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Lange Suche nach Gründen

Rote Rosen im Triebwerk der abgestürzten Tupolew - Angehörige besuchten die Absturzstelle m Bodensee. Keystone

Die Schweizer Flugsicherung Skyguide kommt nach der Kollision über dem Bodensee nicht aus den Schlagzeilen. Zudem erweist sich die Auswertung der Black Boxes als schwierig.

Die Ermittlungen der genauen Unfallursache dauern an. Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz wurden Strafuntersuchungen eingeleitet.

Nach dem Absturz, der 71 Menschen das Leben kostete, mehren sich Forderungen nach einer einheitlichen Flugraum-Überwachung in Europa. Die EU-Kommission hatte dazu bereits vor einem Jahr ein Projekt unter dem Titel “Single Sky” vorgelegt.

Warnsystem STCA doch in Funktion

Wie das Büro für Flugunfall-Untersuchungen am Donnerstagabend in Bern bekannt gab, stimmen die Radaraufzeichnungen über die Flugkatastrophe in Süddeutschland nicht voll mit den Wahrnehmungen des Fluglotsen im Kontrollturm auf dem Flughafen Zürich-Kloten überein.

Insbesondere sei dem Fluglotsen die Warnung des Alarmsystems STCA (Short Term Conflict Alert) nicht dargestellt worden. Das STCA sei aber im Hintergrund in Funktion gewesen, weshalb die Warnung auf dem sogenannten Legal Recording verzeichnet sei.

Skyguide hatte am Mittwoch erklärt, das STCA sei wegen Wartungsarbeiten an der Radar-Software nicht in Betrieb gewesen. Auf die Unterschiede zwischen dem Legal Recording und der Darstellung auf der Konsole des Fluglotsen hatte ein vor über einer Woche veröffentlichter BFU-Bericht über die Skyguide-Radarsysteme aufmerksam gemacht.

Bänder beschädigt

Die Magnetbänder der beiden Voice-Recorder sowie des Daten-Schreibers der Frachtmaschine, die bereits geöffnet wurden, sind stark beschädigt. “Die Bänder sind in einem schlimmen Zustand. Bevor wir reinhören können, müssen wir sie restaurieren”, sagte Axel Thiel von der deutschen Bundesstelle für Flugunfall-Untersuchungen (BFU) am Donnerstag in Braunschweig.

Damit wird die Auswertung der Bänder etwas länger auf sich warten lassen. Inzwischen sei auch der Datenschreiber der Passagier-Maschine gefunden worden und auf dem Weg zur BFU, sagte Thiel weiter.

Neue Vorwürfe aus Russland

Nachdem die Skyguide immer mehr unter Druck geraten war, wurden am Donnerstag aus Russland neue Vorwürfe an die Schweizer Flugsicherung laut: Nach Angaben eines russischen Luftfahrt-Experten hatten die Piloten der russischen Tupolew-Maschine die Skyguide-Lotsen 90 Sekunden vor der Kollision mit der DHL-Maschine gewarnt und um Erlaubnis gebeten für ein Ausweichmanöver.

Antwort hätten die Piloten jedoch erst 44 Sekunden vor dem Zusammenprall bekommen, meldeten russische Medien unter Berufung auf einen Experten der Untersuchungs-Kommission. Der Anti-Kollisions-Radar an Bord der Tupolew habe die Piloten vor der nahenden Boeing-Frachtmaschine gewarnt.

Dazu erklärte Alexander Thiel von der BFU, diese Informationen müssten aus anderen Aufzeichnungen stammen. Bei Skyguide hiess es, man warte mit einer Stellungnahme, solange sich die deutsche BFU konkret äussere.

Ein einheitlicher Luftraum über Europa

Im Zug der Kollision über dem Bodensee wurden erneut Forderungen laut nach einer einheitlichen Flugsicherung in Europa. So drängte die EU-Kommission am Mittwoch auf rasche Schritte in diese Richtung. Das Projekt stösst allerdings bisher in einigen EU-Staaten, so in Frankreich, auf grossen Widerstand.

Auch der deutsche Verkehrsminister Kurt Bodewig forderte mit Nachdruck die Schaffung einer einheitlichen Luftraum-Überwachung. “Die Kleinstaaterei muss endlich durch ein einheitliches System abgelöst werden”, sagte Bodewig im ARD-“Morgenmagazin”.

Und der Schweizer Verkehrsminister Moritz Leuenberger sagte in einem Interview mit dem Boulevardblatt “Blick”, Pläne für eine einheitliche Flugsicherung in Europa seien eine alte und gar nicht abwegige Forderung. Mit dem Unglück in Süddeutschland habe sie aber vorerst nichts zu tun, sagte Leuenberger unter Hinweis auf die laufenden Ermittlungen.

Strafuntersuchungen in Deutschland und der Schweiz

Im Zug der Ermittlungen wurden unterdessen in der Schweiz und in Deutschland Strafuntersuchungen eingeleitet. Die Schweizer Behörden untersuchen die Vorgänge bei Skyguide, die Deutschen die Abläufe in den Cockpits.

Beide Verfahren sind wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung und fahrlässige Störung des öffentlichen Verkehrs eröffnet worden, wie es bei der zuständigen Bezirksanwaltschaft Bülach und bei der Staatsanwaltschaft Konstanz hiess.

Für die Durchführung der Untersuchung bei der Flugsicherung Skyguide brauchen die Zürcher eine Ermächtigung durch die Bundesanwaltschaft in Bern. Dies ist nötig, weil Skyguide hoheitliche Aufgaben des Bundes durchführt.

Das Gesuch an Bern wurde gestellt, die offizielle Ermächtigung sollte in einigen Tagen folgen. Trotzdem können die Zürcher bereits erste Abklärungen bereits abwickeln.

Der Flugverkehrs-Leiter, der in der Unglücks-Nacht Dienst tat, ist ein erstes Mal von der deutschen BFU einvernommen worden. Der Lotse, der einen Schock erlitt, wird noch medizinisch betreut und leistet vorerst keinen Dienst.

Angehörige an Absturzstelle

Während die Bergungsarbeiten auch am Donnerstag andauerten trafen rund 140 aus Russland eingeflogene Hinterbliebene Abschied von den Opfern. Am Ort der Absturzstelle bei Überlingen legten sie Kränze und Blumen nieder.

Unter den 71 Toten befinden sich 45 Kinder. Bis Freitagmorgen wurden 69 Todesopfer geborgen. Die Suche nach den letzten beiden Opfern geht weiter. Die Identifizierung der geborgenen Leichen gestaltet sich schwierig.

swissinfo und Agenturen

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