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Littering: Aus den Augen, aus dem Sinn?

Chaotische Hinterlassenschaft: Irgend jemand wird sicher aufräumen... Keystone

Weshalb bleiben nach vielen öffentlichen Veranstaltungen Abfallberge zurück? Warum lassen viele Menschen Papier, Dosen, Petflaschen oder Zigarettenstummel achtlos zu Boden fallen? Wie kann man gegen Littering vorgehen? Mit Bussen?

Wie für vieles andere gilt auch hier: Es gibt keine einfache Lösung.

Andy Spörri vom Institute for Environmental Decisions (IED) an der ETH Zürich erklärt gegenüber swissinfo.ch: “Einerseits haben die gesamt-gesellschaftlichen Entwicklungen einen Einfluss. Sie sind verbunden mit veränderten Konsum- und Ernährungs-Gewohnheiten, aber auch mit einer Veränderung des Freizeitverhaltens.”

Weiter würden öffentliche Räume immer häufiger für Veranstaltungen genutzt. “Dies führt dazu, dass Menschen sich häufiger in öffentlichen Räumen aufhalten, dort, wo das Littering auch zum Problem wird und gleichzeitig tendenziell mehr Abfälle aus der ‘fliegenden’ Verpflegung mit sich herum tragen, die ausser Haus entsorgt werden müssen. Das Potenzial, dass gelittert werden könnte, nimmt aufgrund dieser Trends allgemein zu”, erklärt Spörri.

Genügend sensibilisiert?

“Wie stark sind die Menschen gegenüber umweltbezogenen Themen sensibilisiert? Wie wichtig ist ihnen eine saubere Umwelt? Und wie wichtig ist es ihnen, zu einer sauberen Umwelt einen Beitrag zu leisten?”, fragt Spörri.

Laut dem Experten sind immer mehr Menschen Ich-fokussiert. “Sie denken weniger an das Gemeinwohl. Und das führt eher dazu, dass man Abfälle, ohne an andere zu denken, irgendwo hin wirft.”

Einen weiteren Grund fürs Littering sieht Spörri auch in der auflehnenden und revoltierenden Haltung gewisser Jugendlicher. “In der Jugendzeit ist es manchmal cool, sich über Normen hinwegzusetzen, seinen Abfall lässig auf den Boden zu werfen. Und dabei schauen einem Leute zu, die man nicht kennt, aber man kann sie doch ein wenig provozieren…”

Nicht nur Repression

Wenn es um revoltierendes Verhalten gehe, wenn es nicht an mangelnden Entsorgungsmöglichkeiten oder mangelnder Aufklärung liege, “sind finanzielle Anreize oder ordnungsrechtliche Massnahmen wie Sanktionen, Bussen wahrscheinlich die wirksamsten Mittel, die man hat”, sagt der Wissenschafter.

Dieses Mittel wollen sich zum Beispiel die Kantone Bern und Thurgau offen lassen. Seit Anfang 2008 kann etwa im Thurgau Littering mit Bussen bestraft werden. Und einige Bussen sind auch verteilt worden. Aber Repression allein, nützt nicht viel, ist man sich auch im Thurgau bewusst.

Man setzt darum auch auf Projekte vor Ort, in Zusammenarbeit mit den Gemeinden. So ist in der Stadt Frauenfeld eine Kampagne für einen sauberen Bahnhofplatz gestartet worden.

Und tatsächlich sei der Abfallberg in kürzester Zeit nachhaltig kleiner geworden, nachdem die Geschäfte gebeten worden seien, mehr Abfallkörbe aufzustellen, nachdem Plakate aufgehängt und Passanten direkt angesprochen wurden und die Polizei vermehrt Präsenz markierte hatte.

Auch Spörri ist für Sensibilisierungs- und Informationskampagnen. Etwa auf Schulebene oder via öffentlicher Organe, wie dem Bundesamt für Umwelt (Bafu). “Sensibilisierung in der Schule ist sicher am wirkungsvollsten, weil man die Kinder dort noch stark prägen kann und der verantwortungsvolle Umgang mit Abfällen nicht früh genug erlernt werden kann”, zeigt er sich überzeugt.

Broken-Window-Theorie

Eine weitere Erklärung liefert die Broken-Windows-Theorie. “Bei einem total gesäuberten Platz hat der erste, der Abfall fallen lässt, meist recht grosse Hemmungen, das zu tun. Ganz anders ist das bei einer schon mit Abfall übersäten Wiese”, so Spörri.

“Das sollte eigentlich dazu führen, dass man bestehende Verschmutzungen möglichst sofort entfernt, um den Nachahmer-Effekt zu bremsen”, erklärt der Wissenschafter.

“Allerdings können diese prompten Aufräumarbeiten auch dazu führen, dass Menschen, die sich regelmässig in denselben Räumen aufhalten, nicht mit den negativen Effekten ihrer früheren Handlungen konfrontiert werden, was der Sensibilisierung für das Littering-Problem entgegenwirken kann.”

