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Preisträger Meizoz: “Meine Themen sind der heutigen Welt nahe”

jerôme meizoz
Jérôme Meizoz © Ladina Bischof

Die vom Bundesamt für Kultur (BAK) vergebenen Schweizer LiteraturpreiseExterner Link 2018 werden am 15. Februar im Beisein von Bundeskanzler Walter Thurnherr in Bern verliehen. Zu den Preisträgern gehört der Walliser Romanautor und Essayist Jérôme Meizoz. Eine Begegnung.

Er hat einen offenen Blick und ein Lächeln im Gesicht. Jérôme MeizozExterner Link hat nichts von einem Angeber. Und auch ein Schweizer Literaturpreis wird ihn nicht zum Prahlen verführen, obschon dieser Preis seiner Ansicht nach eine Ehre ist. “Es ist eine sehr schöne Anerkennung meiner Arbeit als Schriftsteller im Lauf der Zeit. Aber ich bin mir bewusst, dass sie eher einen symbolischen, als einen kommerziellen Wert hat”, sagt er.

Jérôme Meizoz:

Geboren 1967 in Vernayaz (Wallis).

Schriftsteller und heute Professor für französische Literatur an der Universität Lausanne. Zuvor hatte er Lehraufträge an den Universitäten in Zürich, Genf, Metz und an der Ecole Normale Supérieure in Paris.

Neben verschiedenen Schweizer Literaturzeitschriften (Ecriture, Revue de Belles Lettres, Le Passe Muraille) schreibt Meizoz auch für französische Literaturzeitschriften (Europe, Le Matricule des Anges, remue.netExterner Link).

Seine literarischen Studien wurden ins Deutsche, Italienische, Spanische, Tschechische und Rumänische übersetzt; und zwei seiner Romane ins Deutsche.

In der Westschweiz werden seine Werke von den Verlagen Zoé und Les Editions d’En bas herausgegegeben, in der Deutschschweiz vom Verlag die brotsuppe und vom Elster Verlag.

Sein Roman Morts ou vif wurde als Buch der Schweizerischen Schillerstiftung 2000 ausgezeichnet und 2005 erhielt Meizoz den Alker-Pawelke–Literatur-Preis der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW), für einen Artikel über das Patois in der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts.

“Ein Schweizer Preis kann zum Beispiel nicht verglichen werden mit einem Prix Goncourt [gilt als der prestigeträchtigste französische Literaturpreis, N.d.R.], der praktisch eine verordnende Wirkung auf die Verkäufe in den Buchläden hat”, sagt der Autor. Aber das ist egal. Meizoz ist nicht auf kommerziellen Erfolg aus. Er geht gar soweit, das Star-System zu kritisieren, das heute auch in den Literaturbereich vordringt. Zwei seiner Essays legen davon Zeugnis ab: Postures littéraires und La littérature en personne. Der weltweit Erfolg eines Joël Dicker [Genfer Autor des bekannten Romans La Vérité sur laffaire Harry Québert, Titel der deutschen Ausgabe: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert, N.d.R] stimmt ihn nachdenklich.

“Heiliger Zorn”

“Ich verstehe, dass es für die Literatur industrielle Muster geben kann, wie man sie auch für Kinofilme kennt, aber diese Art Modelle interessieren mich nicht. Ich strebe nicht nach Unterhaltungsliteratur. Meine Entscheidungen sind künstlerisch und meine Themen bleiben der heutigen Welt nahe und den Fragen, die diese aufwirft”, sagt Meizoz.

Der Mann ist kämpferisch und der Schriftsteller, der er ist, hat seinen “heiligen Zorn”, wie es im Titel eines seiner Werke heisst. Über das Star-System mag er sich zwar ärgern, soziale Ungerechtigkeit und korrupte Spekulanten hingegen lösen bei ihm echte Entrüstung aus. In seinem meistverkauften und meistgelesenen Roman Haut Val des Loups (Titel der deutschen Ausgabe: Hoch oben im Tal der Wölfe) befasst er sich mit einem Ereignis aus den 1990er-Jahren, dem versuchten Mord an einem jungen Walliser Aktivisten, der sich für den Schutz der Umwelt einsetzte. Auch Meizoz ist Walliser. Wie Maurice Chappaz (1916-2009), einer der grössten Schweizer Schriftsteller, in dessen Kielwasser sich der Preisträger heute hält.

