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“Schweiz hat absolut keine Comics-Nachwuchssorgen!”

Will Eisner / Fumetto 2013

Die Comic-Szene hat am Fumetto-Festival in Luzern ein kräftiges Lebenszeichen von sich gegeben. Dem Genre haftet aber immer noch das Vorurteil des "Juvenilen" an. Doch die Aufklärungsarbeit von Festival-Organisationen, Verlagen und Szene-Kennern zeigt Wirkung.

Neun Tage für die neunte Kunst: Im März feiert Luzern jeweils das unabhängige, alternative und avantgardistische Comic-Schaffen als eigene Kunstform. “Fumetto ist explizit ein Ausstellungs- und Künstlerfestival und keine Messe mit Verkaufsständen und verkleideten Personen”, sagt Marta Nawrocka, Co-Leiterin und Medienverantwortliche des internationalen Comix-Festivals, das zum 22. Mal stattfand.

“Fumetto ist von überragender Bedeutung, weil es die Szene ins grosse Scheinwerferlicht stellt. Das hochstehende Programm findet eine grosse Medienbeachtung, das ist genial”, schwärmt David Basler. Er hatte 1981 die Edition Moderne sowie 1984 das Szenemagazin Strapazin mitbegründet. Wie Fumetto hat sich der einzige Comic-Verlag in der Deutschschweiz dem avantgardistischen und künstlerischen Untergrund-Comic verpflichtet.

Nawrocka und Basler stehen für Festivals, Verlage und Szenemagazin – zentralen Schnittstellen zwischen Künstler und Publikum.

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Luzern feiert Comics

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“Fumetto wirkt Wunder”

Das konsequente Bekenntnis zum künstlerischen Comic bedeutet für Nawrocka auch Lobbying im Dienste der Aufklärung. Gerade bei der Sponsorensuche gelte es, mit überholten Vorurteilen aufzuräumen. “Im deutschsprachigen Raum haftet dem Comic immer noch der Ruf des Juvenilen an, es sind ‘Bildli’, die man nach dem Teenageralter weglegt.”

Ein Besuch der Skeptiker an Fumetto wirke jeweils Wunder, schmunzelt Nawrocka, “sie sind dann regelmässig vom künstlerischen Gehalt der Comics überzeugt”.

Das Vorurteil halte sich im deutschsprachigen Raum hartnäckig, bestätigt Christian Gasser, der die Szene als Journalist und Co-Herausgeber des Strapazins seit Jahren verfolgt.

Die Entwicklung in den letzten 20 Jahren zeige, dass Comics ein breitgefächertes, künstlerisches Genre sei, das ein breites Publikum erreiche. “Im Medienbereich, den ich sehr gut kenne, haben sich die Vorurteile gelegt und Comics werden heute als seriöse literarische Kunstform respektiert.”

Daran hat Gasser selbst grossen Anteil. Mit seinen Beiträgen für die Neue Zürcher Zeitung, früher den Bund, Schweizer Radio und Fersehen (SRF) oder den Deutschlandfunk fungiert er gewissermassen als Kunstvermittler und stellt als solcher eine dritte wichtige Schaltstelle des Comic-Netzwerks dar. 

Gezeichnete Reportagen

Das Vorurteil, Comics müssten lustig sein, widerlegt Marta Nawrocka mit dem Verweis auf Art Spiegelman, der auch im Festivalprogramm 2013 figurierte. Der amerikanische Pionier des Untergrund-Comics gewann 1992 mit “Maus” den Pulitzerpreis. Darin verarbeitete er die Geschichte seiner Eltern als Überlebende des Holocaust, wobei er Nazis als Katzen, die Juden als Mäuse zeichnete.

Mit Joe Sacco war in Luzern eine weitere Legende vertreten. Der maltesisch-amerikanische Comiczeichner und Journalist gilt mit seinen gezeichneten Reportagen aus Krisengebieten wie Gaza, Irak, Bosnien, Inguschetien, Indien und Palästina als Erfinder der Graphic Novel.

“Es sind dokumentarische, autobiographische oder Reportage-Comics von 100 Seiten oder mehr. Aufgrund des Inhaltes können sie ein Publikum über die angestammte Comics-Szene hinaus erreichen, nach der Formel: ‘Ich kaufe eine Graphic Novel, obwohl es ein Comic ist'”, sagt Verleger David Basler.

