Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Leuenberger setzt auf Kollegialität

Moritz Leuenberger bleibt in der Regierung uns setzt auf Kollegialität. Keystone Archive

Für den abtretenden Bundespräsidenten Moritz Leuenberger sind den Mitgliedern der Schweizer Regierung im Wahlkampf klare Grenzen gesetzt. Sonst drohe das Gremium handlungsunfähig zu werden.

Deshalb setze er auf Geschlossenheit und Kollegialität – aber auch auf Kompromisse.

“Die Sanierung der AHV (Alters- und Hinterlassenen-Versicherung) zum Beispiel dürfte nur mit einem breiten politischen Kompromiss gelingen”, sagt Leuenberger in einem Interview mit der SonntagsZeitung. “Dies könnte etwa heissen: sowohl eine Diskussion über das Rentenalter als auch über neue Einnahmen.”

Der sozialdemokratische Bundesrat kratzt mit dieser Aussage an einem Tabu seiner Partei. Diese hatte sich bislang kräftig gegen eine Erhöhung des Rentenalters ausgesprochen. Um Mehrheiten zu schmieden und Referenden zu gewinnen, brauche es eben einen geschlossen auftretenden Bundesrat, sagt Leuenberger.

Gegen die eigene Partei

“Das führt unter Umständen auch zu Positionen gegen die eigene Partei; das könnte bei den Einnahmen die bürgerlichen, beim Rentenalter die sozialdemokratischen Bundesräte treffen”, sagt der Bundespräsident weiter. Er leitet den Ausschuss des Bundesrates, der sich mit der Sanierung der Sozialversicherungen befasst.

“Mit einem Wahlkampf gegen das eigene Gremium bleibt alles blockiert”, hält Moritz Leuenberger fest. Als Mitglied der Landesregierung beteilige er sich denn auch nicht an Wahlstrategien seiner Partei; diese hatte etwa verlauten lassen, sie wähle Christoph Blocher nicht in den Bundesrat.

Er sei eben kein Basismitglied, sondern ein SP-Bundesrat, sagt Leuenberger dazu: “Als solcher treibe ich keinen Wahlkampf gegen ein Mitglied.” Wahlen seien Wahlen. Auch er sei gegen den Widerstand der SVP zum Bundespräsidenten gewählt worden. “Man kann einer Partei nicht vorwerfen, dass sie jemanden nicht wählt.”

Retourkutsche

Mit Stellungnahmen zum Rentenalter und auch zur Atomenergie (“die Option Kernkraft müssen wir offen halten”) in der SonntagsZeitung, hat Bundespräsident Moritz Leuenberger zum Ende seines Präsidialjahres seine Partei verärgert.

Er habe sich nicht darüber gefreut, dass sich Leuenberger zum Jahresende bei zwei so wichtigen Fragen gegen seine Partei gestellt habe, sagte der Präsident der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP), Hans-Jürg Fehr, an Heiligabend.

Die SP kämpfe für eine Flexibilisierung des Rentenalters und für den Ausstieg aus der Atomenergie.

Es stehe Leuenberger zu, die Bundesratsmeinung zu vertreten und nicht die SP-Meinung. Dennoch wäre eine gewisse Rücksichtnahme zu erwarten.

Vor- und Nachteile

In der Schweiz wechselt das Amt des Bundespräsidenten in jedem Jahr. Der abtretende Bundespräsident sagte anlässlich seiner Bilanz zum Präsidialjahr 2006, dass die Rotation des Bundespräsidiums innenpolitisch eine Kohäsionsfunktion habe.

Aussenpolitisch sei diese aber ein Nachteil. Denn sie erschwere es, persönliche Bekanntschaften zu schliessen und politische Diskussionen auf einer menschlichen Basis zu führen. Im Ausland werde der Wechsel teilweise nicht verstanden.

Die Doppelfunktion als Bundespräsident und Departementschef sei jedoch zu bewältigen, sagte Leuenberger. Gemäss einer Statistik des UVEK war der Zürcher Sozialdemokrat je hälftig mit präsidialen und departementalen Verpflichtungen beschäftigt. Bis Ende Oktober betrug der Aufwand, den das Präsidenten-Amt mit sich brachte, 575 Stunden.

Mehr

Mehr

Kollegialität

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Das Kollegialitätsprinzip ist im Regierungs- und Verwaltungsorganisations-Gesetz festgeschrieben. Es ist eine Organisationsform und Methode der Entscheidfindung, praktiziert in den leitenden staatlichen Gremien der Schweiz (z.B. Kantonsregierungen, Landesregierung). Die Kollegialbehörde fasst Beschlüsse gemeinsam und trägt dafür gemeinschaftlich die Verantwortung, auch wenn einzelne Mitglieder persönlich dagegen sind. Über die persönliche Haltung der einzelnen Mitglieder und die geführte…

Mehr Kollegialität

Der Bundesrat ist die Schweizer Regierung (Exekutive). Sie besteht aus sieben Mitgliedern, die alle vier Jahre vom Parlament (Vereinigte Bundesversammlung) gewählt oder bestätigt werden.

Ein Mitglied der Landesregierung wird “Bundesrat” oder “Bundesrätin” genannt. Jeder Bundesrat, jede Bundesrätin, steht einem Departement als Minister oder Ministerin vor.

Aus ihrer Mitte wird jährlich abwechselnd nach Amtsdauer der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin gewählt. Das Amt ist repräsentativ und nicht mit zusätzlicher Macht verbunden.

Moritz Leuenberger wird 1946 geboren.

Politisiert wird der Pfarrerssohn als Student der Rechte an der Universität Zürich während der 1968er-Bewegung.

Mit 26 Jahren übernimmt er das Präsidium der SP der Stadt Zürich.

Von 1974 bis 1983 ist er Mitglied des Zürcher Stadtparlaments.

1979 schafft er den Sprung in den Nationalrat.

1991 bis 1995 ist er Regierungsrat des Kantons Zürich.

Der 59-jährige Sozialdemokrat und Jurist Leuenberger ist seit 1995 Mitglied des Bundesrates. Er ist Vorsteher des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK).

Nach 2001 ist er 2006 zum zweiten Mal Bundespräsident.

Von Moritz Leuenberger sind im Limmatverlag Zürich zwei Bücher mit Reden und Texten erschienen: “Träume & Traktanden” sowie “Die Rose und der Stein”.

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft