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Lange Nase, spitzes Kinn – welchen Sinn?

Porträt Johann Caspar Lavaters. Kunsthaus Zürich

Johann Caspar Lavater, der wohl berühmteste Zürcher seiner Zeit, starb vor 200 Jahren. Das Kunsthaus Zürich widmet dem eifrigen Erforscher des Antlitzes und charismatischen Pfarrer eine sehenswerte Ausstellung.

Schau mir in die Augen Kleines oder zeig mir deine Nase und ich sage dir, wer du bist? – Physiognomie (Physis und nomos), so wird die Interpretation der äusseren Erscheinung genannt, besonders der Gesichtszüge, um das Temperament und den Charakter eines Menschen zu bestimmen. Eine Idee nicht ganz so alt wie die Menschheit, dennoch reichen die ersten Überlieferungen zurück bis in die Zeiten Aristoteles. Oder wie man im alten Rom orakelte: “Noscitur ex naso quanta sit hasta viri” (man erkennt an der Nase des Mannes, wie gross sein Stab ist), eine Ansicht, die auch heute noch ab und zu aus Volkes Mund zu hören ist…

Schriftsteller, Sammler, Deuter

So wird seit der Antike versucht, erste Eindrücke und wahrgenommene Zeichen in einem Gesicht zu deuten, zu interpretieren, zu typologisieren. Als einer der eifrigsten Sammler und Deuter von Gesichtern tat sich der Zürcher Pfarrer Johann Caspar Lavater (1741-1801) hervor.

Lavater, Sohn eines begüterten Arztes wächst in der zürcherischen Tradition der Aufklärung, geprägt von republikanischer Gesinnung auf. Er entwickelt sich zum begnadeten Redner, Schriftsteller und charismatischen Pfarrer – für seine Predigten stehen die Gläubigen Schlange – und ist im späten 18. Jahrhundert, die dominierende geistige Erscheinung in Zürich. Er verkehrt mit bedeutenden Zeitgenossen, der junge Goethe erweist ihm die Referenz, arbeitet zeitweise für ihn, wird sich aber später vom lavaterschen Deutungs-Universum distanzieren.

Kunstkabinett

Die schier unglaubliche Anzahl von 22’102 graphischen Blättern in 911 Portefeuilles und Schubern aufbewahrt – das ist die Sammlung des Johann Caspar Lavaters. Sie waren sein Studienmaterial für die Erforschung des Menschen und die Ableitung des Charakters aus Nasen, Mündern, Augen, Ohren, und, und, und… Die “Physiognomischen Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnisse und Menschenliebe”, dieses Werk wird seinerzeit in ganz Europa diskutiert, alle werden zu Physiognomen. Lavater wird bewundert und geliebt, aber auch scharf kritisiert, abgelehnt.

“Je moralisch besser, desto schöner, je moralisch schlimmer, desto hässlicher”. Der schreckliche Missbrauch, solcher Gleichsetzung, im letzten Jahrhundert unter der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten bis zur letzten Konsequenz vollzogen, war sicherlich so nicht von Lavater gedacht. Vielmehr ging sein Streben dahin, den Menschen in seiner Gottes- Ebenbildlichkeit zu erkennen. Zurück bleibt eine Sammlung, deren Wert sich auch daran misst, dass wir – angesichts der Fülle von Menschenbildern – uns unseren eigenen (Vor) Urteilen gewahr werden können.
Ein Teil der Sammlung, in der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt, kehrt erstmals wieder nach Zürich zurück und ermöglicht einen Einblick in die bedeutungsvolle Welt des Johann Caspar Lavater.

Brigitta Javurek, Zürich

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