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Sägen für einen höheren Zweck: Dieser Schweizer Handwerker arbeitet am Wiederaufbau der Notre-Dame

religiöse Zeremonie im Sägewerk
Religiöse Zeremonie für den Wiederaufbau von Notre-Dame im Sägewerk Corbat im Kanton Jura im Juli 2022. Groupe Corbat


An diesem Wochenende wird die Kathedrale Notre-Dame de Paris eingeweiht. Der Schweizer Gauthier Corbat, Co-Direktor des Sägewerks Corbat im Kanton Jura, war an der Restaurierung beteiligt. Das Eichenholz, das sein Unternehmen gesägt hatte, wurde für den Wiederaufbau der Turmspitze verwendet.

Am 15. April 2019 verwüstet ein Brand die Notre-Dame de Paris. Die Flammen verschlingen den Dachstuhl des Gebäudes (Dach und Turmspitze) und zerstören auch einen Teil des Gewölbes und des Mobiliars.

Die gotische Kathedrale Notre-Dame, die zwischen 1163 und dem Beginn des 14. Jahrhunderts erbaut wurde, ist eines der meistbesuchten christlichen Bauwerke der Welt. Sie ist berühmt für ihre Schönheit, aber auch für ihre Geschichte, die mit jener Frankreichs verknüpft ist. Die Tragödie des Brandes löste weltweite Betroffenheit aus.

Das Feuer wurde einen Tag nach dem Ausbruch unter Kontrolle gebracht. Präsident Emmanuel Macron versprach am selben Tag, die Kathedrale innerhalb von fünf Jahren wieder aufzubauen. Die Einweihung findet am 7. und 8. Dezember in Anwesenheit von hochrangigen Gästen statt, darunter Donald Trump.

Zahlreiche Berufsgruppen involviert

Die Restaurierungsarbeiten waren gigantisch und wurden durch Spenden aus 150 Ländern gefördert. Fast 340’000 Spender:innen trugen dazu bei, dass die Summe von 846 Millionen Euro zusammenkam.

Hunderte von Handwerker:innen, Künstler:innen und Arbeiter:innen haben an der Restaurierung der Notre-Dame mitgewirkt: Kranführer, Architektinnen, Archäologen, Glasmacherinnen, Seilerinnen, Steinmetze und Zimmerleute. Aber auch Holzsäger, ohne die das Eichenholzgerüst der Kathedrale nie wieder in voller Pracht erstrahlen würde.

Vierzig Sägewerke waren an den Wiederaufbauarbeiten beteiligt. Neununddreissig davon stammen aus Frankreich, eines aus der Schweiz: das Familienunternehmen Corbat, das grösste Eichenholzsägewerk der Schweiz. Das Unternehmen mit Sitz in Vendlincourt im Kanton Jura wurde vor 100 Jahren gegründet.

Ein Unternehmer mit literarischer Ader

Für den 39-jährigen Gauthier Corbat, Co-Direktor der jurassischen Unternehmensgruppe, ist dies ein einzigartiges Abenteuer, das seinen Werdegang prägt.

Gauthier Cor
Die Beteiligung an der Baustelle von Notre Dame hat in den Augen von Gauthier Corbat einen spirituellen Charakter. Groupe Corbat

Der Kunsthistoriker hat einen Masterabschluss in Europastudien der Universität Genf, dazu eine literarische Ader, und er ist auch ein gewiefter Unternehmer. Er weiss die Bedeutung eines Ereignisses einzuschätzen, das den Bekanntheitsgrad seines Unternehmens steigern kann.

Einige Zeit nach dem Brand wurde ein offizielles Verfahren eingeleitet: Der französische Staat beschloss, den Dachstuhl der Kathedrale aus Eichenholz wieder aufzubauen – wie im Mittelalter.

Daraufhin reichte Corbat seine Bewerbung ein und erhielt eine positive Antwort vom Verband «France Bois Forêt», einer Organisation, die unter anderem die Teilnahme der verschiedenen Sägewerke an den Arbeiten koordiniert hat.