 Klassische Comics seien über Helden definiert gewesen, “niemand kannte die Zeichner von Mickey Mouse”. “Graphic Novels sind eher über den Autor und Künstler definiert, wie dies beispielsweise beim Schweizer Thomas Ott der Fall ist”, erklärt der Verleger. 

Das 22. Comix-Festival in Luzern fand vom 16. bis 24. März statt und zog rund 50’000 Besucherinnen und Besucher an.

Die Festivalleitung zeigte sich über das “hohe und stabile Besucherniveau” erfreut, insbesondere über über die Zunahme von Gästen aus der Westschweiz.

Den Publikumspreis gewann Martin Viot. Zugleich kam der 24-jährige Belgier im Fumetto-Hauptwettbewerb der Jury auf Platz 2.

Sieger des Hauptwettbewerbs wurde der 28-jährige Taiwanese Tse-Wei Tu mit “The Gift”. Die Arbeit behandle das Wettbewerbsthema Gerechtigkeit inhaltlich spielerisch und vielschichtig, lobte die Jury.

Der 13-jährige Max Kamber holte sich den Nachwuchspreis (13 bis 17 Jahre). 2012 hatte das junge Berner Talent bereits den ersten Platz in der Kinder-Kategorie (bis 12 Jahre) belegt.

Schwerpunkt der jüngsten Fumetto-Ausgabe war die Ausstellung “Robert Crumb & The Underground” über die Geburt des Alternativ-Comics in den 1960er- und 1970er-Jahren.

Ein weiterer Fokus lag auf der Gruppenausstellung Al-Comix al-Arabi zum Arabischen Frühling.

Viel Enthusiasmus, wenig Geld

Die Edition Moderne spiele deshalb eine grosse Rolle, weil die Szene wie auch die Zahl der Verlage insgesamt klein sei. “Die ersten 10 Jahre waren wir Amateure, die zweiten Halbprofis und seit dem dritten Jahrzehnt sind wir Profis”, rekapituliert Basler die Geschichte des Kleinunternehmens, das jährlich 12 Bände herausgibt.

Die Sprengung des klassischen Formats des rund 40-seitigen Comic-Bandes ist für Christian Gasser aus einem weiteren Grund interessant. “In der Graphic Novel wachsen die Comics-Kulturen der West- und der Deutschschweiz zusammen.”

Vor dem Strapazin habe es in der Deutschschweiz keine Szene und keinen Mainstream gegeben, weshalb sie bis Mitte der 1990er-Jahre “die kreativere Szene hatte”.

Die Westschweiz dagegen habe über eine grosse Comic-Tradition verfügt, die wegen der französischen Verlage und des dortigen Marktes viel grössere kommerzielle Möglichkeiten geboten habe.

“Zep, Cosey und Derib hatten und haben ein Millionenpublikum, sie können sehr gut von ihrer Arbeit leben”, bestätigt David Basler. Die Künstler dagegen, die er heute verlege, seien weit davon entfernt. So ist etwa Thomas Ott, international einer der Grossen des dunklen Untergrund-Comics, auch Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste.

Ott ist nicht der einzige mit dieser Biografie. Praktisch alle Dozenten, die an Schweizer Kunsthochschulen die Fachrichtung Illustration unterrichten, entstammten dem Strapazin-Umfeld, sagt Christian Gasser. “Jetzt verlässt eine ganze Generation, die sehr nahe am Comic ist, die Hochschulen. Die Schweiz hat absolut keine Nachwuchssorgen”, freut er sich.

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Im arabischen Comic dauert der Frühling an

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Fantasie-Comic

Ein Vertreter dieser neuen Generation ist Bastien Gachet. Fumetto ermöglichte dem 26-jährigen Genfer seinen ersten prominenten Auftritt und die erste Buchpublikation. Der ausgebildete Illustrator nutze die “enorme Chance” als Experimentierfeld, um die Grenzen des Genres auszuloten.

Die Ausstellung gestaltete Gachet als visuelle Performance, die er eigens für das Festival und den Raum in einer ehemaligen Kapelle konzipierte. Der Band “Julien2” enthält in Kupfer geritzte Porträts derselben Person.

 Auf den ersten Blick hat das Buch abgesehen vom Seriellen kaum etwas mit Comics zu tun. Das Erzählerische erschliesst sich beim Betrachten erst allmählich, indem man sich die Geschichten zu einem oder beiden Protagonisten imaginieren muss. “Es ist sehr spannend, dass Fumetto diesen sehr offenen und weiten Blick auf das Genre pflegt”, hebt Gachet hervor.

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