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Lachen als Freiheitsgefühl

Die Clownin Gardi Hutter, als "Souffleuse" auf der Bühne. www.gardihutter.com

Gardi Hutter hat den Schweizer KleinKunstPreis 2005 gewonnen. Die Preisverleihung findet am 20. April an der Gala der Schweizer Künstlerbörse in Thun statt.

Die Clownin lebt seit vielen Jahren in Arzo, einem kleinen Dorf im hügeligen Südtessin. Dort stellte sie sich den Fragen von swissinfo.

Das Tessin ist die Wahlheimat für die in St. Gallen geborene Künstlerin. Sie ist gerade von einer Deutschland-Tournee zurück gekommen, als sie uns in ihrem Haus empfängt. Sie wirkt ein wenig müde, ist aber gleichwohl heiter und direkt.

Von den Umwälzungen bei swissinfo hat sich schon gehört. “Was da passiert, erinnert mich ein wenig an ‘Die Soffleuse’, mein letztes Stück “, kommentiert Hutter.

swissinfo: Sie haben etliche Auszeichnungen in Ihrem Leben erhalten. Was bedeutet Ihnen der Schweizer KleinKunstPreis?

Gardi Hutter: Es ist der demokratischste aller Preise. Alle freien Theater – zirka 400 – nominieren 10 Kandidatinnen und Kandidaten. Ein Jury wählt dann unter diesen die Gewinnerin oder den Gewinner aus.

Ich gehörte selber der Jury an, bin aber zurückgetreten, als ich erfuhr, dass ich im engeren Kreis der Auserwählten war. Meine Kollegen konnten so ein unabhängiges Urteil treffen. Dass ich am Ende den Preis erhielt, stellte für mich eine positive Überraschung dar. Mein jüngstes Stück “Die Souffleuse” war offenbar für den Entscheid der Jurymitglieder sehr wichtig.

swissinfo: Auf welches Abenteuer begibt sich die “Souffleuse” eigentlich in Ihrem Stück?

G.H.: Mit der “Souffleuse” bin ich sozusagen an die Wurzeln meines künstlerischen Schaffens zurückgekehrt. Es ging darum, eine Figur zu zeigen, die in einer totalen Einsamkeit ist, und in einer hermetischen Welt lebt.

Für mich war das eine grosse Herausforderung. Denn als Kunstschaffende weiss man nie genau, an welchem Punkt man sich wiederholt oder wo man noch mehr in die Tiefe gehen muss.

Die Produktion von “Die Souffleuse” war auf alle Fälle ziemlich schwierig, aber mit dem Resultat bin ich mehr als zufrieden. Für das Publikum ist es mein schönstes Stück. Und wenn das Publikum zufrieden ist, freut sich auch die Künstlerin.

Die Souffleuse liebt ihre Arbeit. Es ist eine Arbeit im Verborgenen, abseits des Rampenlichts. Denn die Souffleuse hilft den Schauspielern auf der Bühne. Sie lebt hingegen unter der Bühne, in einem hübsch eingerichteten Raum.

So geschieht es, dass das Theater dicht gemacht wird. Doch niemand erinnert sich daran, dies der Souffleuse mitzuteilen. Sie bereitet sich daher auf ein neues Stück vor, das jedoch nie gegeben wird. Es findet ein Ausschluss aus der Gesellschaft statt.

Diese Episode widerspiegelt das Schicksal vieler Menschen in der heutigen Gesellschaft. Menschen, die ihre Arbeit verlieren. Menschen, die erfahren müssen, dass das bisher Geleistete keinen Wert mehr besitzt. Es ist die Erfahrung des Ausgeschlossen-Seins.

swissinfo: Das klingt sehr traurig…

G.H.: Natürlich, aber ein Clown ist immer eine tragisch-komische Figur. Alles ist so traurig, so unglaublich dramatisch, dass sich am Ende alles in Lachen verkehrt. Die Gefühle kippen ins Positive.

swissinfo: Inwiefern stellt der Alltag für Sie eine Inspirationsquelle dar?

G.H. Ich bin wie ein Schwamm. Ich sauge alle Informationen und Signale auf. Ich bin mitten in dieser Welt, in der ich lebe. Aus einer Vielzahl von Anregungen entsteht eine “kulturelle Suppe”, die mein kreatives Chaos bildet.

