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“Marke Willisau braucht Frischzellenkur”

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Was 1975 begann, ist längst eine Institution: Willisau ist weltweit eines der raren Festivals, die konsequent dem zeitgenössischen Jazz verpflichtet sind. Ende August geht das letzte Festival von Gründer Niklaus Troxler über die Bühne. Künftig programmiert sein Neffe Arno.

“Nein, nächstes Jahr werde ich nicht in die Ferien fahren, sondern wie bisher jeden Ton mitverfolgen”, sagt Niklaus Troxler.

“Aber in die Programmierung werde ich mich nicht einmischen. Ich habe mir ja auch nie dreinreden lassen.”

Es sei nicht so, dass er nicht mehr möge, aber jetzt stehe das Festival nach dem Besucherschwund Mitte der 1990er-Jahre wieder gut da. “Mit Arno, der seit Jahren für die Bühnentechnik verantwortlich ist, hat sich der Wechsel schon vor einiger Zeit angebahnt”, so Troxler.

Willisau ist Provinz, das Festival eine globale Marke. Eine professionelle Agentur habe ihm die Marke abkaufen wollen, erzählt Troxler. “Das wäre nicht gut, aber die Marke hat eine Frischzellenkur nötig.”

Klassentreffen und Happening

“Ich bin mit anderer Musik gross geworden”, sagt Arno Troxler: “Das wird sich beim Programm und bei der Identität des Festivals zeigen. Ich will vermehrt junge Leute ansprechen, aber ich will programmieren, was mir gefällt, eine eigene Handschrift entwickeln. Die familiäre Atmosphäre will ich beibehalten. Das ist unser Markenzeichen. Kommerzielle Anlässe gibt es genug.”

Die Atmosphäre in Willisau, das sind auch rund 200 Fans, die seit Jahrzehnten jedes Jahr alle Konzerte besuchen und auf dem Zeltplatz übernachten. “Da gibt es Leute aus Hamburg, aber auch Gruppen von Wallisern oder Welschen, für die Willisau so etwas ist wie ein Klassentreffen”, erzählt Arno Troxler.

Von der Imagepflege zum Marketing

Sein letztes Festival sei ein Rückblick auf die Festival-Geschichte, sagt Niklaus Troxler. “Afrika, die britische Szene, der Pop-Bezug. Sicherlich sind das zum Teil emotionale Sachen.”

Die Gespräche mit den Behörden, die Verhandlungen mit den Sponsoren, “die gebe ich gerne ab”, sagt Niklaus Troxler und erzählt von Grossbanken, die ihre Kunden mit Cars nach Willisau brachten und forderten, das Festival solle von einem Musikanlass zu einem Volksfest mutieren.

“Dagegen habe ich mich entschieden gewehrt, ich habe denen gesagt, dass ich keine Kilbi will. Wir haben bereits eine grosse Kilbi jedes Jahr.”

Vor zwanzig Jahren, da hätten die Banken das Festival noch unterstützt und dabei kaum Gegenleistungen verlangt. Die Kulturverantwortlichen seien Musiker oder Kunsthistoriker gewesen. “Sponsoring war eine Imagefrage. Heute sind das alles knallharte Marketing-Leute, die für ihre Firma das Maximum rausholen wollen.”

Jugendlicher Übermut

Bei den Behörden und bei Stiftungen geniesse das Festival viel Goodwill, so Niklaus Troxler. “Ich habe über die Jahre gerechnet nicht draufgelegt, aber das Risiko war immens, da ich es vollkommen alleine getragen habe.”

Es sei paradox: Heute rate er seinen Grafik-Studenten, sie sollen eine GmbH gründen, wenn sie sich selbständig machen wollten. “Ich habe das nie gemacht. Ein Riesenverlust hätte mich in den Konkurs gebracht. Ich wäre erledigt gewesen.”

Jugendlicher Übermut, übergrosser Optimismus sei das gewesen, so Troxler. “Ornette Coleman hat 1974 ohne Vertrag bei uns gespielt. Ich habe mit ihm am Telefon lediglich den Termin abgemacht und wusste bis nach dem Konzert nicht, wie viel Gage er wollte. Das hätte in die Hosen gehen können.”

“Er wird sich die Finger verbrennen”

Mittlerweile hat jeder Musiker seinen Manager, einen engen Tourneeplan und seitenlange Verträge. “Es gibt viele inkompetente Manager. Das Publikum sieht sie ja nicht. Darum machen sie sich auf anderer Stufe wichtig. Die Bedürfnisse der Musiker kennen sie jedoch nicht”, sagt Arno Troxler.

Er werde seinem Neffen bei Verhandlungen mit Managern, Behörden und Sponsoren weiter zur Seite stehen, so Niklaus Troxler. “Ich kann ihn warnen vor gewissen Leuten und Problemen. Wenn er mich fragt, dann helfe ich ihm. Aber er wird sich manchmal auch die Finger verbrennen, wie alle.”

“Den Plakaten alles zu verdanken”

Niklaus Troxler ist Grafiker. Die Plakate für seine Konzerte und Festivals gestaltet er völlig frei. Sie hängen in renommierten Museen. Seit 1998 ist Troxler Professor für Kommunikations-Design in Stuttgart: “Mein beruflicher Weg verlief parallel zum Jazz. Meine Jazzplakate sind mein wichtigstes Werk. Ich habe ihnen alles zu verdanken.”

Für Arno ist klar: Niklaus soll auch künftig die Festival-Plakate gestalten. -“Das weisst Du noch gar nicht”, erwidert dieser: “Ich habe lange überlegt und glaube, dass das nicht gut wäre. Es wird erwartet, dass es einen Wechsel gibt. Ich hätte viel mehr den Plausch, wenn das meine Töchter machen würden.” – Arno stimmt zu. “Ja, das sind Profis. Also auch hier ein Generationenwechsel. Die Grafik bleibt dennoch in der Familie.”

Ganz will Niklaus Troxler den Jazz allerdings nicht lassen. Vor Monaten kündete er an, er wolle die Reihe mit Einzelkonzerten aufgeben. “Jetzt glaube ich, dass ich weiterhin sporadisch Konzerte veranstalten werde. Da werde ich natürlich auch die Plakate gestalten.”

Andreas Keiser, Willisau, swissinfo.ch

Das Festival 2009 findet vom 26. – 30. August statt.

Niklaus Troxler begann 1966 in Willisau (Luzerner Hinterland) Jazzkonzerte zu organisieren.

Das Jazzfestival existiert seit 1975.

In den 43 Jahren traten in Willisau bei über 900 Konzerten mehr als 2500 verschiedene Musiker auf.

Über 50 Konzerte sind auf LP oder CD erschienen.

Geboren 1947 in Willisau.

Lehre als Typograph, anschliessend Ausbildung zum Grafiker an der Schule für Gestaltung in Luzern.

Seit 1973 eigenes Grafik-Studio in Luzern.

Seit 1988 Professor für Kommunikationsdesign an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart.

1994: Ehrenbürger von Willisau.

Geboren 1979 in Willisau.

Absolvierte eine Handelsschule und begann schon früh mit Schlagzeug-Unterricht.

Studium an der Hochschule für Musik, Luzern.

2007 Abschluss mit Diplom.

Troxler ist Schlagzeuger beim Jazztrio “Feigenwinter 3”, bei der Rockband “Coal”, bei der Singer-Songwriterin Heidy Happy und bei der Crossover-Band “Guy Vincent”.

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