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Lateinische Schweiz besser berücksichtigen

Kaderstellen in Bundesbern sollen vermehrt mit Frauen aus der lateinischen Schweiz besetzt werden. imagepoint

Die lateinische Schweiz soll bei Kaderstellen in den Bundesämtern angemessen vertreten sein. Die Regierung begrüsst zwei entsprechende Vorstösse.

Sie verschafft damit dem Bundespersonalgesetz Nachdruck, das diese Massnahmen neben der Frauenförderung bereits verlangt.

Das Fass zum Überlaufen brachte die Wahl des Deutschschweizers Oswald Sigg zum Vizekanzler und damit offiziellen Sprecher der Landesregierung (Bundesrat). Er wird am 1. August den italienischsprachigen langjährigen Vizekanzler Achille Casanova ersetzen.

Da half auch die Wahl der Bündnerin Corina Casanova zur zweiten Vizekanzlerin und Leiterin der Sprachdienste nichts mehr. Der französischsprachige Bundesrat Pascal Couchepin kritisierte die Wahl der beiden Führungskräfte anschliessend in der Presse scharf.

Casanova sei im Jahrbuch des Bundes nicht als romanisch- sondern als deutschsprachig ausgewiesen, kritisierte er. Und Sigg spreche kein Italienisch. Eine Allianz aus Deutschschweizern und der Sozialdemokratischen Partei (SP) habe die Sprachminderheiten ausgeschlossen, regte er sich auf.

Demokratie sei nicht nur eine Frage der Zahlen. Sie verkörpere auch den Willen, die Minderheiten und gewisse Werte zu achten, sagte Couchepin weiter. Suche man für hohe Ämter im Bund Kandidierende aus den lateinischen Landesteilen mit gleichen Qualifikationen wie Deutschschweizer, finde man sie auch.

Lateinische Kandidaten besser berücksichtigen

Schon vor der Wahl hatten zwei SP-Parlamentarier, Ständerat Jean Studer und Nationalrat Didier Berberat, eine entsprechende Motion eingereicht: Der Bundesrat solle für eine angemessene Vertretung der Sprachgemeinschaften in Führungspositionen der Bundesämter sorgen.

“Es gibt immer weniger Kaderleute lateinischer Sprache in der Bundesverwaltung”, sagt Studer gegenüber swissinfo. “Wir müssen uns dieses Themas in der Schweiz bewusst werden.”

Studer und sein Parlamentskollege fordern, dass bei gleichen Fähigkeiten Kandidaten der lateinischen Schweiz so lange bevorzugt werden sollen, “bis die Sprachgemeinschaften entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung vertreten sind”.

Auch unter der Gesamtheit der Angestellten sollen alle Sprachgruppen angemessen vertreten sein. Eine Studie von Helvetia Latina zeige, dass die Anzahl lateinischer Kaderleute heute noch deutlich unter ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung liege.

Forderung schon im Gesetz

Dies, obschon bereits das Bundespersonalgesetz aus dem Jahr 2000 die Chancengleichheit von Mann und Frau und die angemessene, dem Bevölkerungsanteil entsprechende Vertretung der Sprachgemeinschaften in der Bundesverwaltung vorsieht.

“Das genügt leider nicht”, sagt Studer. Unterstützt werden die beiden Vorstösse von 11 Ständeräten (Kleine Kammer) und 59 Vertretern des Nationalrats (Grosse Kammer).

Ende Mai nun hat der Bundesrat die beiden gleichlautenden Motionen zur Annahme empfohlen. Möglicherweise kommen sie bereits gegen Ende der laufenden Sommersession ins Plenum. “Ich glaube, dass wir es schaffen, eine Mehrheit zu finden”, ist Studer überzeugt.

Deutschschweizer Männer chancenlos

Die Förderung der Sprachminderheiten und der Frauen hat nun zur Folge, dass Deutschschweizer Männer derzeit kaum mehr Chancen auf einen Chefposten in der Bundesverwaltung haben.

“Man muss es akzeptieren, wenn diese Gruppe keine Chance hat”, kommentierte Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz in der “NZZ am Sonntag”. Sie ist jedoch überzeugt: “Die Mehrheit wird durch den Verzicht sensibilisiert.”

Die einseitig auf Frauen und Lateiner fixierte Auslese von Bewerbungen für Chefposten in der Bundesverwaltung verletzte die Bundesverfassung, schrieb Yvo Hangartner, emeritierter Ordinarius für öffentliches Recht der Universität St. Gallen in einer Replik auf diese Äusserungen der Bundeskanzlerin.

Auch männliche Kandidaten deutschschweizerischer Herkunft könnten sich auf Artikel 8 der Bundesverfassung berufen. Danach darf niemand unter anderem wegen des Geschlechts oder der Sprache diskriminiert werden, wie Hangartner weiter schreibt.

swissinfo, Christian Raaflaub

Ende April wurde der Deutschschweizer Oswald Sigg zum Bundesrats-Sprecher gewählt.

Diese Wahl hat die Diskussion um die Vertretung der Sprachminderheiten in Führungspositionen der Bundesverwaltung erneut lanciert.

Die Landesregierung empfiehlt nun zwei entsprechende Motionen zur Annahme: Kandidaten der lateinischen Schweiz sollen bei gleicher Qualifikation bevorzugt werden.

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