Für Spörri ist auch die soziale Kontrolle relevant: “Bequemlichkeit und Kosten-Nutzen-Denken sind seit jeher sehr wichtige bestimmende Faktoren im individuellen Entscheidungsverhalten. Die soziale Kontrolle ist von grosser Bedeutung, wenn es darum geht, ich-fokussierte Entscheidungsprozesse in gesellschaftlich tolerierte Bahnen zu lenken. Die Wirkung dieser Kontrollmechanismen nimmt jedoch mit zunehmenden Anonymisierungsgrad im sozialen Netzwerk ab.”

Wird man beobachtet, wenn man etwas Negatives tut? Wird man als unverantwortlicher Gesellschaftsteilnehmer wahrgenommen?

Verursacherprinzip

Müssten nicht jene, die Produkte verkaufen, bei denen viel Verpackungsabfall abfällt, für die Folgen der ständig wachsenden Abfallberge mit zur Kasse gebeten werden?

Andy Spörri würde eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Event-Veranstaltern, Verkaufsstellen von Unterwegs-Verpackungen und Gemeindebehörden begrüssen.

“Produkte sollten einerseits mit möglichst wenig Verpackungsmaterial verkauft werden. Produzenten und Verkäufer sollen darauf achten, dass die Zusammensetzung dieser Abfälle möglichst optimal ist. Andererseits können dadurch Massnahmen gegen das Littering effizient aufeinander abgestimmt werden.”

Dass dies funktionieren kann, belegt er mit den Public Viewings an den Fussball-Europameisterschaften 2008: Für Mehrwegbecher wurden 2 Franken Depot verlangt, die man nach dem Abgeben des Bechers zurückerhielt. “Diese Massnahmen hatten eine sehr hohe Wirksamkeit und lösten das Problem bei diesen Veranstaltungen weitgehend.”

Runder Tisch

Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) begrüsst zwar die Anstrengungen, via öffentliche Kampagnen gegen Littering anzugehen. Es hat seine Aufgaben 2008 ausgeweitet auf einen “Runden Tisch”, der Aktivitäten von Städten und Kantonen untereinander und mit der Privatwirtschaft koordiniere und Anstösse für die Praxis gebe, sagt Florian Erzinger vom Bafu.

Auf Bundesebene gibt es bislang keine gesetzlichen Anti-Littering-Bestimmungen. Man sieht davon ab, Massnahmen per Gesetz durchzudrücken. Das Bafu will 2011 eine Studie veröffentlichen, die Auskunft zu den vom Littering verursachten Kosten geben soll. Diese sollen aufgeschlüsselt werden nach Verursacherbranchen wie Fast-Food-Läden, Gratiszeitungen aber auch Zigarettenproduzenten.

Ein positives Resultat des “Runden Tisches” ist zum Beispiel ein Mustervertrag zwischen Gratiszeitungen und Städten. So verpflichtet sich die Morgenzeitung 20Minuten die in der Gegend der Ausgabeautomaten liegenden Blick am Abend-Ausgabe wegzuräumen, während die Blick am Abend-Verträger die 20Minuten-Exemplare entfernen.

Etienne Strebel, swissinfo.ch

Littering kommt aus dem Englischen und bezeichnet das achtlose Wegwerfen und Liegenlassen von Abfall vorzugsweise auf öffentlichem Grund, insbesondere Strassen, Plätzen und Parks.

Weggeworfen werden meist kleinere Gegenstände. Eine europaweite Studie von 2003 zeigte, dass in den Städten Zigarettenstummel mit 58,3 % am meisten weggeworfen wurden. An zweiter Stelle folgen Kunststoffe (11,6 %), organische Abfälle (9,8 %), Papier und Karton (8,8 %), Glas (7,3 %), Verpackungen (5,8 %) und Metall (3,9 %).

Eine Basler Studie von 2004 sah dagegen Einwegverpackungen (Getränkegebinde und Fastfood-Verpackungen) mit einem Anteil von rund 52 % am Abfallberg als Hauptproblem.

Littering kommt in der Stadt wie auf dem Land vor, macht sich aber vor allem als urbanes und suburbanes Phänomen bemerkbar.

In den SBB-Zügen und -Bahnhöfen wurden 2009 rund 5625 Tonnen Altpapier, 75 Tonnen Glas und 145 Tonnen PET-Gebinde eingesammelt.

Die Menge sei in den letzten Jahren stabil geblieben, der Aufwand, in den Waggons herumliegende Zeitungen, vor allem Gratisblätter sei jedoch immens.

Die SBB richtet deshalb zwei Wünsche an ihre Fahrgäste:

1. Gelesene Zeitungen auf den Gepäckablagen deponieren. Sitze sind dann frei und das Reinigungspersonal kann sie leichter einsammeln.

2. Damit die für kleine Abfälle vorgesehenen Behälter in den Zügen nicht sofort überquellen, sollten Passagiere leere Flaschen beim Aussteigen mitnehmen und im Bahnhof entsorgen.

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