Es brodelt sozusagen in meinem Inneren. Und als Clown arbeitet man die archetypischen Elemente aus der einen umgebenden Welt heraus. Es geht um die universalen Aspekte der einzelnen Situationen oder Gefühle.

Im Vergleich zu meinen anderen Stücken gibt es bei der “Souffleuse” keinen Platz mehr für Träume. Heute merken wir, dass nicht nur Visionen fehlen, sondern wir auch Angst haben, alles zu verlieren.

swissinfo: Was ist für Sie ein Clown?

G.H.: Ein Clown ist das Symbol eines Menschen, der andere mit seiner Tragik zum Lachen bringt. Clowns sind zugleich grossartig und banal, wie alle Menschen.

swissinfo: Man hat Sie unter anderem auch als “Frau Totò” bezeichnet. Gefällt Ihnen dieser Vergleich?

G.H.: Totò gefällt mir, ich kann über ihn viel lachen. Er hat immer Würde behalten, auch wenn er wirkliche Pechvögel interpretierte. Man hat mich auch mit Chaplin und Keaton verglichen. Es sind die beiden Schauspieler, die mich am stärksten inspirieren.

swissinfo: Welcher ihrer interpretierten Figuren fühlen Sie sich am nächsten?

G.H. Das ist schwer zu sagen. Denn alle Figuren spiegeln in irgendeiner Weise meine Clown-Seele. Ich drücke mich durch diese Figuren aus. Für mich ist es wichtig, einfache und klare Geschichten darzustellen. Meine Figuren sind letztlich nur Metaphern des Lebens.

swissinfo: Was ist für Sie Humor?

G.H. Humor ist eine Überlebensstrategie. Wir erleben täglich Tragik und Dramen. Und jeder von uns ist mit den Schmerzen des Lebens konfrontiert. Humor kann helfen, Scheitern zu überwinden. Er kann helfen, auf Distanz zu gehen. Durch Humor und Lachen erreicht man letztlich mehr Freiheit.

swissinfo: Wird in der Schweiz genug gelacht? Oder gibt es wirklich nichts mehr zum Lachen?

G.H.: In meinem Freundeskreise wird viel gelacht und gescherzt. Natürlich weinen wir auch gelegentlich oder streiten. Aber all dies ist Teil des Lebens.

Natürlich gibt es immer einige griesgrämige Leute. Aber ich sehe die Schweiz keineswegs als trauriges Land, in dem niemand lacht. Lachen ist Teil der Volkskultur. Und es ist auch der Gesundheit dienlich.

swissinfo: Was bedeutet Ihnen Ironie im Leben? Und was bedeutet Ironie im Leben eines Künstlers?

G.H.: Ironie ist für mich gleichbedeutend mit Intelligenz. Ironie liebt das Leben, denn sie erlaubt, die eigenen Unzulänglichkeiten, Schwächen und Fehler zu akzeptieren. Über sich selbst lachen zu können, ist fundamental. Aber leider gibt es auch Künstler, die nicht im Stande sind, über sich selber zu lachen.

Ironie ist eine menschliche Eigenschaft, ganz unabhängig vom künstlerischen Schaffen und dem eigenen Beruf. Ironie ist etwas Lebensnotwendiges.

swissinfo, Françoise Gehring, Arzo
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Geboren 5.3.1953 in Altstätten (SG)

Ausbildung an der Schauspiel-Akademie Zürich: 1974-77.

3 Gesellenjahre als Clownlehrling in Italien

Auf Tournee in 21 Ländern, 2600 Aufführungen

8 Kulturpreise in der Schweiz, Frankreich und Deutschland, darunter den Ring von Hans Reinhart, den Schweizer Kleinkunstpreis, den St. Galler Kunstpreis.

Radio- und Fernsehsendungen in 13 Ländern

36 kg Kritiken und Porträts (Ordner und Leim inkl.)

Gardi Hutter ist in der Schweiz sehr bekannt. Es wurden schon viele Diplomarbeiten über die Clownin geschrieben.

Gardi Hutter hat als Hofnarr auch schon dem Schweizer Parlament die Leviten gelesen. Anlass war die 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft.

Die Clownin ist zu einer öffentlich bekannten Persönlichkeit geworden. Die Kritik preist sie als “komisches Phänomen” und vergleicht sie mit den Grössen der Sparte wie Charles Chaplin oder Buster Keaton.

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