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Der “letzte grosse deutschsprachige Entertainer” ist tot

Udo Jürgens: 2. Dezember 2014, Salzburg (Österreich). Keystone

Der überraschende Tod des österreichisch-schweizerischen Chansonniers, Komponisten und Popstars Udo Jürgens dominiert die ersten Seiten der deutschsprachigen Schweizer Presse: "Merci, Udo", "Vielen Dank für die Blumen", "Adieu, Adieu, Adieu", steht auf den Frontseiten in Anspielung an Lieder und Liedtexte des Stars.

“Merci, Udo”, titelt die Boulevardzeitung Blick und füllt die ganze Front mit einem Bild des am Sonntag bei einem Spaziergang nach einem Herzversagen im Alter von 80 Jahren Verstorbenen: “Die Welt muss Abschied nehmen von einem der letzten grossen Entertainer. Was bleibt, ist seine Musik, sie ist unsterblich.”

Noch vor zwei Wochen stand Udo Jürgens auf der Bühne des ausverkauften Zürcher Hallenstadions. “Er wirkte agil, sang seine grössten Hits. 10’000 Fans jubelten ihm zu, erlagen seinem Charme, beschenkten ihn mit Rosen”, so der Blick: “Er war tiefsinnig, auch witzig, immer elegant. Die Ernsthaftigkeit des Alters stand ihm prächtig, diesem Gentleman der alten Schule.”

“Mitten aus dem Leben gerissen”, so die Schlagzeile beim Tages-Anzeiger, der damit auf die soeben abgeschlosse Tournee und das im vergangenen Februar veröffentlichte Album des Entertainers anspielt. “Abschied von einer Musiklegende”, verkündet die Neue Zürcher Zeitung auf ihrer Titelseite.

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Keiner Frau treu

Omnipräsent ist auch das Thema Udo Jürgens und die Frauen. “Ich war nie der Verführer, aber mein Leben lang immer leicht verführbar. Und ich war keiner meiner Frauen treu. Das ist meine Schuld, mit der ich leben muss”, sagte Udo Jürgens vor drei Jahren in einem Interview mit dem Blick.

“Das Erstaunlichste an Jürgens war womöglich, dass er nie peinlich wirkte. Selbst wenn er als alter Mann zum Ende eines Konzerts den weissen Bademantel überzog, haftete ihm nichts Lächerliches an, vielmehr schien das Kleidungsstück ihm noch mehr Würde zu verleihen”, schreibt das Internet-Portal Watson: “Hatte Jürgens in früheren Jahren mal wieder irgendwo eine junge Frau abgeschleppt, die seine Tochter hätte sein können, erregte das eher Bewunderung als Empörung.”

Mehr als ein Schlagersänger

“Dass er als Entertainer zwar geliebt, aber als Komponist unterschätzt wurde, hat ihn bis zuletzt gekränkt”, schreibt die Berner Zeitung und erinnert daran, dass Jürgens in “Griechischer Wein” die Einsamkeit griechischer Einwanderer besinge und auf seinem Album “Mitten im Leben” nicht nur die Liebe thematisiere, sondern auch “die Überwachung, den Sprachverfall und die Finanzbranche”.

Im Laufe seiner Karriere komponierte Jürgens mehr als 1000 Lieder, bespielte mehr als 50 Alben und verkaufte über 100 Millionen Tonträger. Geboren wurde er 1934 im österreichischen Klagenfurt. In grossbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, gelang ihm 1966 der Durchbruch mit “Merci Chérie” beim Grand Prix Eurovision de la Chanson.

Wie ein Rennpferd vor dem Start

1977 zog Jürgens nach Zürich. Seither lebte er in der Schweiz. Hintergrund des Umzugs war damals eine Auseinandersetzung mit den österreichischen und deutschen Steuerbehörden wegen Steuerschulden. Jürgens wollte sich allerdings “nicht als Steuerflüchtling verstanden wissen”, schreibt der Tages Anzeiger. “Er habe in München ein Sperrkonto mit einem siebenstelligen Betrag zur Deckung der Schulden hinterlassen, verteidigte er sich. Zudem habe er in der Schweiz nicht von der Pauschalbesteuerung profitiert, ‘sondern immer ordentlich und viel Steuern bezahlt’.”

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Im Sommer 2007 wurde Jürgens in Zumikon (Kanton Zürich) eingebürgert. Seit 1997 war der Zürcher Freddy Burger sein Manager, und das Pepe Lienhard Orchester – eine schweizerische Big-Band-Institution – wurde auf allen Tourneen und Studioproduktionen sein Begleitorchester. “Udo scharrt wie ein Rennpferd vor dem Start”, sagte Pepe Lienhard vor dem Start der Tournee vor wenigen Wochen.

Trauer und Schock

Der plötzliche Tod von Udo Jürgens löst in weiten Kreisen Trauer und Fassungslosigkeit aus. “Ich bin tief geschockt, es ist, als wäre ein Familienmitglied von uns gegangen” sagt der deutsche Rockstar Udo Lindenberg.

Der deutsche Jazztrompeter Till Brönner postete auf Facebook: “Verneigung, lieber Udo!”, die Fussballegende Franz Beckenbauer schrieb auf Twitter von einer “schrecklichen Nachricht”.

Der Schweizer Rockmusiker Chris von Rohr erinnert sich an ein Fest zum 60. Geburtstag von Freddy Burger und an das gemeinsame nächtliche Abhängen: “Wir Rocker mussten schauen, dass wir mit dem Grand Seigneur des Chansons mithalten konnten. Der Mann wusste wie feiern”, zitiert ihn der Blick.

Alleine Runden drehen

Er habe Jürgens bei anderer Gelegenheit aber auch als “tiefschürfenden Wahrheitssucher” und “hilfsbereiten Menschen kennengelernt” so Chris von Rohr: “Von allen Musikern, die ich kenne, war er der einsamste Wolf. Er drehte seine Runden oft alleine, ohne aber wirklich ein Einzelgänger zu sein.”

“Er hat wirklich etwas zu sagen, wenn man seinen Texten genau zuhört, spürt man ihre Tiefe”, sagte die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch, die Jürgens im September zu seinem 80. Geburtstag die Ehrenmedaille der Stadt Zürich übergeben hatte.

“Wenn ich einmal gehen muss, möchte ich nichts davon merken”, habe Udo Jürgens erst vor ein paar Tagen zu ihm gesagt, erzählt der Musiker Pino Gasparini, der während 25 Jahren zusammen mit Jürgens auf derr Bühne war: “Ich bin zutiefst traurig und schockiert. Udo ist viel zu früh von uns gegangen.”

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