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Hermann Hesse – gern gelesen, oft belächelt

Hermann Hesse in Montagnola, wo er viele Jahre lebte. Fondazione Hermann Hesse

Zum 50. Todesjahr von Hermann Hesse findet in Bern ein internationaler Kongress statt. Auch Deutschland würdigt "seinen" Schriftsteller. Hesse war Schweizer und Deutscher. Doch das Verhältnis zwischen ihm und den Deutschen war schon zu Lebzeiten schwierig.

Sie sei schöner als Neapel oder Wien, schwärmte Hermann Hesse von seiner Geburtsstadt Calw. “Die schönste Stadt von allen, die ich kenne, ist Calw an der Nagold, ein kleines, altes, schwäbisches Schwarzwaldstädtchen“, schrieb der Schriftsteller 1918.

Auch heute ist die Fachwerkstadt mit über 200 denkmalgeschützten Häusern am nordöstlichen Rand des deutschen Schwarzwalds einen Besuch wert. Allemal dieses Jahr, denn aus Anlass des 50. Todestags von Hesse wartet Calw gleich mit einer Reihe von Veranstaltungen auf, um “seinen” Literaturnobelpreisträger zu würdigen. Schliesslich ist Hesse ein zuverlässiger Touristenmagnet.

Rund 80’000 Übernachtungen konnte Calw im Jahr 2010 verbuchen, vor allem ausländische Gäste legen gerne einen Stopp in der baden-württembergischen Kleinstadt ein.

Drei Tage Hesse total – so könnte man das Programm bezeichnen, mit dem Calw im Sommer Touristen locken will. Das Reisepaket mit zwei Übernachtungen enthält einen Stadtrundgang auf den Spuren des grossen Schriftstellers, den Besuch des Hesse-Museums, einen Gutschein über ein Menü à la Hermann Hesse sowie ein Buch des 1962 verstorbenen Schriftstellers.

In der Zeit zwischen Hesses Geburtstag am 2. Juli und seinem Todestag am 9. August sind in Calw des weiteren Konzerte, Lesungen und literarische Spaziergänge geplant; das Hesse-Museum konzipiert zudem eine Sonderausstellung mit Aquarellen.

Grosse Leserschaft – weltweit

Die Feierlichkeiten in Calw täuschen jedoch nicht darüber hinweg, dass sich Deutschland ansonsten eher wenig um den grossen Schriftsteller schert. Dies, obwohl Hesse neben Thomas Mann und Stefan Zweig weltweit zu den meistgelesenen deutschsprachigen Autoren gehört.

“Deutschland pflegt seit jeher ein schwieriges Verhältnis zu Hermann Hesse”, sagt Volker Michels, langjähriger Lektor bei Suhrkamp und Herausgeber der 21-bändigen Hermann Hesse-Gesamtausgabe. Die Gründe dafür seien vielfältig. So werde Hesse akademisch nicht respektiert, weshalb ein wissenschaftlicher Diskurs nahezu völlig fehle, erklärt Michels.

Tatsächlich fand diesen Februar in Madrid eine grosse Hesse-Tagung statt, später im Jahr sind Konferenzen in Szeged/Ungarn und Rom geplant. “In Deutschland passiert nichts dergleichen.” Michels hat an seinem Wohnort Offenbach ein Hesse-Editionsarchiv aufgebaut, das Literaturwissenschaftler aus aller Welt rege nutzen – deutsche Forscher dagegen selten.

Für den 69-jährigen langjährigen Lektor im Suhrkamp-Verlag ist klar weshalb: Hesse sei leicht verständlich – in seiner Sprache und in seiner Botschaft. “Das schätzen die Leserinnen und Leser – die Literaturwissenschaftler dagegen halten das für rückständig.”

Tatsächlich hat die weltweite Leserschaft Hesse längst als zeitlosen Autoren entdeckt. Allein in Deutschland gehen monatlich noch immer rund 30’000 Exemplare seiner Werke über den Ladentisch.

Trotzdem werde Hesse vom deutschen Kulturbetrieb seit Jahrzehnten schlecht besprochen, bedauert Michels. Literaturkritiker wie Marcel Reich-Ranicki sprächen – wenn überhaupt – nur verächtlich über Hesse.

Umstritten und unerwünscht

Michels nennt einen zweiten Grund, weshalb Hesse, der von 1893 bis 1923 deutscher Staatsbürger war, schon zu Lebzeiten in Deutschland vergleichsweise wenig Anerkennung fand.

So habe man es ihm übel genommen, dass er während des Ersten Weltkriegs von der Schweiz aus gegen Deutschland schrieb – etwa in einem Artikel der Neuen Zürcher Zeitung, in dem Hesse an die deutschen Intellektuellen appellierte, nicht in nationalistische Polemik zu verfallen.