Günstige geografische Lage

«Unsere geografische Lage hat uns einen grossen Vorteil verschafft», sagt Corbat. «Wir sind in einer Grenzregion angesiedelt. Unser Sägewerk hat in Frankreich mehrere Holzlagerplätze, der wichtigste befindet sich in Lure im Departement Haute-Saône», erzählt er.

«Dorthin lieferten die französischen Behörden die Ladung Holz, die uns zum Sägen zugeteilt wurde. Zwischen dem Schweizer Jura und Frankreich bestehen tiefe historische und handelspolitische Verbindungen. Meine Familie kennt viele Akteure der französischen Holzbranche, was unsere Aufgabe erleichtert hat.»

Corbat wusste, dass sein Sägewerk umsonst arbeiten würde. Aber das war ihm egal, seine Rolle als Gönner nahm er vollkommen an.

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«Ich habe erfahren, dass Deutschland und England Eichenstämme angeboten haben, die abgelehnt wurden, weil die französischen Behörden kein ausländisches Holz wollten», verrät der Unternehmer.

Die in Lure gelagerten Stämme waren also französisch. Sie wurden nach Vendlincourt gebracht, wo sie im Sägewerk Corbat zugeschnitten wurden, bevor sie ihren endgültigen Bestimmungsort erreichten: die Turmspitze von Notre-Dame, wo sie heute aufgestellt sind.

Sägewerk Corbat
Das Sägewerk Corbat arbeitete kostenlos am Wiederaufbau der Notre-Dame, wusste den Auftritt aber für sich zu nutzen. Groupe Corbat

Sägen für einen höheren Zweck

Für Gauthier Corbat, der eine besondere Beziehung zur gotischen Kunst und ihren Kirchen hat, ist die Beteiligung an der Baustelle der Notre-Dame mehr als nur Mäzenatentum: «Für das Sägen haben wir zwar unsere Standardtechniken angewendet, doch uns war bewusst, dass dieser Vorgang aussergewöhnlich war und seine Ausführung etwas Heiliges darstellte», sagt er.

«Um ehrlich zu sein, waren es mein Hintergrund und meine künstlerische Ausbildung, die mir hier die grössten Emotionen beschert haben. Wir sägten 40 der 2000 Holzstücke, die für den Dachstuhl bestimmt waren. Meine Rolle hier ist mittelalterlich. Im Mittelalter arbeiteten die Handwerker für einen höheren Zweck, was auch bei mir der Fall ist.»

zerstörung und wiederaufbau der turmspitze
Die Zerstörung und der Wiederaufbau der Turmspitze von Notre-Dame. Copyright 2019 The Associated Press. All Rights Reserved.

Die Rückmeldungen zu diesem Schweizer Beitrag sind ermutigend. Corbat sagt, er habe die Neugier vieler seiner Landsleute geweckt. In der Westschweiz hält er Vorträge in vollen Sälen und erhält auch Anfragen zur Zusammenarbeit von Kolleg:innen aus der Deutschschweiz.

«Die weltbekannte Firma Blumer Lehmann hat mich kontaktiert und mir angeboten, bei der Restaurierung einer Moschee aus dem 16. Jahrhundert an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei mitzuwirken», sagt er.

Der Beitrag zum Wiederaufbau der Notre-Dame hat nicht nur Corbats Horizont erweitert. Durch seine Teilnahme an der französischen Baustelle wird der gesamte Berufsstand geehrt.

«Die Anerkennung meines Unternehmens ist umso höher zu bewerten, als sie im Rahmen einer prestigeträchtigen Arbeit erfolgt. Sie wirft ein Licht auf die Schweiz und das Knowhow einer ganzen Branche. Die Holzbranche hat nicht immer das Ansehen bekommen, das sie verdient.»

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Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen mit der Hilfe von Deepl: Janine Gloor

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