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Leugnung des Völkermords an Armeniern: Freispruch

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Das Kreisgericht Bern-Laupen hat am Freitag zwölf Türken vom Vorwurf des Verstosses gegen die Rassismus-Strafnorm freigesprochen. Sie waren wegen Leugnung des Völkermords an den Armeniern angeklagt. Die Gesellschaft Schweiz-Armenien ist enttäuscht. Der Fall wird weitergezogen.

Gerichtspräsident Lienhard Ochsner sprach am Freitag die zwölf Angeschuldigten vom Vorwurf frei, gegen die Antirassismus-Strafnorm verstossen zu haben. Die zwölf Vertreter türkischer Organisationen hatten 1996 den durchs osmanische Reich im Jahre 1915 begangenen Völkermord an den Armeniern geleugnet.

Der Anwalt der als Privatkläger auftretenden Vertreter einer Armenier-Organisation kündigte unmittelbar nach der Urteilseröffnung an, das Urteil ans Obergericht weiterziehen zu wollen.

Klage von armenischer Seite

Als Reaktion auf eine Initiative von Armeniern hatten die Angeschuldigten 1996 in einer Petition an den Bundesrat bestritten, dass die Geschehnisse von 1915 einen Völkermord darstellten: Zwar seien «einige Armenier Umsiedlungs-Aktionen» zum Opfer gefallen; wer aber von Völkermord spreche, «verzerre die Tatsachen massiv».

Daraufhin waren sie von zwei Mitgliedern der Gesellschaft Schweiz-Armenien wegen Verstosses gegen die Antirassismus-Strafnorm verklagt worden. Laut dieser Strafnorm macht sich strafbar, «wer Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht».

Freispruch wegen fehlender diskriminierender Absicht

Wie Gerichtspräsident Lienhard Ochsner in seinem Urteil betonte, stelle das Gesetz nur jene Leugnungen und Verharmlosungen von Völkermorden unter Strafe, die aus diskriminierender oder rassistischer Absicht passierten. Da eine solche Absicht bei den Beschuldigten nicht auszumachen sei, seien sie freizusprechen.

Die Angeklagten hätten ihre Petition offensichtlich lanciert, um der armenischen Sicht der Geschehnisse eine «Gegendarstellung» gegenüberzustellen. Das türkische Geschichtsbild ist nach Meinung der Armenier ideologisch gefärbt und wird vom Staat offiziell gestützt. Es wird auch an den Schulen gelehrt.

Da der vom Gesetz geforderte Vorsatz und die diskriminierende Absicht im vorliegenden Fall gefehlt hätten, könne auch die Frage offen bleiben, ob es sich bei den «Massentötungen» von 1915 um einen Völkermord gehandelt habe, befand Ochsner. Allerdings legten die zu Rate gezogenen Unterlagen einen solchen Schluss nahe.

Gesetzesrevision angezeigt

Umso mehr erstaune die Haltung des Bundesrats, der es bis anhin unterlassen habe, den Völkermord an den Armeniern anzuerkennen, erklärte Ochsner. Der Umstand aber, dass die vorliegende Strafnorm der Justiz den Entscheid überlasse, was als Völkermord gelte, sei nicht nur überraschend, sondern auch unbefriedigend.

Ochsner mahnte daher eine Revision des Antirassismus-Artikels an; namentlich der Begriff des Völkermords bedürfe einer Definition durch den Gesetzgeber, befand Ochsner.

Möglicherweise 1,5 Millionen Betroffene

Der Völkermord an den Armenier soll Schätzungen zufolge zwischen 600’000 und 1,5 Millionen Menschen das Leben gekostet haben. Während eine UNO-Kommission und das Europäische Parlament diese Tötungen offiziell als Völkermord anerkannt haben, weigerten sich Bundesrat und Parlament bis anhin, eine derartige Anerkennung auszusprechen.

Gesellschaft Schweiz-Armenien enttäuscht

Die Gesellschaft Schweiz-Armenien zeigte sich nach dem Freispruch enttäuscht. Es sei schade, dass Dinge, die das schweizerische Parlament bewusst verdrängt habe, nun nicht vor Gericht hätten geklärt werden können. Dies sagte Alt-Nationalrätin Angeline Fankhauser von der Gesellschaft Schweiz-Armenien.

Damit spielte Fankhauser auf verschiedene parlamentarische Vorstösse an, die erfolglos forderten, dass die Schweiz die Deportationen und Massaker an den Armeniern als Völkermord anerkenne.

Der Anwalt der beiden Privatkläger erklärte, die Begründung des Richters stimme ihn nachdenklich. Sie bedeute im Grunde, dass jeder einen Völkermord leugnen könne – mit der Begründung er habe nichts darüber gewusst.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker forderte in einer Pressemitteilung vom Freitag, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse endlich politisch und juristisch anerkannt werden.

Türkische Botschaft zufrieden

Die türkische Botschaft hingegen nahm «mit Befriedigung» vom Gerichts-Entscheid Kenntnis, wie Botschaftsrat Levent Fahinkaja am Freitag sagte. Der Entscheid habe das Vertrauen in die Unparteilichkeit der Schweizer Justiz gefestigt.

swissinfo und Agenturen

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