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Zoff um das Erbe von Tim und Struppi

Hergé am Arbeitstisch
Das Erbe, das der belgische Zeichner Hergé hinterlassen hat, sorgt immer wieder für Wirbel, auch in der Schweiz. ©rue Des Archives/rda

Die Witwe von Hergé und ihr neuer Ehemann, die in Chesières im Kanton Waadt leben, wollen ihre Schweizer Anwälte entlassen. Sie sind unzufrieden mit der Art und Weise, wie diese den Trust verwalten, der nach dem Tod des belgischen Zeichners von Tim und Struppi eingerichtet wurde.

“Tim und Struppi bei den Helvetiern” – so könnte der Titel eines neuen Comic-Albums mit den Abenteuern des kleinen Journalisten mit seiner spitz zulaufenden Frisur lauten, denn sein Erbe sorgt in der Schweiz für Aufregung.

Seit dem Tod von Georges Rémi, besser bekannt als Hergé, im Jahr 1983 besitzt seine zweite Frau Fanny Vlamynck die Rechte an dem gigantischen und lukrativen Werk des belgischen Zeichners.

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1993 heiratete diese Nick Rodwell. Der britische Geschäftsmann übernahm das Erbe, das er heute “mit eiserner Hand” verwaltet, wie “Le Point” berichtetExterner Link. Er gilt als “Meister des Rechtsstreits”Externer Link und hat in den letzten Jahren zahlreiche Prozesse gegen Tim-und-Struppi-Fans angestrengt, um ihnen zu verbieten, das Werk des Zeichners zu reproduzieren oder zu missbrauchen.

Ein Jahr vor ihrer erneuten Heirat gründete Fanny Vlamynck 1992 einen Trust auf ihren Namen. Und das nicht irgendwo, sondern auf den Kaimaninseln, einem Steuerparadies. Im englischen Recht ist ein Trust eine rechtliche Struktur, die Eigentum an einem Vermögenswert besitzt, aber nicht von den Begünstigten dieses Vermögens verwaltet wird. Sie dient beispielsweise der Sicherung einer Erbschaft, da keiner der Erbenden die Oberhand über das betreffende Vermögen erlangen kann. Doch nun will Nick Rodwell die Funktionsweise dieses Trusts auf den Kopf stellen.

Angriff per Gericht

Aus einem Dokument, das vom Obersten Gerichtshof der Cayman-Inseln veröffentlicht und von Journalistinnen und Journalisten des Fachmediums Gotham City entdeckt wurde, geht hervor, dass der englische Geschäftsmann die zwei Schweizer Anwälte verklagt, die den fraglichen Trust verwalten.

Als Vormund von Fanny Rodwell (ehemals Vlamynck), die krank ist, fordert er das Gericht auf, Bernard Lachenal und Claude Brechbühl von der Genfer Anwaltskanzlei MLL Meyerlustenberger Lachenal Froriep von ihren Ämtern als Treuhänder des Trusts zu entbinden. Nick Rodwell ist der Ansicht, dass die beiden Anwälte in den Ruhestand gehen sollten, da sie das Alter von 65 Jahren überschritten haben.

In jüngsten Interviews erklärte Rodwell, dass er einen Konflikt mit seinem Schweizer Anwalt habe. “Ich habe festgestellt, dass er seit 1992 vor allem für sich selbst arbeitet”, sagte er in der belgischen Zeitung “La Libre Belgique”Externer Link.

In einem Interview mit dem Schweizer Magazin “Bilanz”Externer Link über das Erbe von Hergé erklärte er: “Wenn ich morgen sterbe, Fanny an Alzheimer leidet und keine Entscheidungen mehr treffen kann und weil wir keine Kinder haben, wird es ein Mini-Chaos geben. Ich bin gerade dabei, alles Notwendige in die Wege zu leiten, um das zu verhindern. Aber was ich mit den Anwälten und den am Hergé-Nachlass beteiligten Personen herausgefunden habe, ist sehr enttäuschend.” Er fügte hinzu, dass er “die Struktur, die wir vor dreissig Jahren aufgebaut haben, überprüft”.

Die wichtigste Frage ist jedoch, ob der Trust, dessen Existenz bislang unbekannt war, den Steuerbehörden gemeldet wurde. Gotham City kontaktierte Rodwell, der nicht auf die Fragen antwortete. Er und seine Frau leben heute in der Schweiz, in Chesières im Kanton Waadt.

Erbe von über 200 Millionen Franken

Von “La Libre Belgique” zu diesem Thema befragt, erklärte der Brite den Umzug mit einem Rechtsstreit mit dem belgischen Finanzamt, “das von Fanny Rodwell eine enorme Erbschaftssteuer verlangte”. Das Vermögen des Paars soll sich auf über 200 Millionen Franken belaufen.

Als Antwort auf die Kritik kündigte Rodwell an, dass er an der Veröffentlichung eines Buchs arbeiteExterner Link. Arbeitstitel: “Trust but verify, un conflit d’intérêts” (Vertraue, aber prüfe. Ein Interessenkonflikt). Die Veröffentlichung sei für Anfang 2023 geplant. Gegenüber der Zeitschrift Bilanz sagte der Brite, dass “es in bestimmten Kreisen, speziell in Genf, wie ein kleines Hiroshima wirken könnte”.

Auf den Cayman-Inseln wird Nick Rodwell von Nelsons Attorneys at Law Ltd. vertreten. Bernard Lachenal und Claude Brechbuhl antworteten nicht auf unsere Fragen.

(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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