“Hesse brachte damit grosse Teile der Öffentlichkeit, die Presse und die Politik gegen sich auf”, sagt Michels. Auch als sich Hesse nach dem Krieg gegen die Demokratie-Feindlichkeit der Weimarer Republik und den daraus entstehenden Nationalsozialismus wandte, schuf er sich in Deutschland keine Freunde.

Zwar wurde Hesse im Dritten Reich nie offiziell verboten, und seine Bücher wurden nicht verbrannt, doch galten seine Werke ab 1936 als “unerwünscht”. Manche Werke durften gar nicht mehr oder nur in Kleinauflagen gedruckt werden, ausserdem durfte der Suhrkamp Verlag ab 1940 keine Honorare mehr an Hesse ausbezahlen.

Trotzdem blieb Hesse Suhrkamp treu. Laut Michels auch, weil er die Vertreter des Verlags gegen die nationalsozialistische Kulturpolitik bestärken wollte. “Es gibt wenige Dichter, die den Turbulenzen der deutschen Politik auf vergleichbar integre Weise widerstanden haben, besonders den Verlockungen der ideologischen Patentrezepte”, resümiert Michels.

Anerkennung lässt auch sich warten

Schon zu Lebzeiten also wurde der Schriftsteller, der 1919 von Bern ins Tessin übersiedelte, in Deutschland weitgehend ignoriert oder belächelt.

“Als 1927 der Steppenwolf erschien, brachte keine einzige deutsche Zeitung einen Vorabdruck”, weiss Michels. Die Ressentiments gegenüber dem Wahlschweizer verschwanden erst allmählich, nachdem Hesse 1946 den Literaturnobelpreis erhalten hatte.

“Vielleicht braucht es eine weitere Generation, bis Hesse in Deutschland die literarische Ehre erhält, die er verdient”, sagt Michels.

In einigen Jahren wird es um “das Talent mit bedenklichen Neigungen”, wie ihn der deutsche Literaturpapst Reich-Ranicki einmal nannte, so oder so spannend werden: 2032 nämlich werden die Rechte an Hesses Werk frei, und jeder kann sie drucken.

Geboren am 2. Juli 1877 in Calw, Deutschland. Sein Vater war der baltisch-deutsche Missionar Johannes Hesse, seine Mutter Marie Isenberg, geb. Gundert. Er ging in Basel und im evangelischen Klosterseminar in Maulbronn (D) zur Schule.

1895-1898: Buchhändlerlehre in Tübingen, darauf Arbeit als Buchhändler und Rezensent in Basel.

Nach dem Erfolg von Peter Camenzind verheiratete er sich mit Maria Bernoulli und liess sich als freier Schriftsteller in Gaienhofen am Bodensee nieder.

1912-1919 lebte Hesse in Bern.

Anschliessend wohnte der Autor von der Familie getrennt im Tessiner Dorf Montagnola, dessen südländischen Charakter er malend in seinen Aquarellen festhielt.

Hermann Hesse war in zweiter Ehe mit Ruth Wenger verheiratet, in dritter Ehe mit Ninon Dolbin, geb. Ausländer.

1924 erhielt er das Schweizer Bürgerrecht.

1946 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, 1947 mit dem Dr. h. c. der Universität Bern, 1955 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Sein literarisches Werk liegt in 60 verschiedenen Sprachen vor. Hesse gehört zu den meistgelesenen Autoren des 20. Jahrhunderts.

Hermann Hesse starb am 9. August 1962 in Montagnola.

In Bern findet vom 27.-30. März ein internationaler Kongress statt.

Das Kunstmuseum Bern zeigt zusammen mit dem Museum Hermann Hesse Montagnola die erste Retrospektive zum malerischen Werk des schweizerisch-deutschen Autors.

Die 13. Silser Hessetage veranstalten zum 50. Todesjahr Vorträge über Lyrik und Lebenskunst zum Thema “Musik – die Seele aller Künste”.

Hesses deutsche Geburtsstadt Calw feiert den Schriftsteller unter dem Motto “50. Todestag – 50 Veranstaltungen”.

Noch bis zum 5. Mai ehrt die Galerie Ludorff in Düsseldorf den Schriftsteller und Maler mit der Einzelausstellung “Der Anfang aller Kunst ist die Liebe – Aquarelle und Gedichte von Hermann Hesse”.

Im fränkischen Poxdorf findet im Lesehaus vom 21. bis 25. Mai ein Seminar zum Werk “Das Glasperlenspiel” statt.

Auf die Spuren Hesses begibt sich auch das Höri-Museum in Gaienhofen am Bodensee, wo der Schriftsteller von 1904 bis 1912 gelebt hat.

Auch Ostdeutschland würdigt Hesse. Zum Beispiel Leipzig, wo am Sonntag, 18. November, eine grosse Hermann Hesse-Hommage stattfindet.

Ausserdem flimmert voraussichtlich im August die erste Verfilmung eines Hesse-Werks über die heimischen Bildschirme. So hat die Bavaria Fernsehproduktion die Erzählung “Die Heimkehr” verfilmt.

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