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Krieg und Frieden in Strassburg

Das Totenmonument auf dem Place de la République. Jonas Dunkel

Strassburg ist die Stadt der Versöhnung zwischen den Erbfeinden Frankreich und Deutschland. Heute ist sie zudem Hauptstadt Europas. Ein Spaziergang über den Place de la République zum europäischen Viertel.

Der Ginkgobaum (Ginkgo biloba) ist ein imposantes Gewächs, das sich bis zu 40 Meter in die Höhe streckt und ursprünglich aus China stammt. Mit seiner aufgelockerten Baumkrone und der pyramidenförmigen Figur hinterlässt der Ginkgo einen majestätischen Eindruck. Seine Samen sind essbar und besitzen für den Menschen eine heilende Wirkung.

Auf dem Place de la République in Strassburg bilden vier gesund wirkende Ginkgobäume ein Quadrat. Im Spätherbst lassen sie ihre leuchtend goldgelben Blätter auf die steinernen Stufen des Totenmonuments fallen. Das Monument bildet nicht nur den Mittelpunkt des Quadrats, sondern ist auch Zentrum des ringförmigen Parks und Ausgangspunkt der Alleen, welche die Gedenkstätte rechtwinklig verlassen.

Der Place de la République bildet den Kern des deutschen Quartiers. Nach dem Einmarsch der Truppen des Deutschen Kaiserreiches 1871 hat das wilhelminische Kaiserreich hier fünf pompöse Bauten im Stil der Neo-Renaissance errichtet. Strassburg sollte die Hauptstadt des Reichslandes Elsass-Lothringen werden. Es war eine entgegenkommende Geste der Stadt, als das Mahnmal 1936 an diesem brisanten Ort eingeweiht wurde.

À nos morts

Das Totenmonument (Monument aux morts) ist die symbolträchtigste Gedenkstätte der Stadt. Sie erinnert an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges (“À nos morts”) und an den tragischen Umstand, dass das Elsass auf deutscher wie französischer Seite Opfer zu beklagen hatte.

Auf dem Sockel kniet eine weinende Mutter zwischen ihren beiden gefallenen Söhnen, die sich im Tod versöhnlich die Hand reichen. Der eine hat für das deutsche Heer gekämpft, der andere für das französische. Die schützende Seele der Mutter repräsentiert die Stadt Strassburg.

1936, als das Monument eingeweiht wurde, wusste man nicht, dass die Stadt kurz darauf vom gleichen Schicksal heimgesucht werden sollte. Nach der erneuten Annexion des Elsass’ um 1940 wurden über 130’000 Elsässer gegen ihren Willen in die deutsche Wehrmacht eingezogen. Viele von ihnen verloren ihr Leben.

Symbol des Friedens

Heute ist die Stadt Strassburg ein Symbol des Friedens für die Beziehung der beiden einst notorisch zerstrittenen Nationen. Genau genommen ist die Stadt überdies ein Symbol für das vereinte Europa. Das europäische Gleichgewicht konnte nur mit der Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich hergestellt werden.

So entpuppten sich die supranationalen Bestrebungen nach den Plänen von Robert Schumann und Jean Monnet, welche die beiden Länder als Hauptakteure vorsahen, als die treibende Kraft für die europäische Integration der Nachkriegszeit. Mit dem Elysée-Vertrag von 1963 wurde die deutsch-französische Kooperation schliesslich institutionalisiert.

Sitz europäischer Institutionen

Wir verlassen das deutsche Quartier – die Bezeichnung ist übrigens bis heute gültig – und entdecken im Norden der Stadt das europäische Viertel. Hier liegt der Sitz des Europarats, der ältesten politischen Organisation des Kontinents. Sogar die Schweiz ist ihr, nach traditionellem aussenpolitischen Zögern, 1963 beigetreten.

Auf der anderen Seite des Flusses wurde das Europa-Parlament errichtet. Hier tagen in regelmässigen Abständen die EU-Abgeordneten. In Sichtweite entdecken wir den Palast des Gerichtshofs für Menschenrechte, der eine überdimensionale Waage darstellen soll.

Strassburg ist von der einst zerrissenen Stadt zum Hauptsitz wichtiger supranationaler Organisationen herangewachsen.

Kulturelle Integration

Nach dem Ende des Kalten Krieges initiierten die Regierungen eine neue, weitsichtige Massnahme zur Annäherung zwischen Frankreich und Deutschland. Sie sollte auf einer kulturellen Ebene stattfinden und wurde 1990 mit einem zwischenstaatlichen Vertrag verabschiedet: Heute ist aus ARTE ein europäischer Kulturkanal geworden, der europaweit einen ausgezeichneten Ruf geniesst. Der Hauptsitz liegt einen Rattensprung vom Europaparlament entfernt.

Die deutsch-französische Zusammenarbeit und Integration wird hier seit exakt zwanzig Jahren gelebt. Unter dem Glasdach des Gebäudes arbeiten ebenso viele Deutsche wie Franzosen. Auf dem Vorplatz von ARTE steht ein Mann mit Giraffenkopf, der “Homme Giraffe”. Sein Blick richtet sich über das Rheinufer in Richtung Deutschland. Sein langer Hals steht für die Neugier und Lust am Entdecken anderer Kulturen.

Noch eine schöne Metapher: der Ginkgobaum wurde um die Jahrtausendwende vom deutschen “Kuratorium Baum des Jahres” zum Mahnmal für Umweltschutz und Frieden gekürt.

Immer häufiger reisen auch junge Leute für längere Zeit ins Ausland, sei das zum Studieren, Forschen, für ein Stage oder zum Arbeiten.

Zu ihnen gehört auch Jonas Dunkel, der von August 2010 bis Januar 2011 für swissinfo.ch über seine Erfahrungen und Beobachtungen in Strassburg berichtet.

Jonas Dunkel ist am 23. September 1981 in Vevey, Kanton Waadt, geboren.

Nach den Schulen studierte er an der Universität Freiburg Medien- und Kommunikations-Wissenschaft sowie Journalismus.

2009 schloss er das Studium mit einer Lizentiats-Arbeit über die narrative Entmythologisierung in den Frühwerken des Film-Regisseurs Jean-Luc Godard ab.

Im Winter 2010 folgt ein dreimonatiges Praktikum in der Multimedia-Redaktion des europäischen Kulturkanals ARTE in Strassburg.

Seit August ist er als Stellvertretung wieder in der Multimedia-Redaktion von ARTE tätig.

Zu seinen Hobbys gehören Fussball, Segeln, Tennis, Radsport, Literatur, Film und Geschichte.

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