegen eine seltene Art von Krebs auf den Markt gebracht.

Glivec bremst zwar die Ausdehnung der Krebszellen, welche die chronisch-myeloische Leukämie (CML) verursachen, mit Erfolg. Ein Heilmittel für die Krankheit ist es aber nicht.

Bis zur Einführung von Glivec hatte Novartis im lukrativen Markt mit Krebsmedikamenten nur eine kleine Rolle gespielt. Doch im Jahr 2005 verdiente der Konzern mit dem Produkt schon mehr als 2,67 Mrd. Franken; der Umsatz stieg um einen Drittel.

Von den ersten Versuchen mit Glivec beim Menschen bis zur Erteilung der ersten Lizenz verstrichen nur 32 Monate. Doch die Entwicklung des Medikaments hatte mehr als 10 Jahre gedauert.

Begonnen hatte alles in den späten 1980er-Jahren, mit der synthetischen Verbindung STI571 der damaligen Ciba-Geigy, die 1996 mit der Sandoz zur Novartis fusionierte. Der Wirkstoff war gezielt entwickelt worden, um ein

Enzym zu blockieren, das dazu führt, dass sich bestimmte weisse Blutkörperchen rasant vermehren, was die CML auslöst.

Vermehrungs-Stopp

Die Forschung des amerikanischen Hämatologen und Onkologen Brian Druker, der 1996 einen wegweisenden Artikel zur Wirkung von STI571 veröffentlicht hatte, überzeugte das Unternehmen schliesslich, den Wirkstoff an Patienten zu testen.

Glivec war eines der ersten Krebsmedikamente, bei dem gezielt ein Wirkstoff entwickelt wurde. In der Pharma-Industrie wird das als “rationales Drug-Design” bezeichnet. Die Methode basiert auf dem Verständnis, wie Krebs-Zellen

funktionieren. Laut Richard Frank, Professor für Gesundheits-Ökonomie an der Universität Harvard, werden auf Glivec zahlreiche weitere Medikamente dieser Art folgen.

“Aufgrund unseres Verständnisses von Genetik und Molekularbiologie wird es in Zukunft sehr spezifische Indikationen geben, die den Markt dazu bringen werden, fokussiert vorzugehen”, erklärt Frank gegenüber swissinfo. “Glivec ist ein wichtiges Modell für die Zukunft.”

Nach Angaben von Novartis öffneten die Erkenntnisse aus der Entwicklung von Glivec die Tür zu neuen Entdeckungen.

So wurde die neue Verbindung AMN107 von der Novartis-Forschung gezielt entwickelt, um jenen

Patienten zu helfen, die gegen Glivec eine Resistenz entwickelt haben.

Die Einnahme von Glivec erhöht erwiesenermassen die Überlebensrate von Patienten, die an CLM leiden. Zudem sind die Nebenwirkungen geringer als bei traditionelleren Behandlungsformen.

Dennoch zeigen Untersuchungen, dass bei rund 95% der Patienten auch nach einer Behandlung mit Glivec Leukämie-Zellen im Blut verbleiben, wenn auch auf tiefem Niveau.

Glivec ist also kein Heilmittel für die chronisch-myeloische Leukämie, normalisiert aber das Zellwachstum. Nach wie vor bleibt eine Knochenmark-Transplantation bisher

die einzig effektive Behandlungsmethode; allerdings liegt die Sterblichkeitsrate auch bei dieser Therapie noch immer zwischen 15 bis 50%.

Nach Aussagen von Onkologen haben die Patienten, die mit dem Novartis-Produkt behandelt werden, viele darunter älter als 50 Jahre, eine bessere Chance auf ein “normales” Leben, auch wenn sie dazu die ganze Zeit ein Medikament einnehmen müssen.

Bis 25’000 Dollar pro Jahr

Dabei stellt sich auch die Preisfrage, die zum Problem werden kann. In den USA zum Beispiel kann die Behandlung für ein Jahr bis 25’000 Dollar kosten. Gewisse Krankenversicherer wehren sich

dagegen, für die kostspielige Behandlung aufzukommen. Und Patienten ohne Gesundheits-Vorsorge stehen vor einem echten Dilemma.

In seinem Büro an der medizinischen Fakultät von Harvard erklärt Frank, man könne im Zusammenhang mit den Kosten von Medikamenten wie Glivec nur wenig tun.

Kreativer beim Kostensenken?

“Zur Zeit ist dies der Marktpreis in den USA. Die Frage, die sich für die Zukunft stellt, ist: Können wir uns mehr Gedanken machen über den staatlichen Regulierungsprozess, können wir vielleicht kreativer sein, um die Kosten bei Entwicklung und Markteinführung von Arzneimitteln zu senken?”

Auch in andern Ländern ist die Preisfrage ein Faktor, so in Südkorea. Eine Auseinandersetzung zwischen Novartis und der Regierung Südkoreas im Jahr 2002 über den Preis von Glivec hatte dazu geführt, dass gewisse Patienten keine Behandlung erhielten.

Der Schweizer Konzern erklärt, obschon die Behandlung jeder Art von Krebs teuer sei, habe man die Bedürfnisse jener Patienten berücksichtigt, die sich das Medikament nicht leisten könnten.

Der Konzern geht davon aus, dass mit seinem internationalen Programm zur Unterstützung von Glivec-Patienten (Glivec International Patient Assistance Program, GIPAP) seit Anfang 2002

in 79 Ländern mehr als 13’600 Patienten die kostenfreie Behandlung ermöglicht wurde, die sonst keinen Zugang zu dem Medikament gehabt hätten.

Allerdings kommt das von einer unabhängigen Stiftung verwaltete Programm vor allem in Entwicklungsländern zum Zug oder in Staaten mit unzureichenden Ressourcen im Gesundheitswesen.

swissinfo, Scott Capper (Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

Bei der chronisch-myeloischen Leukämie (CML) vermehren sich bestimmte weisse Blutkörperchen unkontrolliert.

Glivec – Gleevec in den USA – ist ein so genannter Tyrosin-Kinase-Hemmer. Er inaktiviert gezielt ein Enzym, das bei der CML von Bedeutung ist.

Dadurch werden die zellulären Vorgänge blockiert, die für die Vermehrung der Leukämie-Zellen verantwortlich sind.

In klinischen Studien stellte sich bei mehr als 90% der Patienten, die an der chronischen Phase der CML litten, eine Normalisierung der Anzahl der weissen Blutkörperchen ein.

An CML erkranken ein bis zwei von 100’000 Personen.

Glivec ist in der EU, den USA und andern Ländern auch zugelassen für die Behandlung gewisser gastro-intestinaler Tumore, die nicht herausoperiert werden können, oder die sich schon auf andere Körperteile ausgeweitet haben.

Novartis erzielte 2005 ein Rekord-Gewinn von 7,8 Mrd. Franken, bei einem Netto-Umsatz von 41,7 Mrd.

Das Marktforschungs-Unternehmen IMS Health stufte Novartis nach pharmazeutischen Umsätzen (27,08 Mrd. Franken) als weltweit viertgrössten Pharmakonzern ein. Der Basler Riese verzeichne einen Anteil von schätzungsweise 5,05% am Gesamtmarkt.

Der heutige CEO Daniel Vasella leitet die Novartis seit deren Gründung 1996. Seit 1999 ist er auch Vorsitzender des Verwaltungsrats.

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