Anprangerung der Spekulanten

Hoch oben im Tal der Wölfe denunziert auf filigrane Art und Weise die Immobilienspekulation im Wallis, wie es in der Vergangenheit auch Chappaz in seinen Schriften tat. Den militanten Geist, den Meizoz mit Chappaz teilt, hat er geerbt.

Er wuchs als Kind im Schosse einer Familie von Kämpfern auf, die man in seinem Werk Les Précédents (die Vorangegangenen) trifft. Eine Trilogie, in welcher der Autor die Erinnerungen an seinen Vater wachruft, der in seinem Walliser Dorf der “Rote” genannt wurde, und Erinnerungen an seine Tante Laurette, Mitglied der katholischen Frauen-Landjugend, die ihn aufgezogen hatte, und schliesslich an seinen Grossvater Paul, eine überraschende Figur.

“Paul arbeitete für die SBB (Schweizerische Bundesbahnen). Er gehörte zu einem geheimen Netzwerk von Eisenbahnern, die während der Zeit des spanischen Bürgerkriegs Menschen und Waffen aus der Schweiz nach Spanien schmuggelten”, erzählt der Autor.

Ein Holztisch mit einem Laptop und einer Lampe.
Das Büro von Jérôme Meizoz. © Ladina Bischof

Soziale Gerechtigkeit

Aus dieser Familie mit ihrer Leidenschaft für soziale Gerechtigkeit bringt er Erinnerungen mit sich, die sich nicht nur in seinen Werken niederschlagen, sondern auch in seinen Verpflichtungen zeigen. “Ich bin gewerkschaftlich engagiert”, erklärt er. “Und ich stehe gerne für die Anliegen der Armen ein. Ich arbeite in Lausanne für das Collectif R, das Flüchtlingen hilft.”

Ausgestattet mit einer grossherzigen Zuneigung für seine Familie, einer soliden literarischen Ausbildung und einem schönen Ausdrucksvermögen, schreibt Meizoz mit bewegender Freiheit. “Ein unvollendetes Wesen”: So sieht er sich, wenn er in Faire le garçon (Titel der deutschen Ausgabe: Den Jungen machen) auf seine Vergangenheit als Jugendlicher zurückblickt. Dieses Werk, für das er den Schweizer Literaturpreis erhielt, ist eine atypische Geschichte, in der sich Untersuchung und Fiktion abwechseln. Sie folgt der körperlichen und geistigen Entwicklung eines jungen Menschen namens “J”.

Wie sieht es vierzig Jahre später aus, ist er nun vollendet? Mit einem Lächeln antwortet Meizoz: “Ich habe seither eine Balance gefunden, die zu mir passt. Mein damaliges Gefühl der Unvollkommenheit kam aus einem emotionalen Bedürfnis heraus: Ich hatte meine Mutter im Alter von neun Jahren verloren. Spuren davon finden sich bis heute in meiner Persönlichkeit, aber sie stehen nicht mehr im Vordergrund.”

Die Preisgewinner und -gewinnerinnen 2018:

Der mit 40’000 Franken dotierte Schweizer Grand Prix LiteraturExterner Link geht an die Tessinerin Anna Felder “für die Originalität ihres Gesamtwerks mit seinem subtilen Stil, geprägt von Menschlichkeit und Humor”, wie das Bundesamt für Kultur (BAK) schrieb.

Anna Felder wurde 1937 in Lugano geboren und hat in Zürich und Paris studiert. Heute lebt sie in Aarau und im Tessin.

Den ebenfalls mit 40’000 Franken dotierten Spezialpreis Übersetzung erhält die deutschsprachige Autorin und Übersetzerin Yla Margrit von Dach; auch sie wird für ihre Gesamtkarriere ausgezeichnet. Sie wurde 1946 geboren und lebt in Biel und Paris.

Zudem wurden die folgenden Autorinnen und Autoren für 2017 erschienene Einzelwerke ausgezeichnet:

– Fabiano Alborghetti, Maiser (L’uomo del mais), Marcos y Marcos, Mailand, 2017

– Dumenic Andry, sablun, Chasa Editura Rumantscha, Chur, 2017

– Michael Fehr, Glanz und Schatten, Der gesunde Menschenversand, Luzern, 2017

– Baptiste Gaillard, Un domaine des corpuscules, Hippocampe éditions, Lyon, 2017

– Yael Inokai, Maelstrom, Edition Blau, Rotpunktverlag, Zürich, 2017

– Friederike Kretzen, Schule der Indienfahrer, Stroemfeld Verlag, Frankfurt/M. und Basel, 2017

– Jérôme Meizoz, Faire le garçon (Den Jungen machen), Zoé, Genf, 2017

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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